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Schutzschild für Quantencomputer

Astronomie|Physik Technik|Digitales

Schutzschild für Quantencomputer
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Forscher arbeiten an einem Material, mit dem Quantencomputer vor Fehlern geschützt werden sollen. (Foto: mattjeacock/iStock.com)
Forscher haben ein Material entdeckt, das eigentlich ein elektrischer Isolator ist, aber auf seiner Oberfläche Strom leitet. Seine Eigenschaften könnten künftige Quantencomputer fehlerfrei arbeiten lassen.

Selbst ein Computer macht Fehler. Aber fehlertolerante Computer liefern trotz einzelner fehlerhafter Rechenoperationen das richtige Ergebnis. Herkömmliche Computer erreichen das etwa dadurch, dass sie bestimmte Rechnungen unterschiedlich ausführen. Bei künftigen Quantencomputern könnten Fehler vielleicht sogar quasi per Naturgesetz ausgeschlossen sein.

Einen wichtigen Schritt dazu machte vor Kurzem ein internationales Forscherteam um Gustav Bihlmayer vom Forschungszentrum Jülich. Ihm und seinen Kollegen ist es gelungen, in einer Wismut-Antimon-Legierung erstmals den 2004 theoretisch vorhergesagten Quanten-Spin-Hall-Effekt direkt nachzuweisen. Dieser Effekt ermöglicht die Existenz von „ geschützten“ Elektronenzuständen. Diese Zustände sind für den Einsatz in Quantencomputern interessant, die prinzipiell bestimmte Probleme um ein Vielfaches effizienter lösen können als herkömmliche Rechner. Unter „Spin“ (englisch „Dreh“, „Drall“) verstehen Physiker den Eigendrehimpuls sowie die interne Magnetisierung von Teilchen, etwa Elektronen.

Der Quanten-Spin-Hall-Effekt ist eine quantenphysikalische Variante des klassischen Hall-Effekts, der 1879 von dem amerikanischen Physiker Edwin Hall entdeckt wurde. Hall wies nach, dass in einem stromdurchflossenen Leiter, der sich in einem Magnetfeld befindet, eine elektrische Spannung erzeugt wird – und zwar sowohl senkrecht zum Stromfluss als auch senkrecht zum Magnetfeld. Etwa 100 Jahre später, 1980, fand der deutsche Physiker Klaus von Klitzing heraus, dass diese Hall-Spannung bei sehr tiefen Temperaturen und starken Magnetfeldern aufgrund von quantenphysikalischen Effekten nicht – wie beim klassischen Hall-Effekt – proportional mit dem Magnetfeld wächst, sondern stufenartig ansteigt.

Für die Entdeckung dieses Quanten-Hall-Effektes erhielt von Klitzing 1985 den Physiknobelpreis. Mit dem Quanten-Spin-Hall-Effekt haben Gustav Bihlmayer und seine Kollegen jetzt noch eins drauf gesetzt: Die Physiker konnten erstmals die Existenz eines „Topologischen Isolators“ nachweisen. Das ist ein Material mit äußerst ungewöhnlichen elektrischen Leiteigenschaften, die vom Quanten-Spin-Hall-Effekt herrühren. Ungewöhnlich ist, dass das eigentlich elektrisch nichtleitende Material auf seiner Oberfläche doch Ströme zulässt. Diese Ströme fließen, ohne Energie zu verbrauchen. Und sie lassen sich nur mit relativ großem Energieaufwand verändern. Das heißt: Kleine Störungen können ihnen nichts anhaben. Diese Eigenschaft ist es, was die Topologischen Isolatoren für die Quantencomputer-Forschung so interessant macht.

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Verdrillte Bänder

Anders als beim Quanten-Hall-Effekt wird beim Quanten-Spin-Hall-Effekt kein äußeres Magnetfeld benötigt. Dessen Rolle übernimmt bei dem nun untersuchten Material, einer Wismut-Antimon-Legierung, die sogenannte Spin-Bahn-Kopplung. Das ist eine Wechselwirkung zwischen dem Spin des Elektrons und dem magnetischen Feld, das aufgrund der Bewegung des Elektrons durch das Kristallgitter der Legierung entsteht.

Die in der Wismut-Antimon-Legierung besonders stark ausgeprägte Spin-Bahn-Kopplung bewirkt an der Oberfläche des Materials eine Art Verdrillung der elektrischen Energiebänder (siehe Grafik unten). In einem Kristall – also einem Festkörper, in dem die Atome in einem regelmäßigen Gitter angeordnet sind – können sich die Elektronen nur in diesen Energiebändern aufhalten. Das bedeutet, dass sie nur Energiewerte annehmen, die diesen Energiebändern zugeordnet sind. Die Lage der Energiebänder hängt von den Eigenschaften des jeweiligen Materials ab. Wenn zwischen dem letzten vollständig mit Elektronen gefülltem Energieband und dem nächsten leeren Band eine Lücke klafft, dann ist das Material ein Isolator. Ohne diese Lücke ist es ein elektrischer Leiter.

„Doch bei einem Isolator können an der Oberfläche durch ungesättigte Kristallbindungen Energiezustände entstehen, die die isolierende Lücke zwischen den Energiebändern überbrücken“, erklärt Bihlmayer. „Dadurch wird der Isolator an der Oberfläche zum Leiter. Diese Energiezustände können allerdings bei einem gewöhnlichen Isolator genauso leicht wieder zerstört werden, wie sie entstanden sind.“ Bei einem Topologischen Isolator ist das anders: Die verdrillten Energiebänder können dort nicht einfach „ entdrillt“ werden. Physiker sagen: Sie sind „topologisch geschützt“. Deshalb fließt an der Oberfläche ein robuster Strom.

Empfindliche Quantenzustände

Nach solchen geschützten Zuständen suchen die Quantencomputer-Pioniere händeringend. Denn gewöhnliche quantenphysikalische Zustände werden durch geringste Wechselwirkungen mit ihrer Umgebung zerstört. Bisher kann man die Zerstörung solcher „Qubits“ nur mit riesigem Aufwand verhindern. Beispielsweise dadurch, dass man das gesamte System bis in die Nähe des absoluten Nullpunkts bei minus 273 Grad Celsius kühlt. Die geschützten Zustände der Wismut-Antimon-Legierung dagegen existieren bei Zimmertemperatur.

Noch ein weiterer Punkt spricht für die Nutzung der untersuchten Oberflächenströme in Quantencomputern: „Bei diesen Strömen wird keine elektrische Ladung transportiert, sondern vielmehr Spin“, sagt Bihlmayer. „Dabei fließen genauso viele Elektronen mit Spin ‚up‘ nach rechts wie solche mit Spin ‚down‘ nach links.“ Mit up und down bezeichnet man die beiden Zustände, die ein Spin annehmen kann. Manche Forscher erwarten viel von der Nutzung der Spins als Qubits, weil man dadurch einen zusätzlichen Freiheitsgrad zur Verfügung hat. Denn die Orientierung der Spins kann Informationen speichern. Und wenn sich die Spin-Orientierung durch topologische Isolation schützen lässt, wäre das ein weiterer wichtiger Schritt zu einem Quantencomputer. ■

 

Gut zu wissen: Leiter und Isolatoren

Die Elektronen in einem Atom können den Kern nur auf bestimmten Bahnen umkreisen. Die Bereiche dazwischen sind quantenphysikalisch „verboten“. Den Bahnen entsprechen bestimmte Energiewerte. Die „erlaubten“ Werte sind im Diagramm (1) schematisch als Linien dargestellt. Die unbesetzte Bahn ist hell gefärbt. Wechselwirkungen zwischen dicht benachbarten Atomen verursachen eine Aufspaltung der Energielinien (2). Die erlaubten Energiewerte sind jeweils ein wenig gegeneinander verschoben. In Festkörpern liegen die vielen verschobenen Energielinien so dicht beieinander, dass sie Energiebänder bilden (3). Ob ein Festkörper ein elektrischer Leiter oder ein Isolator ist, hängt davon ab, wie groß der Energieabstand zwischen dem höchsten besetzten Band, dem „Valenzband“, und dem niedrigsten unbesetztem Band, dem „ Leitungsband“, ist. Denn in einem voll besetztem Band kann kein Strom fließen, weil es für kein Elektron einen freien Energiewert gibt, in den es wechseln könnte. Und in einem leeren Band fließt kein Strom, weil es dort keine Ladungsträger (Elektronen) gibt. Bei einem Isolator wie Porzellan sind Valenz- und Leitungsband so weit voneinander entfernt, dass die Elektronen die Energiedifferenz nicht überbrücken können (3). Bei einem metallischen Leiter wie Kupfer grenzen Valenz- und Leitungsband dagegen direkt aneinander oder überlappen sich sogar teilweise (4). Deshalb können Elektronen leicht in das Leitungsband wechseln und für einen Stromfluss sorgen. Wegen der frei gewordenen Plätze im Valenzband ist nun auch dort ein Stromfluss möglich. Auf der Oberfläche eines gewöhnlichen Isolators (5) können genau wie auf der Oberfläche eines Topologischen Isolators (7) zusätzliche Energiebänder entstehen (überkreuzte Linien), die die Lücke zwischen Valenz- und Leitungsband überbrücken und so an der Oberfläche einen Stromfluss ermöglichen. Doch während diese Überbrückung bei gewöhnlichen Isolatoren bereits bei kleinen Störungen zusammenbricht (6), sind die Überbrückungsbänder bei Topologischen Isolatoren derart miteinander „verdrillt“, dass sie ohne großen Energieaufwand nicht getrennt werden können (8). Blau und Rot kennzeichnen die in entgegengesetzte Richtung fließenden „ Spinströme“. In der Computersimulation auf der linken Seite sind die sich überkreuzenden Spin-Energiebänder ebenfalls blau und rot gefärbt, der graue Bereich oben zeigt das Leitungsband, die grauen Bereiche unten links und rechts entsprechen dem Valenzband.

© wissenschaft.de – Axel Tillemans
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