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Wo liegt der Mittelpunkt des Universums?

Astronomie|Physik Nachgefragt

Wo liegt der Mittelpunkt des Universums?
16-12-09 Nachgefragt Urknall.jpg
Jeder Ort im Universum ist gleichberechtigt, es gibt kein Zentrum. Das Foto zeigt die 25 Millionen Lichtjahre ferne Spiralgalaxie NGC 24 im Sternbild Bildhauer. (Foto: NASA/ESA)
Gemäß der Urknall-Theorie dehnt sich das Universum von einer Singularität ausgehend aus. „Wo ist der Mittelpunkt des Universums? Hat er besondere Eigenschaften und wenn ja, welche?“, fragt bdw-Leser Lutz R. aus Neuss – und bringt damit ein weit verbreitetes Missverständnis zum Ausdruck.

Als „Urknall“ wird der äußerst heiße und extrem dichte Anfangszustand unseres Universums bezeichnet. Bei seiner Entstehung vor 13,8 Milliarden Jahren war das ganze Universum unvorstellbar klein, kleiner als ein Atomkern. Das klingt nach einer haltlosen Behauptung, ist aber eine bestens begründete wissenschaftliche Tatsache. Mehr noch: Der Weltraum wächst! Vom „Schwung“ des Urknalls angetrieben, dehnt er sich ununterbrochen aus. Nur dadurch konnte sich die Materie überhaupt verdünnen, abkühlen und allmählich zu Sternen und Planeten verdichten.

Raum ist nicht „nichts“. Er ist nicht starr und unveränderlich, sondern flexibel, beeinflussbar und dynamisch. Diese Tatsache gehört zu den unglaublichsten Entdeckungen. Sie lässt sich jedoch nur schwer veranschaulichen, weil sie im Alltag keine Rolle spielt. Dennoch war das Großhirn genial genug – zumindest bei einigen Wissenschaftlern –, um auf diese Idee zu kommen, sie mathematisch auszuarbeiten … und schließlich sogar physikalisch zu bestätigen!

Das Wachstum des Weltraums

Albert Einstein hat 1915 mit seiner Allgemeinen Relativitätstheorie beschrieben, wie sich der Raum krümmt, wenn Materie oder Energie anwesend sind. Außerdem erkannte er, dass Raum und Zeit nicht die Bühne sind, auf der alles stattfindet. Vielmehr bilden sie eine Einheit. Sie spielen als sogenanntes Raumzeit-Kontinuum eine aktive Rolle im kosmischen Drama. Diese Einsicht war revolutionär. In den darauffolgenden Jahren begriffen Einstein und andere Forscher zudem, dass der Weltraum nicht statisch, stabil und bewegungslos ist, sondern sich als Ganzes ausdehnen (oder zusammenziehen) muss.

Das war eine unerwartete Schlussfolgerung. Kaum jemand hatte sie ernst genommen, nicht einmal Einstein selbst. Aber kurz darauf entdeckten Astronomen starke Indizien dafür. Vor allem die Messungen von Edwin Hubble ab 1929 zeigten, dass sich fast alle Galaxien von der Milchstraße wegbewegen. Und zwar umso schneller, je weiter entfernt sie sind. Das bedeutet aber nicht, dass die Milchstraße der Mittelpunkt einer gewaltigen Explosion ist, von dem alles davonfliegt. Es ist vielmehr ein klarer Beleg dafür, dass sich der gesamte beobachtbare Weltraum ausdehnt. Der Raum selbst wächst und treibt Galaxien auseinander wie ein Hefekuchenteig mit Rosinen im Backofen, sodass die Abstände der Rosinen beim Aufgehen wachsen.

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Das Universum als Luftballon

Mit etwas Fantasie kann sich jeder eine Modellvorstellung des expandierenden Universums machen: Man nehme Puderzucker, streue ihn auf einen feuchten Luftballon und blase diesen auf. Der Zucker versinnbildlicht die Galaxienhaufen und die Ballon-Oberfläche den Weltraum. Die Ausdehnung der Gummihaut entspricht dann der Ausdehnung des Weltalls. Dabei entfernen sich die Zuckerkörnchen voneinander. Zwar erscheint es aus der Perspektive eines Körnchen so, als wäre es im Zentrum einer imaginären Detonation, und alle Partikel ringsum würden davongesprengt. Doch das ist eine optische Täuschung, denn derselbe Eindruck ergibt sich auch vom Blickwinkel jedes anderen Zuckerstäubchens. Auf der Ballonhaut existiert gar kein Mittelpunkt – alles entfernt sich von allem, genau wie im Universum.

Freilich hinkt dieser Vergleich in mehrfacher Hinsicht: Der Luftballon bildet eine glatte Fläche, der Weltraum besitzt jedoch drei Dimensionen. Ein zweidimensionaler, sozusagen „platter“ Käfer in der Ballonhaut würde, wenn er geradeaus krabbelt, nie an ein Ende kommen, sondern wieder zurück an seinen Ausgangspunkt. Ob der Weltraum so in sich zurückgekrümmt ist, dass er sich theoretisch innerlich umkreisen ließe, weiß niemand – vielleicht ist er unendlich groß.

Der Urknall ist der Ursprung des Raumes

Die Luft wird von außen in den Ballon gepustet, das All hingegen erhält keine Energie oder sonst irgendetwas von seiner Umgebung, sondern es dehnt sich von selbst aus. Der Luftballon wird jedoch in einem Zimmer oder im Freien aufgeblasen. Der Weltraum expandiert im Gegensatz dazu nicht in einen anderen Raum hinein, sondern er wächst „innerlich“ – eine Vorstellung, die den Alltagsverstand notgedrungen überstrapaziert. Dieser Volumenzuwachs vollzieht sich in den riesigen Leerräumen zwischen den Galaxienhaufen. Innerhalb der Galaxien, die von der Gravitation ihrer Sterne und Gasmassen zusammengehalten werden, findet die Expansion nicht statt. Man wird also nicht über Nacht dicker, weil sich der Weltraum ausdehnt. Das beobachtbare Universum gewinnt in jeder Sekunde das Volumen einer ganzen Galaxie!

Der Ballon besitzt außerdem einen Mittelpunkt, der sich im Inneren befindet. Für den Weltraum gilt so etwas nicht. Lässt man das Geschehen gedanklich rückwärts ablaufen – oder einfach die Luft aus dem Ballon entweichen –, dann zieht sich die Gummihülle zusammen. Im Modell entspricht der Punkt, zu dem die Haut idealerweise zusammenschnurrt, dem Urknall. Er war der Anfangspunkt – und nicht etwa der Knall, der entsteht, wenn man den Ballon so stark aufbläst, dass er platzt.

Dieser Punkt ist aber nicht der eine Ausgangspunkt der Ausdehnung! Der Urknall war kein Ort, aus dem alles entsprang. Der Urknall war keine besondere Stelle im Raum, an der man ein Denkmal errichten könnte, sondern vielmehr der Ursprung des Raums. So gesehen hat der Urknall überall stattgefunden – auch vor der eigenen Nasenspitze.

 

Rüdiger Vaas ist bdw-Redakteur für Astronomie und Physik. Dieser Text ist ein Auszug aus seinem nächste Woche erscheinenden Buch Einfach Hawking! Geniale Gedanken schwerelos verständlich, publiziert im Kosmos-Verlag.

© wissenschaft.de – Rüdiger Vaas
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