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ERNÄHRUNG: DIE 10 GROSSEN IRRTÜMER

Erde|Umwelt Gesundheit|Medizin

ERNÄHRUNG: DIE 10 GROSSEN IRRTÜMER
Sich gesund zu ernähren, ist nicht einfach – Ratgeberliteratur ist deshalb sehr gefragt. Aber stimmt das alles, was einem da geraten wird? Eine Ernährungswissenschaftlerin demontiert ein paar hartnäckige Mythen rund ums Essen.

Wie oft steht man ratlos im Supermarkt: Ist die fettarme Milch tatsächlich gesünder als die Vollmilch? Sollte ich nicht endlich mehr Obst kaufen, das soll doch sogar vor Krebs schützen? Helfen Lightprodukte, ein paar lästige Pfunde loszuwerden? Zu Hause gibt es ebenso viele Fragezeichen: Soll ich Gemüse lieber kochen – oder ist Rohkost gesünder? Darf ich nachsalzen, wenn es mir zu fad schmeckt, oder ist das schlecht für den Blutdruck? Soll ich heute überhaupt etwas essen, ist nicht mal wieder Entschlackung angesagt?

Laut einer Befragung der Gesellschaft für Konsumforschung aus dem Jahr 2010 glauben mehr als 80 Prozent der Deutschen, dass sie sich mit gesunder Ernährung vor diversen Krankheiten schützen können. Doch welche der zahlreichen Ernährungstipps in Ratgebern, Zeitschriften und im Internet wissenschaftlich belegt sind, kann der gesundheitsbewusste Laien kaum erkennen. Zumal dort nicht nur Ratschläge von Wissenschaftlern zu lesen sind, sondern auch die Ideologien zweifelhafter Ernährungsgurus. Diese „Experten“ finden nur Gehör, weil in großen Bereichen der Ernährungslehre ein wissenschaftliches Vakuum herrscht.

Das liegt daran, dass Essen als psychosozialer Prozess kaum mit medizinischen Methoden zu durchleuchten ist: Bei Tisch wird schließlich gelacht, gefeiert, gestritten und diskutiert. Bestimmte Gerichte wie die Weihnachtsgans oder die abendliche Brotzeit spiegeln Sitten und Gebräuche. Kinder bekommen bei gemeinsamen Mahlzeiten Werte vermittelt. Essen ist viel mehr als die Summe seiner Inhaltsstoffe.

Trotzdem fokussieren sich einige Ernährungswissenschaftler bei ihrer Suche nach gesundem Essen auf die Erforschung von Fett, Vitaminen & Co – und stoßen dabei an ihre Grenzen. Denn: Der Brokkoli und das Schnitzel auf dem Teller liefern ja nicht nur einen pharmakologischen Wirkstoff, sondern Tausende Substanzen, deren Funktionen man oft nicht kennt. Andere Forscher beziehen ihre Erkenntnisse deshalb aus epidemiologischen Studien. Aber auch die sind angreifbar, weil sie keine Ursache-Wirkungs-Beziehung belegen. Südländer erleiden kaum Herzinfarkte? Das muss das Olivenöl sein oder der Rotwein oder der viele Fisch, erklären Ernährungsexperten gerne. Allerdings könnte es schlichtweg an den guten sozialen Beziehungen liegen, die die Menschen dort pflegen – die sind nämlich auch gut fürs Herz.

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Dazu kommt eine weitere Schwierigkeit: Nicht alle Menschen reagieren gleich auf Lebensmittel. Darum gelten auch nicht für jeden die gleichen Ernährungsempfehlungen. Man weiß inzwischen, dass der Stoffwechsel von Mensch zu Mensch unterschiedlich funktioniert. Winzige genetische Unterschiede sorgen für eine unterschiedliche Enzym-Ausstattung – und beispielsweise für eine große Bandbreite beim Diabetes-Risiko. Daher liest man heute die Schlagzeile: „Ballaststoffe schützen vor Diabetes“, am nächsten Tag wird diese Erkenntnis wieder zu Grabe getragen. Was gesunde Ernährung eigentlich ausmacht und was nicht, ist kaum geklärt. Hinter den gängigen Mythen rund ums Essen stehen selten Fakten. Ratgeber sollte man also kritisch lesen und nicht jede neue Ernährungsmode wie Trennkost oder „Dinner Cancelling“ (Verzicht aufs Abendessen) mitmachen. Gesichert ist: Abwechslungsreich sollte der Speiseplan gestaltet sein. Und Fertiggerichte sind auf die Dauer nicht gerade gesundheitsförderlich. Wenn Ihnen das zu pauschal ist, lesen Sie auf den folgenden Seiten, was von ein paar besonders hartnäckigen Mythen zu halten ist.

Irrtum 1

Je mehr Obst und Gemüse, desto gesünder

Das stimmt nur teilweise. Zwar sind Grünkost-Fans insgesamt gesünder, sie leiden etwa seltener unter Herzkrankheiten. Allerdings macht einigen Menschen eine sehr obstreiche Ernährung auch zu schaffen – sie vertragen den Fruchtzucker schlecht, Fachleute sprechen von „Fruktosemalabsorption“. Aber auch Gesunde können nach dem Konsum von zwei Äpfeln und einem Glas Fruchtsaft von Bauchschmerzen, Blähungen, Übelkeit, Kopfschmerzen, depressiven Verstimmungen und Heißhunger auf Süßes geplagt werden.

Denn: Fruchtzucker (Fruktose) steckt in vielen Obstsorten, und er kann ab einer bestimmten Menge auch von Gesunden nicht mehr verdaut werden. Der Fruktose-Transporter GLUT5 im menschlichen Darm hat eine physiologische Kapazitätsgrenze, die bei 35 Gramm pro Stunde liegt: Gelangt mehr Fruktose in den Dünndarm, wird sie nicht mehr ins Blut aufgenommen. Der Überschuss wird dann im Dickdarm von Mikroorganismen verspeist (siehe bild der wissenschaft 6/2011, „Unbekannte Untermieter“). Dabei entstehen Gase, die zu Blähungen, Krämpfen und Schmerzen führen können. Auch depressive Verstimmungen werden bei einer mangelhaften Fruchtzuckerverdauung häufig beobachtet, vermutlich weil Fruktose mit der Aminosäure Tryptophan einen Komplex im Darm bildet und diese so nicht mehr in ausreichenden Mengen aus der Nahrung ins Blut gelangt. Tryptophan braucht der Körper aber, um das Glückshormon Serotonin herzustellen. Dieser Mangel führt auch zu einem unbändigen Hunger auf Süßes. „Die Diagnose Fruktosemalabsorption wird immer häufiger gestellt“, hat Christiane Schäfer, Ökotrophologin und Mitglied im Deutschen Allergie- und Asthmabund, beobachtet. Ein Grund: Viele Menschen halten sich stur an die Empfehlungen der Fachgesellschaften, fünf Mal am Tag Gemüse oder Obst zu essen, und greifen bevorzugt zu den Früchten. Viel Fruktose steckt in Trauben, Kirschen, Aprikosen, Birnen, Äpfeln, Dörrobst und Fruchtsäften. Fruktosearm sind dagegen Bananen, Orangen, Melonen und Mandarinen.

von Kathrin Burger (Text) und Ronald Frommann (Fotos)

Ohne Titel

Irrtum 2

Rohes Obst und Gemüse ist besser als gekochtes

Nein. „Es gibt keine epidemiologischen Studien, die diese Polarisierung rechtfertigen würden“, sagt Bernhard Watzl, Ernährungswissenschaftler am Max Rubner-Institut in Karlsruhe. Rohkost-Fans leben nicht länger als Eintopf-Verfechter – das gilt aber auch umgekehrt. In so gut wie allen Kulturen steht sowohl gekochtes als auch rohes Obst und Gemüse auf dem Speiseplan.

Durch Kochen gehen zwar einige wasserlösliche Vitamine verloren, Vitamin C etwa zu 30 bis 50 Prozent. Auch Ballaststoffe verlieren im Topf teilweise ihre gesundheitsfördernden Wirkungen. Dafür werden andere Nährstoffe, die in den Pflanzenzellen regelrecht eingeschlossen sind, durch das Erhitzen für den menschlichen Organismus erst nutzbar. Nicoletta Pellegrini von der Universität Parma fand beispielsweise 2008 heraus, dass gekochte Karotten, Zucchini und Brokkoli mehr antioxidative Stoffe, vor allem Carotinoide, liefern: In rohen Karotten maß die Wissenschaftlerin 118 Milligramm freie Carotinoide pro 100 Gramm, während es nach dem Kochen 134 Milligramm waren. Auch Lykopen, ein Farbstoff aus Tomaten, wird erst in Tomatensauce wirklich wertvoll. Aromastoffe aus dem Kohl, die als krebshemmend gelten, werden dagegen besser aus rohem Brokkoli aufgenommen. Einen Kompromiss bietet das Braten im Wok: Außen wird das Gemüse gegart, innen bleibt es roh, weil dort kaum Temperaturen über 40 Grad erreicht werden. Gründliches Kochen und Braten bietet wiederum Schutz vor Keimen wie Salmonellen oder EHEC-Bakterien.

Ohne Titel

Irrtum 4

Viele Menschen sind übersäuert und leiden dadurch an Rheuma, Diabetes oder Krebs

Nein, der Säure-Basen-Haushalt der meisten Menschen funktioniert sehr gut. Der pH-Wert des Blutes liegt zwischen 7,35 und 7,45. Verschiedene sogenannte Puffersysteme sorgen dafür, dass überschüssige Säuren, die bei der Verdauung entstehen, unschädlich gemacht werden. Die meisten organischen Säuren aus Obst und Gemüse werden im Stoffwechsel vollständig zerlegt, wobei basische Mineralien frei werden. Dagegen entstehen Säuren beim Abbau von schwefel- und phosphorhaltigen Verbindungen, wie sie in Fleisch- und Milchprodukten, Hülsenfrüchten, Schmelzkäse oder Soft-Drinks vorkommen. Wenn viele solche Säurebildner auf dem Speiseplan stehen, müssen die Nieren des Betroffenen mit einer höheren Säurelast umgehen, und der pH-Wert des Harns sinkt. Aber nur wenn dieser Wert über mehrere Wochen gemessen niedrig ist, zeigt er eine Übersäuerung an. Eine einmalige Messung mit einem Teststreifen aus der Apotheke liefert kein aussagekräftiges Ergebnis.

Eine schwere Übersäuerung kann tatsächlich zu lebensbedrohlichen Zuständen führen. Allerdings wird solch eine Azidose nicht durch die derzeit üblichen Ernährungsformen ausgelöst, sondern ist meist Folge einer Erkrankung wie Niereninsuffizienz oder Diabetes mellitus.

Anhänger verschiedener alternativer Ernährungslehren glauben jedoch, dass Säuren nicht komplett ausgeschieden werden. Die Reste würden als „saure Stoffwechselschlacken“ im Bindegewebe eingelagert. Die Folge seien Rheuma, Diabetes oder sogar Krebs. 80 Prozent der Europäer seien davon betroffen, so Schätzungen der selbsternannten Experten. Wissenschaftlich sind diese Behauptungen jedoch nicht untermauert. „Schäden im Bindegewebe, die durch Schlacken entstanden sein könnten, lassen sich nicht messen“, stellt Thomas Remer fest, Ernährungswissenschaftler am Forschungsinstitut für Kinderernährung (FKE) in Dortmund. Ein Zusammenhang zwischen Übersäuerung und gravierenden Krankheiten wie Krebs hat bislang keine Studie belegt.

Studien des FKE haben jedoch aufgedeckt, dass Kinder mit einer sehr säurereichen Ernährung verminderte Knochenmineralgehalte aufweisen. „Eine obst- und gemüsereiche Ernährung könnte hier vorbeugend wirken“, ist Remer überzeugt. Auch ältere Menschen können eine leichte Übersäuerung des Körpers entwickeln, weil die Nieren im Alter nicht mehr so gut arbeiten. Die Folge: Osteoporose und Harnsteine.

Ohne Titel

Irrtum 5

Gesunde Ernährung kann Krebs vorbeugen

Die Annahme, dass eine gemüsearme und fleischlastige Kost zur Krebsentstehung beitragen kann, stammt aus den 1990er-Jahren. Bis zu 50 Prozent des Krebsrisikos, so nahm man damals an, sollten auf das Konto des Speiseplans gehen. Heute denken die Experten anders. „Es gibt schon einen Zusammenhang zwischen Ernährung und Krebs, aber dieser ist nicht so stark, wie man das viele Jahre vermutet hat“, sagt Gerhard Rechkemmer, Präsident des Max Rubner-Instituts, das mehrere Standorte in Deutschland hat. „Zur Krebsentstehung tragen viele Faktoren bei. Eine gesunde Ernährung allein hat sich in großangelegten Studien als wenig schützend erwiesen.“ So setzten etwa US-Wissenschaftler in der „Women’s Health Initiative“ einige Tausend Frauen auf eine fettarme, ballaststoffreiche Diät. Das ernüchternde Ergebnis: Das Krebsrisiko der Probandinnen war dasselbe. Auch die Analyse der beiden amerikanischen Kohortenstudien „Nurses‘ Health Study“ und „ Health Professionals Follow-Up Study“ mit insgesamt mehr als 100 000 Teilnehmern offenbarte keinen Einfluss des Obst- und Gemüseverzehrs auf das Krebsrisiko insgesamt.

Lediglich bestimmte Krebsarten lassen sich durch die Ernährung beeinflussen. So ist etwa recht gut belegt, dass viel rotes Fleisch und geräucherte Wurstwaren das Risiko erhöhen, an einem Dickdarm-Tumor zu erkranken. Laut der Deutschen Gesellschaft für Ernährung sollte man nicht jeden Tag Fleisch essen, im Mittel nur 300 bis 600 Gramm pro Woche. Derzeit steht jedoch laut der Nationalen Verzehrstudie die doppelte Menge auf dem Speiseplan des durchschnittlichen Deutschen. Auch reichlich Obst und Gemüse (400 Gramm pro Tag) sowie Ballaststoffe (30 Gramm) senken wahrscheinlich das Risiko, an einem Tumor in Rachen, Kehlkopf, Speiseröhre, Magen und Dickdarm zu erkranken. Zudem halten Onkologen starkes Übergewicht für einen Risikofaktor. Die überflüssigen Pfunde entstehen aber nicht zwingend durch eine ungesunde Ernährung, sondern vor allem durch zu wenig Bewegung. Für Brustkrebs, immerhin die häufigste Krebsart bei Frauen, lassen sich gar keine eindeutigen Empfehlungen aussprechen – Ernährung hat hier nur möglicherweise einen Einfluss. Hieb- und stichfeste Beweise hat man dagegen für einen hohen Alkoholkonsum. Wer regelmäßig über seinen Durst trinkt, der erkrankt wahrscheinlicher an Mund-, Rachen-, Kehlkopf-, Leber-, Speiseröhren-, Darm- oder Brustkrebs als ein Abstinenzler. Ungefährlich sind nach internationalen Empfehlungen für Frauen etwa ein Viertelliter Bier oder ein Achtel Wein pro Tag, für Männer das Doppelte.

Ohne Titel

Irrtum 6

Fettarme Ernährung schützt vor Herzkrankheiten und Übergewicht

Das gilt als widerlegt. In der großangelegten Nurses‘ Health Study hatten Walter Willet, Ernährungswissenschaftler an der Harvard University (USA), und seine Kollegen bereits Anfang des Jahrtausends aufgedeckt: Die Höhe des Fettverzehrs ist nicht mit einem höheren Krankheitsrisiko verknüpft. Bestätigt wurden die Funde vom US-Amerikanischen „Women’s Health Initiative Dietary Modification Trial“ im Jahr 2006. Die Ergebnisse sprachen dafür, dass ein verminderter Fettverzehr Herzkrankheiten nicht verhindert. 50 000 Frauen mittleren Alters wurden in diesem Mammutprojekt dazu angehalten, acht Jahre lang fettarm zu speisen. Es gelang ihnen, im Schnitt nur 29 Prozent ihrer Gesamtkalorien in Form von Fett aufzunehmen, während die anderen Probandinnen auf die für die USA üblichen 35 Prozent kamen. Ergebnis: Weder hatten die Fettverächterinnen an Gewicht verloren noch unterschied sich ihr Cholesterinspiegel von dem der anderen Frauen.

Verschiedene Fachgesellschaften wie die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) mahnen trotzdem, man solle sich das Fett vom Munde absparen, auch wenn sich dieser Rat im Wesentlichen auf Fleisch und Milchprodukte bezieht. Dafür könne man bei Brot, Reis, Kartoffeln und Nudeln ruhig großzügig zugreifen. Und das machen die meisten Menschen auch intuitiv, schließlich muss man ja von irgendetwas satt werden. Bei Kindern, die fettarm ernährt wurden, beobachteten Epidemiologen wie Jakob Linseisen am Helmholtz Zentrum München, dass sich ihr Zuckerkonsum stark erhöhte. Annett Hilbig, Ernährungswissenschaftlerin am FKE, spricht von der „Fett-Zucker-Schaukel“. Doch wer zu viele einfache Kohlenhydrate statt Fett zu sich nimmt, erhöht sein Risiko, eine Herzkrankheit zu entwickeln. Das hat eine niederländische Studie 2007 aufgedeckt. Denn nicht nur Zucker, auch Reis, Nudeln & Co werden im Körper flugs zu Glukose (Traubenzucker) abgebaut, die die Blutbahn überschwemmt. Als Gegenspieler wird Insulin ausgeschüttet, das die Glukose in die Zellen schleusen soll.

Bei ständigem Zuckernachschub entsteht jedoch eine sogenannte Insulinresistenz in den Zellen: Sie werden unempfindlich für Insulin, der Zucker verbleibt im Blut, was schließlich zu Diabetes führt. Dazu kommt: Aus dem nicht verbrannten Zucker macht die Leber Fett, was die Blutfettwerte verschlechtert – alles Risikofaktoren für einen Herzinfarkt. In den Industrienationen wird immer weniger Fett gegessen, gleichzeitig nimmt der Anteil der Übergewichtigen zu. „Fettarme Diäten führen also keineswegs zu einer lang anhaltenden Gewichtsreduktion – und das Herzinfarktrisiko steigt mit einer solchen Ernährung eher an“ , folgert Nicolai Worm, Ernährungswissenschaftler in München. Was man weiß: Die traditionelle mediterrane Diät schützt vor Herzkrankheiten. Doch die ist reich an Pflanzenölen und damit keineswegs fettarm. In Spanien beispielsweise besteht das Essen zu 40 Prozent aus Fett. „Mehr Fett, vor allem in Form ungesättigter Fettsäuren, dafür weniger Zucker und Stärke – das hilft vor allem übergewichtigen, insulinresistenten Menschen, die wenig Sport treiben“, erklärt Worm. „Schlanke, fitte Menschen müssen generell weniger auf ihre Ernährung achten.“

Ohne Titel

irrtum 7

Light-Produkte helfen beim Abnehmen

Ein klares Nein. Trotz stetig steigender Nachfrage nach kalorienreduzierten Produkten werden die Menschen eher dicker als dünner. Produkte, die sich mit der Zusatzbeschreibung „light“ oder auch „leicht“ schmücken dürfen, sind zum Beispiel fettarm, zuckerfrei oder enthalten weniger Alkohol. So liefert zum Beispiel die „Leichte Butter“ von „Du darfst“ nur knapp 40 Prozent Fett, während herkömmliche Butter mehr als das Doppelte an Fettkalorien bietet. Der Trick: Anstatt Fett werden Eiweiße, unverdauliche Fette oder Wasser in die Rezeptur gemischt, um den Energiegehalt zu drosseln. Eine andere Variante ist das Aufschlagen mit Sauerstoff oder Stickstoff, um das Produkt größer aussehen zu lassen. Bei zucker- reduzierten Lebensmitteln kommen meist künstliche Süßstoffe zum Einsatz, die keine Kalorien liefern. Einige epidemiologische Studien zeigten aber: Je mehr Süßstoffe auf dem Speiseplan stehen, desto schwerer wiegen die Studienteilnehmer. Ob Cola-Light & Co hier ursächlich beteiligt sind, weiß man allerdings nicht. Andere Studien belegen, dass Süßstoffe den Appetit anregen können. Das liegt womöglich daran, dass der Körper die gedrosselte Kalorienzufuhr bemerkt und darauf mit Hungergefühlen reagiert. Light-Produkte verführen außerdem dazu, mehr von ihnen zu essen als von normalen Lebensmitteln.

Ohne Titel

Irrtum 8

Salz lässt den Blutdruck steigen

Das stimmt nicht für alle Menschen. Lediglich 10 bis 15 Prozent der Menschen mit normalem Blutdruck sind salzsensitiv. Das heißt: Bei stark salzhaltiger Ernährung steigt ihr Blutdruck an. Nicht-Salzsensitive scheiden ein Zuviel an Natriumchlorid dagegen einfach über die Nieren aus. 40 bis 50 Prozent der Bluthochdruckpatienten gehören zu den sogenannten Respondern: Eine salzarme Diät kann ihren Blutdruck um 10 Prozent senken.

Ob jemand salzsensitiv ist oder nicht, hängt von seiner Gen-Ausstattung ab. Doch es ist schwierig, Salzsensitive aufzuspüren, um ihnen gesonderte Ratschläge zu geben. Allerdings wird die Wirkung der meisten blutdrucksenkenden Arzneien durch eine salzarme Kost verstärkt. Man könnte die Dosierung also drastisch vermindern, wenn alle weniger Salz essen würden. „ Deswegen empfiehlt man pauschal auch den Gesunden, salzärmer zu essen“, sagt Joachim Hoyer, Vorstand der Deutschen Hochdruckliga. „Das heißt vor allem: weniger verarbeitete Lebensmittel wie Brot, Wurst, Käse und Fertiggerichte zu konsumieren, weil rund 80 Prozent des täglichen Kochsalzes mit diesen Lebensmitteln aufgenommen werden.“ Der Marburger Mediziner setzt sich gemeinsam mit Kollegen dafür ein, dass in der Industrie weniger Salz zum Einsatz kommt. Das wird manchem Gesunden nicht schmecken, ist jedoch für die bluthochdruckkranken Responder von großem Nutzen. Schließlich sterben weltweit rund 7 Millionen Menschen pro Jahr an den Folgen von Bluthochdruck. Anstatt der hierzulande üblichen 8 bis 12 Gramm Kochsalz täglich sollten es nur 5 bis 6 Gramm sein. Dann gäbe es 24 Prozent weniger Schlaganfälle und 18 Prozent weniger Herzkrankheiten.

Doch es fehlt bislang an überzeugenden Beweisen, dass salzarme Kost für alle tatsächlich gesünder ist. Dazu müssten über viele Jahre Studien mit vielen Menschen durchgeführt werden. Bislang gilt für Gesunde: Das Nachsalzen am Tisch ist sehr wahrscheinlich unbedenklich.

Ohne Titel

Irrtum 9

Eier erhöhen den Cholesterinspiegel

Nein. Zwar riet man jahrelang vom täglichen Frühstücksei ab, da es im Ruf stand, durch seinen hohen Cholesteringehalt (im Eigelb) Herzkrankheiten zu begünstigen. Doch heute weiß man es besser: Das Cholesterin aus der Nahrung hat kaum Einfluss auf das Cholesterin, das in den Adern schwimmt. Cholesterin bildet der Körper nämlich zum Großteil in der Leber selbst, weil der Stoff mannigfaltige Aufgaben im Körper innehat. Es dient zum Beispiel als Bausubstanz für Zellmembranen, Vitamin D und diverse Hormone. Cholesterin ist zudem das Vehikel, mit dem Fette von der Leber über die Blutbahn zu den Gefäßen transportiert werden. Bei einem Cholesterin-Überschuss, aus einem großen Omelette zum Beispiel, reduziert der Körper die Cholesterin-Neubildung in der Leber und schleust zusätzlich überschüssiges Cholesterin über den Darm wieder aus. Wie gut dieses System funktioniert, hängt zwar von der genetischen Ausstattung eines jeden Menschen ab. Bei manchen erhöht sich tatsächlich nach einer Eier-Speise das als schädlich geltende LDL-Cholesterin im Blut – allerdings so minimal, dass Mediziner diesem Effekt keine Bedeutung beimessen. Daten etwa aus der „Physicians‘ Health Study“, einer Langzeit-Studie mit über 20 000 männlichen Harvard-Akademikern, belegen: Selbst wenn bei einem Menschen sechs Eier pro Woche auf dem Speiseplan stehen, hat das keinen Einfluss auf sein Herzinfarkt-, Schlaganfall- oder Mortalitätsrisiko.

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Irrtum 10

Man muss täglich mindestens zwei Liter trinken

Nein. Der Körper braucht laut der Deutschen Gesellschaft für Ernährung nur rund 1,5 Liter Flüssigkeit pro Tag. Was der Mensch über die Nahrung mit Suppe oder Salaten zu sich nimmt, wird hierbei nicht mitgerechnet. Diese Empfehlung gilt für erwachsene Büroarbeiter und deutsches Klima. Die benötigte Menge variiert also je nach Geschlecht, Ernährung, Sportlichkeit und Klima sehr stark. Wer mehr Wasser trinkt, als er physiologisch benötigt, hat keine gesundheitlichen Vorteile. Immer wieder wird jedoch kolportiert, ein hoher Wasserkonsum verhindere Leiden wie Harnwegsinfektionen, Blasen- und Darmkrebs, Bluthochdruck, Herzinfarkt, Thrombosen, Schlaganfall, Zahnkrankheiten, Gallensteine. Laut Ratgeberliteratur soll man sich notfalls zum Wassertrinken zwingen, denn das helfe den grauen Zellen auf die Sprünge, glätte Falten und schütze sogar vor Krebs und Depressionen – das ist jedoch alles nicht bewiesen. „Für eine Wasserzufuhr über den physiologischen Bedarf hinaus, um Krankheiten vorzubeugen, liegen keine überzeugenden Studienergebnisse vor“, stellt Helmut Heseker fest, Ernährungswissenschaftler an der Universität Paderborn.

Doch zu viel kann man fast nicht trinken. „Aufgrund der hervorragenden Fähigkeit zur Ausscheidung von Wasser sind auch höhere Wassermengen gut verträglich, maximal etwa zehn Liter pro Tag“, sagt Heseker. Nur beim Sport sollte man vorsichtig sein. Marathonläufer, die an jeder Wasserstation tanken, riskieren starke Kreislaufprobleme bis hin zu Bewusstlosigkeit. Denn wer beim Sport zu viel trinkt, schwitzt zu viel Natrium aus. Das Gehirn wird dann mit Wasser überschwemmt, und der Hirndruck steigt gefährlich an. Für Freizeitsportler gilt: Vor dem Sport ein großes Glas (200 Milliliter) trinken und hinterher den Durst in Etappen löschen, nicht auf einmal. Nur wer länger als eine Stunde joggt oder Rad fährt, braucht zwischendurch Trinkpausen und sollte dabei regelmäßig kleine Mengen zu sich nehmen. ■

KATHRIN BURGER, Ernährungswissenschaftlerin und Autorin in München, isst, was ihr schmeckt – und gerne in geselliger Runde. Für den Fotografen Ronald Frommann aus Hamburg war es eine Herausforderung, auf kleinstem Raum eine spannende Lichtinszenierung zu verwirklichen.

MEHR ZUM THEMA

LESEN

Weitere fragwürdige Ernährungsratschläge entlarvt unsere Autorin Kathrin Burger in ihrem Buch: DIE VOLLKORNLÜGE UND ANDERE ERNÄHRUNGSMÄRCHEN Herder, Freiburg 2009, € 8,95

Zwei andere empfehlenswerte Bücher zum Thema: Ulrike Gonder, Nicolai Worm MEHR FETT Warum wir Fett brauchen, um gesund und schlank zu sein Systemed, Lünen 2010, € 19,95

Carl Leitzmann DIE 101 WICHTIGSTEN FRAGEN: GESUNDE ERNÄHRUNG C.H. Beck, München 2010, € 9,95

Ohne Titel

Irrtum 3

Man muss seinen Darm regelmäßig entschlacken

Nein, es gibt überhaupt keine Schlacken im Darm. „Viele Menschen glauben, der Darm sei eine Art Güllefass, das man regelmäßig reinigen müsse“, spottet Florian Lippl, Internist an der LMU München. „Dabei finden sich im Darm keine Ablagerungen, außer bei krankhaften Veränderungen der Darmwand, den Divertikeln.“ Trotzdem unterziehen sich Tausende Menschen jährlich einer Fastenkur, nehmen dubiose „Kräuterkrafttabletten“ ein, um „gummiartige, zähe Beläge aus der Darmwand“ abzuleiten – und kommen sich danach meist innerlich gereinigt vor. Was aber nicht an den Ausscheidungen, sondern am Fasten liegt: Bei freiwilligem Nahrungsmangel wird vermehrt Serotonin im Gehirn freigesetzt. Die Kurenden fühlen sich deswegen oft unbeschwert und euphorisch.

Das Konzept der Entschlackung hat viele Väter. Die Anhänger gehen davon aus, dass heutzutage aufgrund von Umweltbelastungen und wegen des hohen Anteils tierischer Produkte in unserer Ernährung die Darmfunktion der meisten Menschen gestört ist. Neuerdings werden neben Algen, Flohsamen und Kräutertabletten auch nützliche Bakterienkulturen – zum Beispiel in probiotischem Joghurt – eingesetzt, um nach der „Ausleitung“ eine neue, günstige Darmflora aufzubauen. Andere fasten einfach so oder spülen ihren Darm mit Salzlösungen. „All das braucht der Körper nicht“, stellt Lippl klar. Im schlimmsten Fall können solche Kuren sogar schädlich sein. Bei langem Fasten baut man Muskeleiweiß ab: Es kann zu Herzrhythmusstörungen kommen. Zudem können sich Harnsteine bilden.

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pro|ba|to|risch  〈Adj.〉 probeweise, zu Beginn durchgeführt (um eine Diagnose stellen zu können) ● ~e Sitzungen bei einem Psychotherapeuten

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