Bei uns und den meisten anderen Lebewesen unterliegt ein Großteil der körperlichen Prozesse dem Takt der inneren Uhr. Dieser genetisch-molekularbiologische Zeitgeber beeinflusst Stoffwechsel, Hormonhaushalt und zahlreiche weitere Parameter unseres Körpers. Damit die innere Uhr zuverlässig funktioniert, benötigt sie jedoch Informationen von außen – sie wird durch den regelmäßigen Tag-Nacht-Wechsel sozusagen geeicht. Doch genau das geht in der modernen, rund um die Uhr aktiven Gesellschaft zunehmend verloren. Viele Menschen arbeiten in Schichten oder nachts und die künstliche Beleuchtung lässt schon jetzt rund 80 Prozent der Menschheit keine echte Dunkelheit mehr erleben, wie kürzlich der aktuelle Atlas der Lichtverschmutzung zeigte. Schon länger ist bekannt, dass gerade das nächtliche Licht die innere Uhr und damit den Hormonhaushalt durcheinander bringt und dass ein gestörter Tag-Nacht-Rhythmus Übergewicht, Depressionen und vielleicht sogar bestimmte Krebsarten fördern kann. Eliane Lucassen von der Universität Leiden und ihre Kollegen haben in Versuchen mit Mäusen Hinweise auf eine noch weitreichendere Folge der Lichtverschmutzung gefunden. Demnach könnte uns das Nachtlicht vorzeitig altern lassen.
Für ihre Studie hielten die Forscher Mäuse über ein halbes Jahr lang unter Dauerlicht, anschließend ein halbes Jahr unter normalem Tag-Nacht-Rhythmus. Vorher und während der beiden Phasen untersuchten die Wissenschaftler zum einen die Aktivität der inneren Uhr, indem sie mittels implantierter Elektroden die elektrischen Impulse des Haupttaktgebers im Gehirn, der suprachiasmatischen Nuclei (SCN), ableiteten. Zusätzlich maßen sie regelmäßig den Zustand der Muskeln, die Mikrostruktur der Knochen und die Aktivität des Immunsystems der Mäuse unter beiden Lichtbedingungen. Das Ergebnis: Die konstante Beleuchtung und der damit fehlende äußere Tag-Nacht-Rhythmus beeinträchtigte die Aktivität der inneren Uhr bei den Mäusen. Ihre normalerweise rhythmischen Impulsmuster verringerten sich im Laufe der Dauerlichtphase um bis zu 70 Prozent, wie Lucassen und ihre Kollegen berichten.
Wirkung auf Muskeln, Knochen und Immunabwehr
Welche Wirkung dies auf die Gesundheit der Tiere hatte, zeigte sich an ihrem körperlichen Zustand: Unter Dauerlicht ließ die Muskelkraft der Mäuse bei Greiftests und die Ausdauer beim Hängen an einem Seil messbar nach: „Schon nach zwei Wochen unter Dauerlicht zeigten diese Tiere signifikante Defizite und diese blieben in der gesamten Dauerlichtphase erhalten“, berichten die Forscher. Langsamer, aber dann nicht weniger deutlich machte sich die Wirkung des gestörten Tag-Nacht-Rhythmus auf die Knochen der Mäuse bemerkbar: Nach 24 Wochen fanden die Wissenschaftler bei den Tieren eine auffallende Ausdünnung der feinen Knochenbälkchen in den Beinmuskeln. „Diese Veränderungen in der Knochenstruktur sind charakteristisch für eine frühe Osteoporose“, erklären Lucasse und ihre Kollegen. „Unsere Ergebnisse belegen damit erstmals, dass ein gestörter Tag-Nacht-Rhythmus ein ursächlicher Faktor für die Abnahme der Knochenmikrostruktur ist.“ Dies bestätigt erste Beobachtungen bei menschlichen Schichtarbeitern, bei denen Forscher ebenfalls eine vermehrte Neigung zu Knochenbrüchen und eine verringerte Mineraldichte der Knochen festgestellt hatten.
Noch etwas veränderte sich beim Fehlen des normalen Rhythmus: Das Immunsystem der Mäuse schüttete bei Dauerlicht vermehrt Entzündungsbotenstoffe aus. Ihre Abwehr befand sich dadurch in einer Art ständigem Alarmzustand, der früheren Studien nach, chronische Erkrankungen und sogar Krebs fördern kann, wie die Forscher erklären. Zusammengenommen bewirkte das Dauerlicht und das Fehlen des normalen Tag-Nacht-Rhythmus bei den Mäusen ähnliche Veränderungen, wie sie typischerweise beim Älterwerden auftreten. Das Dauerlicht ließ sie in Bezug auf ihre Muskelkraft, ihre Knochen und das Immunsystem sozusagen vorzeitig altern. Immerhin einen Trost gibt es: „Die gute Nachricht ist, dass diese negativen Effekte nicht irreversibel sind“, sagt Koautorin Johanna Meijer von der Universität Leiden. „Sie verschwinden wieder, wenn der natürliche Tag-Nacht-Zyklus wiederhergestellt wird.“
„Früher haben wir Licht und Dunkel in Bezug auf unsere Gesundheit für einen harmlosen, neutralen Reiz gehalten“, sagt Meijer. „Jetzt stellen wir fest, dass das nicht der Fall ist.“ Die Studie demonstriere nachdrücklich, dass der natürliche Tag-Nacht-Zyklus für die Gesundheit wichtig ist. Fehlt dieser Rhythmus, führt dies zu einer schweren Störung einer ganzen Bandbreite von Gesundheitsparametern – von Hormonen, über den Stoffwechsel bis hin zu Muskeln, Knochen und Immunsystem. Prinzipiell sollte das nicht überraschen, immerhin hat sich das Leben auf der Erde über Jahrmillionen an diese äußeren Taktgeber und Rhythmen angepasst. „Wir scheinen darauf optimiert zu sein, unter diesem Zyklus zu leben – und deshalb leiden wir darunter, wenn diese Rhythmen fehlen“, erklärt Meijer.