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„Kunstvolle“ Kannibalen-Rituale

Geschichte|Archäologie

„Kunstvolle“ Kannibalen-Rituale
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Bei den Spuren auf diesen Knochenfragmenten handelt es sich um Gravuren. (Foto: Credit Bello et al., 2017)
Ein bisschen Kunst zum makabren Schmaus: Forscher haben einen interessanten Einblick in die kannibalistischen Praktiken der urzeitlichen Briten gewonnen. Auffällige Zickzack-Schnitte auf einem rund 15.000 Jahre alten Armknochen legen nahe, dass menschliche Überreste im Rahmen von kannibalistischen Ritualen verziert wurden. Möglicherweise geschah dies durchaus andächtig: Ein buchstäblicher Leichenschmaus könnte Teil der damaligen Bestattungs-Kultur gewesen sein, sagen die Forscher.

Menschliche Nagespuren an menschlichen Knochen: Funde dokumentieren, dass am Ende der Eiszeit in Europa Kannibalismus praktiziert wurde. Besonders eindrucksvoll belegen dies Entdeckungen aus der Gough’s Cave in der Grafschaft Somerset. Vor etwa 15.000 Jahren haben die Bewohner dieser Höhle Menschenfleisch gegessen, zeigen Spuren an menschlichen Überresten. Unklar ist allerdings, in welchem Zusammenhang. Möglich ist, dass sie schlicht aus Not diese makabere Fleischquelle nutzten. Ebenfalls denkbar ist eine rituelle Verspeisung der Verstorbenen im Rahmen einer Bestattungs-Zeremonie. Ein martialisch-ritueller Hintergrund ist allerdings ebenfalls möglich: Bei den Verspeisten könnte es sich um getötete Feinde gehandelt haben, deren Kraft die Sieger in sich aufnehmen wollten.

Schädelbecher und gravierte Knochen

Auf einen rituellen Hintergrund deuteten bereits Ergebnisse hin, über die das Forscherteam um Silvia Bello vom Londoner Natural History Museum vor ein paar Jahren berichtet hat: Unter den Funden aus der Gough’s Cave befanden sich neben bearbeiteten Knochen auch drei in Form geschlagene Schädelstücke, die möglicherweise als zeremonielle Trinkschalen gedient haben. Auf einen entsprechend rituellen Kontext des Kannibalismus deuten nun auch die aktuellen Ergebnisse hin, sagen Bello und ihre Kollegen.

Bei dem Fund im Fokus handelt es sich um die Überreste eines menschlichen Armknochens, die bereits 1987 in der Gough’s Cave entdeckt worden waren. Die Knochenstücke tragen Schnittspuren, Schlagschäden sowie die eindeutigen Zeichen von Kannibalismus: menschliche Zahnabdrücke. Darüber hinaus sind auffällige Zickzackschnitte sichtbar. Sie warfen die Frage auf: Handelt es sich nur um die Spuren der „metzgerischen“ Bearbeitung des Arms oder um eine absichtliche Gravur des Knochens nach der Entfernung des Fleisches?

Um dies zu klären, nahmen Bello und ihr Team die Stücke nun erneut genau unter die Lupe: Mit modernen Untersuchungsmethoden erfassten sie die Feinstrukturen der Spuren, um Rückschlüsse auf ihre Entstehung zu ermöglichen. Außerdem untersuchten sie, ob die Einkerbungen im Knochen Muster ergeben, die mit künstlerischen Verzierungen aus der fraglichen Zeit vergleichbar sind.

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Buchstäblicher Leichenschmaus?

Aus den Untersuchungsergebnissen schlossen Bello und ihre Kollegen: Bei den Schnittspuren handelt es sich tatsächlich um absichtlich geritzte Gravuren, die einem bestimmten Muster folgen. Interessanterweise werden sie von den Rissen unterbrochen, die entstanden sind, als das Knochenmark entnommen wurde. Demnach wurde im Rahmen der kannibalistischen Praktik zunächst das Fleisch entfernt, der Knochen dann verziert und am Ende wurde er dann noch aufgebrochen. „Die Abfolge der Modifikationen, die an diesem Knochen durchgeführt wurden, deutet darauf hin, dass die Gravur zu einer mehrstufigen kannibalistischen Praxis gehört hat, die offenbar reich an Symbolik war“, sagt Bello.

Über die konkrete symbolische Bedeutung der Gravuren können die Forscher bisher allerdings nur spekulieren. Ihnen zufolge ist es aber gut möglich, dass die Verzierung zu einer kannibalistischen Bestattungszeremonie gehört hat. Auch die drei bearbeiteten Schädel-Becher könnten dabei eine Rolle gespielt haben. Genau dieser Spur gehen die Forscher nun weiter nach: Durch Analysen von fossiler DNA wollen sie klären, ob eines der skurrilen Gefäße von genau dem Toten stammt, dessen Armknochen verziert worden war.

Originalarbeit der Forscher:

© wissenschaft.de – Martin Vieweg
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