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Das Echo des Urknalls

Astronomie|Physik Erde|Umwelt Geschichte|Archäologie

Das Echo des Urknalls
Präzisionsmessungen vom „ersten Licht“ des Weltalls verraten, in welchem Universum wir leben.

Winzige Wellen, so weit das Auge reicht. Regelmäßig kräuseln sie die fast spiegelglatte Wasseroberfläche und erstrecken sich von Horizont zu Horizont. Was man am Strand von Noordwijk sehen kann, ist in gewisser Weise typisch – ein Bild, das von anderen Ufern und in anderen Blickrichtungen ganz ähnlich erscheint.

Und doch ist an diesen Tagen, Anfang April, die niederländische Nordseeküste ein besonderer Ort: Hier, am Forschungs- und Testzentrum ESTEC (European Space Research and Technology Centre) der Europäischen Raumfahrtagentur ESA, geht es buchstäblich ums Ganze – um das ganze Universum. Und das hat mit der Nordsee einiges gemeinsam. Zumindest, wenn man es im Licht der kosmischen Mikrowellen betrachtet. Denn im schwachen Schein der langwelligen Strahlung ist das All im großen Maßstab tatsächlich fast homogen und isotrop – also überall und in jeder Richtung gleich. Es zeigt wie das Meer Kräuselungen. Außerdem ist es im geometrischen Sinn glatt, und zwar von Horizont zu Horizont.

Das alles schließen Kosmologen aus der neuen Gesamthimmelskarte, die das ESA-Satellitenteleskop Planck aus Messungen der Kosmischen Hintergrundstrahlung gewonnen hat. Diese Strahlung ist ein physikalisches Fossil des frühen Universums. Denn sie entstand nur 385 000 Jahre nach dem Urknall, als die Temperatur des Universums unter 3000 Grad Celsius gefallen war. Damals bildeten sich die ersten Atome in dem heißen Plasma-Gemisch aus Protonen, Deuterium-, Tritium-, Helium- und Lithium-Kernen sowie freien Elektronen. Dann wurde der Weltraum durchsichtig. Zuvor waren die Photonen nicht weit gekommen, sondern ständig an Elektronen gestreut worden, absorbiert und wieder emittiert – wie heute noch im Inneren der Sterne. Freilich war damals das ganze Universum dichter und heißer, als es die brodelnden Feuerbälle jetzt sind. Doch als der Plasma-Nebel aufklarte und die Atome entstanden, hatte die elektromagnetische Strahlung freie Bahn. Und dieses erste Licht – gut 400 Photonen davon gibt es noch in jedem Kubikzentimeter Weltraum – erfüllt bis heute als Kosmische Hintergrundstrahlung das All. Sie wurde durch die Expansion des Raums aber in den Mikrowellenlängenbereich „gestreckt“, verlor also Energie. Und das Universum wurde kälter.

Die Hintergrundstrahlung kann metaphorisch als Nachhall des Urknalls bezeichnet werden. Denn das darin erkennbare charakteristische Muster von winzigen Temperaturschwankungen spiegelt die unterschiedlichen Schallwellen im heißen Urplasma wider. Aufgrund der bis heute anhaltenden Ausdehnung des Weltraums hat sich die Hintergrundstrahlung immer weiter abgekühlt. Inzwischen liegt ihre Temperatur nur noch bei etwa minus 270 Grad Celsius. Genauer: 2,725 Grad über dem absoluten Nullpunkt.

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Die erstmals 1992 vom NASA-Satelliten COBE (Cosmic Background Explorer) gemessenen winzigen Temperaturschwankungen der Hintergrundstrahlung betragen lediglich wenige Hunderttausendstel Grad. Ihre Verteilung ist ein Relikt aus der Entstehungsphase des Alls, eine Art Himmels-Code. Der lässt sich mathematisch entschlüsseln und verrät viele der grundlegenden Eigenschaften des Universums. Insofern ähnelt die moderne Kosmologie den großen Forschungsreisen, bei denen mutige Seefahrer die Meere erkundet haben, um Neuland zu entdecken und herauszufinden, wie groß die Welt ist und woraus sie besteht. Und so, wie die Pioniere einst neue Kontinente und Ozeane erschlossen haben, kundschaften Kosmologen heute das Universum aus, um die letzten großen weißen Flecken ihrer Karten zu füllen. Es ist also gerade eine einmalige und aufregende Zeit für die Erforschung des Weltraums.

Tatsächlich hat das am ESTEC getestete und 2009 gestartete Weltraumteleskop Planck – eine der bislang aufwendigsten astronomischen Satelliten-Missionen Europas – einige Eigenschaften des Universums bis an die Grenzen der Messgenauigkeit bestimmt. „Doch die etwa zehn Terabyte Daten sind noch nicht vollständig analysiert“, sagt Planck-Missionsleiter Jan Tauber vom ESTEC. Und so werden in den nächsten zwei, drei Jahren grundlegende Zahlen der kosmologischen Parameter herausdestilliert, die voraussichtlich sehr lange in den künftigen astronomischen Lehrbüchern stehen werden.

„Plancks Detektoren arbeiteten am Quantenlimit, das ist kaum noch zu überbieten“, sagt Matthias Bartelmann von der Universität Heidelberg. Bevor er dort am Institut für Theoretische Astrophysik Professor wurde, hatte er am Max-Planck-Institut für Astrophysik in Garching bei München ab 1997 die deutsche Beteiligung an der Planck-Mission aufgebaut. „Rund 500 Forscher und Ingenieure aus über 100 Instituten in Europa, aber auch in Kanada und den USA, haben den Satelliten konzipiert, konstruiert, getestet und im All betrieben“, sagt Tauber. Nun schürfen sie das wissenschaftliche Gold aus dem Datenschatz. Der ist neben Plancks 1,5 Meter großem Teleskopspiegel und vielen technischen Raffinessen vor allem der perfekten Kühlung eines Teils der Detektoren zu verdanken – auf nur 0,1 Grad über dem absoluten Nullpunkt. Damit war die Sonde das kälteste Objekt im Weltraum.

In mehrjähriger Arbeit haben die Wissenschaftler die Daten der ersten 15,5 Monate Messzeit nun ausgewertet. Das Ergebnis ist die genaueste Gesamthimmelskarte der Kosmischen Hintergrundstrahlung. Die Planck-Karte ist fast 20 Mal so präzise wie die bisher beste Karte zuvor. Diese hatte der 2001 gestartete NASA-Satellit WMAP (Wilkinson Microwave Anisotropy Probe) innerhalb von neun Jahren Messzeit aufgenommen – veröffentlicht wurde sie im Dezember 2012. Planck konnte gegenüber WMAP die Messempfindlichkeit auf das Zehnfache und die Winkelauflösung auf das Dreifache steigern.

Außerdem hat die ESA-Sonde das Frequenzspektrum um den Faktor 10 erweitert – WMAP war für maximale Frequenzen von 94, Planck dagegen von 857 Gigahertz ausgelegt. Das wiederum ermöglichte es, den Strahlungsvordergrund durch Störquellen im Sonnensystem, in der Milchstraße sowie durch andere Galaxien und Galaxienhaufen präziser als jemals zuvor zu charakterisieren und dann herauszurechnen.

Entsprechend groß war die Erwartung – nicht nur der Kosmologen –, als Plancks Karte der Kosmischen Hintergrundstrahlung bei einer Pressekonferenz am 21. März im ESA-Hauptquartier in Paris vorgestellt wurde. George Efstathiou von der Cambridge University, einer der Planck-Projektleiter, erläuterte die Daten und sprach von einer „Goldmine der Information“. Und tatsächlich verraten diese genauesten Messungen der Mikrowellenstrahlung in der Geschichte der Menschheit die grundlegenden Kennziffern unseres Universums. Aber sie haben auch neue Rätsel aufgeworfen, die die Kosmologie sogar bis in ihre Grundfesten erschüttern könnten (siehe „Die Achse des Bösen“, ab S. 52).

Himmlische Botschaft

„Planck ist quasi das Humangenom-Projekt der Kosmologie“, sagt Marc Kamionkowski von der Johns Hopkins University in Baltimore. „ Es zeigt die Keime, aus denen das heutige Universum herangewachsen ist.“ Denn das Fleckenmuster der Temperaturschwankungen spiegelt Dichteunterschiede im Plasma wider, die aufgrund der größeren Schwerkraft dort im Lauf einiger Hundert Millionen Jahre zu Sternen, Galaxien und Galaxienhaufen angewachsen sind.

Doch das ist nicht alles. In der Verteilung der unterschiedlich großen und kalten Flecken steckt gleichsam der Code des Kosmos. Die Forscher beschreiben ihn mathematisch in Form eines Winkelleistungsspektrums (siehe Grafik S. 48, „Der Fingerabdruck unseres Universums“). Es verdichtet gewissermaßen die Information im Restrauschen des Urknalls und erlaubt eine Berechnung der kosmologischen Parameter – also der grundlegenden Kenngrößen, die unser Universum charakterisieren.

„Besser als mit Plancks Winkelleistungsspektrum geht es kaum“, sagt Matthias Bartelmann. „Nur auf den kleinsten Winkelskalen sind Aufnahmen von irdischen Teleskopen schärfer. Doch die können bloß kleine Bereiche des Himmels scannen. Und sie liefern auch nicht viele Informationen über die Frühzeit des Alls, weil das Spektrum hier durch Vordergrundeffekte stark gedämpft wird. Wir haben also die naturgegebenen Grenzen fast ausgereizt.“

Entsprechend genau ist jetzt die Lektüre des kosmischen Codes. Und die himmlische Botschaft – das zeigte die nachösterliche Konferenz am ESTEC in Noordwijk in vielen Facetten – stimmt sehr gut mit der Lesart von WMAP seit 2003 überein, ebenso wie mit weiteren kosmologischen Messungen anhand von Sternexplosionen, Galaxienhaufen und anderen Beobachtungen. Kleineren Differenzen zum Trotz ist das ein riesiger Erfolg, denn die Methoden der beiden Sonden sind sehr verschieden. Und so haben die Forscher innerhalb eines Jahrzehnts nun ein zwar seltsames, aber erstmals in der Geschichte der modernen Kosmologie widerspruchsfreies und empirisch gut fundiertes Modell des Universums entwickelt. Zwei Nobelpreise dafür gab es schon, weitere dürften folgen.

Das Weltall auf einer Seite

Im März hat das Planck-Team nach harter Arbeit 28 Fachartikel im Internet als Vorabversionen veröffentlicht, die in der Zeitschrift Astronomy and Astrophysics gedruckt werden. Fast 1000 Seiten sind es insgesamt. Aber der bedeutendste Teil des kosmischen Codes lässt sich auf einer Seite zusammenfassen (siehe Tabelle S. 49, „Kosmische Kennziffern“). „Die wichtigste Schlussfolgerung ist die exzellente Übereinstimmung von dem Temperaturspektrum bei kleinen Winkeln und den Voraussagen des LCDM-Modells“, schreiben die Forscher. „Alle gegenwärtigen Messungen können erstaunlich gut mit seinen sechs Parametern beschrieben werden.“ Das LCDM-Modell („L“ sprich „Lambda“) ist das Standardmodell der Kosmologie. Es ist nach den Hauptbestandteilen des Alls benannt. Zum Vergleich: Im Standardmodell der Teilchenphysik sind rund 25 nicht weiter ableitbare „Kennziffern“ nötig, etwa zu den Massen der Teilchen und der Stärke ihrer Wechselwirkungen. „Ein fantastisches Ergebnis“, kommentierte Bartelmann die Planck-Resultate. „ Überraschend, wie gut das kosmologische Standardmodell bestätigt wurde.“

Mit 68,3 Prozent der Gesamtenergiedichte entfällt der größte Teil auf die mysteriöse Dunkle Energie, die seit sechs Milliarden Jahren die Ausdehnung des Universums eigenartigerweise beschleunigt (bild der wissenschaft 4/2010, „Das Universum ist ganz anders!“). Niemand weiß, was sich dahinter verbirgt. Die einfachste Erklärung ist die bereits von Albert Einstein 1917 in die Allgemeine Relativitätstheorie und Kosmologie eingeführte Kosmologische Konstante, genannt Lambda (L). Sie kann als Energiedichte des Vakuums interpretiert werden. Es gibt auch andere Hypothesen, etwa die eines zeitlich veränderlichen Skalarfelds namens Quintessenz, aber Plancks Daten sind mit L bestens vereinbar.

Fast ein Drittel, Plancks Messungen zufolge 26,8 Prozent, ist die nicht weniger rätselhafte Kalte Dunkle Materie (cold dark matter, CDM). Sie besteht vermutlich aus noch unbekannten, nicht elektromagnetisch wechselwirkenden Elementarteilchen (bild der wissenschaft 12/2011, „Dunkle Materie“). Da die Heiße Dunkle Materie nicht weiter ins Gewicht fällt (siehe Kasten S. 50, „ Heiß, dunkel und sehr leicht“), macht die gewöhnliche Materie – überwiegend Protonen, Neutronen und Elektronen – lediglich 4,9 Prozent der Gesamtenergiedichte aus.

Wäre das Universum ein Cappuccino, stünde der Espresso für L, der Milchschaum für CDM – und all das, was wir direkt beobachten können und woraus wir selbst bestehen, wäre bloß das Kakaopulver. Das ist der Fortschritt der modernen Kosmologie: Heute wissen wir sehr genau, was wir nicht kennen – und das sind 95 Prozent von allem.

Die flache Welt

Immerhin hat sich die Bilanz etwas verbessert. Denn im Vergleich zu den WMAP-Messungen wiegt die dunkle Seite des Universums nach Plancks Messungen etwas weniger schwer. „Wir verstehen jetzt also etwas mehr vom Universum“, schmunzelte Efstathiou, weil der Prozentsatz der gewöhnlichen Materie etwas größer ausfiel als zuvor angenommen. Der am besten passende WMAP-Datensatz ging von 72,8 Prozent Dunkler Energie, 22,7 Prozent CDM und 4,5 Prozent gewöhnlicher Materie aus. Die Diskrepanz zu Planck zeigt, dass hier wirklich Präzisionskosmologie betrieben wird – vor WMAP waren die Daten wesentlich unsicherer.

Mehr noch: Erst seit dem Jahr 2001 gibt es überhaupt valide Hinweise, ebenfalls mithilfe von Messungen der Hintergrundstrahlung, dass der Weltraum geometrisch „flach“ ist, also ungekrümmt (bild der wissenschaft 6/2001, „Die flache Welt“ ). Das heißt, die Gesamtenergiedichte entspricht gerade der sogenannten kritischen Dichte zwischen einem sphärischen („ geschlossenen“) und einem hyperbolischen („offenen“) Universum. Um eine Raumdimension reduziert, könnte man sich die Metrik wie die Oberfläche einer Kugel oder eines sattelähnlichen Gebildes vorstellen – und den flachen Grenzfall zwischen diesen positiv und negativ gekrümmten Geometrien als Ebene.

Planck zufolge ist der Weltraum auf ein Prozent genau „flach“ – und somit im einfachsten Modell unendlich groß, wenn er auch jenseits des Beobachtungshorizonts „flach“ wäre. Im Gegensatz zu den kühnen Forschungsreisenden, die über die Weltmeere segelten und die Erde umrundeten, könnte ein Raumfahrer bei einem Geradeausflug daher nicht mehr zum Ausgangspunkt zurückkehren.

Kleine Schönheitsfehler

„Die Daten von Planck passen extrem gut zum Standardmodell der Kosmologie“, fasst Torsten Enßlin zusammen. „Die kosmologischen Parameter konnten mit Planck jetzt so genau bestimmt werden wie nie zuvor. Und unsere Analyse bestand mit Bravour alle Vergleichstests mit diversen anderen astronomischen Beobachtungen.“ Enßlin leitet als Nachfolger von Matthias Bartelmann die am Max-Planck-Institut für Astrophysik in Garching angesiedelte deutsche Beteiligung an der Planck-Mission. Dort werden unter anderem die Software-Infrastruktur bereitgestellt, die Analysen organisiert und die Daten archiviert.

Plancks Winkelleistungsspektrum liegt gut zwei Prozent unter der aus WMAPs Messungen extrahierten Kurve. Das erklärt die meisten Diskrepanzen zwischen den LCDM-Modellversionen der besten Werte für die kosmologischen Parameter. „Es deutet auch darauf hin, dass es ein kleines Problem mit der Eichung gibt“, sagt Enßlin. Ob der systematische Fehler bei WMAP, bei Planck oder bei beiden liegt, wird derzeit intensiv untersucht. Plancks Detektoren waren zwar viel empfindlicher als die von WMAP, doch war das Teleskop stets auf eine Himmelsstelle gerichtet, während WMAP Temperaturdifferenzen zwischen zwei Regionen maß, was im Prinzip einfacher ist. Andererseits mussten die schlechter aufgelösten WMAP-Daten mit Messungen irdischer Teleskope bei kleineren Winkelskalen verknüpft werden, was eine weitere Fehlerquelle birgt. Planck deckte auch diese Skalen ab und maß Werte in guter Übereinstimmung mit denen der anderen Teleskope. Wo auch immer das Problem liegt – Enßlin ist zuversichtlich, dass es sich bald klären lässt. Dann werden die kosmischen Kennzahlen so genau bekannt sein, wie Albert Einstein und seine Zeitgenossen nicht einmal zu träumen wagten.

Doch Planck und WMAP sind weniger Konkurrenten als Kooperationspartner. Denn wissenschaftliche Messungen bedürfen immer unabhängiger Kontrollen, um Fehlerquellen auszuschließen. Außerdem enthalten die momentan besten kosmologischen Parameter-Werte von Planck auch WMAP-Daten, nämlich von der großräumigen Polarisation der Hintergrundstrahlung. Die hat Planck zwar ebenfalls gemessen, doch die Wissenschaftler sind noch nicht so weit, ihre im Prinzip genaueren Daten zuverlässig einzuordnen.

„Die Kalibrierung ist schwierig, denn wir müssen die ebenfalls polarisierende Wirkung des Staubs in der Milchstraße herausrechnen“, sagt Enßlin. „Wir wollten nicht das Risiko eingehen, dabei einen Fehler zu machen und unseren Wert später revidieren zu müssen.“ Immerhin scheinen die Polarisationsdaten gut mit denen vom WMAP übereinzustimmen, wie das Planck-Team in Noordwijk demonstrierte. Die genaue Analyse soll in etwa einem Jahr fertig sein.

„Die Polarisation der Hintergrundstrahlung entsteht bei der Streuung der Photonen an freien Elektronen“, erklärt Enßlin. Das geschah zu unterschiedlichen Zeiten. Die kleinskaligen Polarisationsdaten werden viel über die Zeit kurz nach dem Urknall verraten, vor allem über die Kosmische Inflation. Schon jetzt haben Plancks Daten wichtige Erkenntnisse zu diesem noch nicht gesicherten Szenario geliefert. Ihm zufolge hat eine exponentielle Ausdehnung des Weltraums im ersten Sekundenbruchteil nach dem Urknall das Universum groß gemacht und mit Materie gefüllt (bild der wissenschaft 12/2000, „Modell Klassik“). Darüber wird bdw noch ausführlich berichten.

Weltalter: 13,8 Milliarden Jahre

Eine der Überraschungen der Planck-Resultate betrifft die ehrwürdige Hubble-Konstante (H0). Sie wurde 1929 von dem amerikanischen Astronomen Edwin Hubble definiert und bezeichnet die heutige Expansionsrate des Weltraums. Im Rahmen des LCDM-Modells beträgt der beste H0-Wert Plancks Messungen zufolge 67,8 plus/ minus 0,8 Kilometer pro Sekunde und Megaparsec. Somit dehnt sich eine Strecke von einem Megaparsec (3,26 Millionen Lichtjahren) um 67,8 Kilometer pro Sekunde aus – zumindest in den Leerräumen zwischen den Galaxienhaufen, wo es praktisch keine störenden Schwerkrafteinflüsse gibt.

Dieser neue Wert ist etwas geringer als der von Helligkeitsmessungen variabler Sterne und Supernovae. Das wirkt sich auf die Datierung des Universums aus. Denn das Weltalter hängt ab von H0 und von L. Plancks Ergebnis: Wir leben heute 13,8 Milliarden Jahre nach dem Urknall. Dieser Wert ist nun auf plus/minus 50 Millionen Jahre genau bekannt – eine Präzision, die vor zwei Jahrzehnten utopisch erschien. Damals wurde ein Weltalter von 11 bis über 30 Milliarden Jahren diskutiert. Der neue Wert ist etwas höher als der bis vor Kurzem noch angenommene. „Jeder von uns ist also ungefähr 100 Millionen Jahre älter als gedacht“, scherzt George Efstathiou. N

RÜDIGER VAAS, bdw-Redakteur für Astronomie, genoss nach der Planck-Konferenz in Noordwijk den Sternenhimmel über der Nordsee.

von Rüdiger Vaas

Ohne Titel

Kompakt

· Die europäische Raumsonde Planck hat die Kosmische Hintergrundstrahlung sehr genau vermessen und gleichsam das schärfste „Babyfoto“ des Alls gemacht.

· Die Daten zeigen: Der Weltraum ist auf großen Skalen nahezu ungekrümmt und enthält nur zu 5 Prozent gewöhnliche Materie. 95 Prozent sind dunkel und rätselhaft.

· Kontroversen gibt es wieder einmal um den Wert der Hubble-Konstanten, von dem das Alter des Universums abhängt – nun auf 13,8 Milliarden Jahre beziffert.

Gut zu wissen: Das Winkelleistungsspektrum der Hintergrundstrahlung

In den Temperaturschwankungen der Kosmischen Hintergrundstrahlung steckt eine Art kosmischer Code. Mathematisch lassen sie sich durch einen Satz von Funktionen beschreiben – ähnlich wie bei der Fourier-Entwicklung, mit der sich Signale in einzelne Frequenzen zerlegen lassen. Dieses sogenannte Winkelleistungsspektrum gibt also an, wie die Stärke der Fluktuationen mit ihrer Größe variieren. Je größer der Multipol, desto feinere Strukturen beschreibt das Spektrum. Daraus kann man grundlegende Eigenschaften des Alls errechnen. Besonders instruktiv sind Lage und Höhe der Maxima, die letztlich auf Schallwellen im heißen Plasma des frühen Universums zurückgehen und Obertönen entsprechen. Das erste Maximum liegt bei etwa 0,9 Grad, das zweite bei 0,3 Grad (zum Vergleich: der Vollmond misst 0,5 Grad am Himmel). Befinden sich zwei Regionen am Mikrowellenhimmel um einen solchen Winkel voneinander entfernt, sind ihre Temperaturunterschiede besonders groß.

· Falls die Gravitationswellen kurz nach dem Urknall stark genug waren, hätten sie Spuren im Polarisationsmuster der Hintergrundstrahlung hinterlassen sowie das Sachs-Wolfe-Plateau beeinflusst (benannt nach den Physikern Kurt Sachs und Michael Wolfe). Genauere Daten hierzu werden mit Spannung erwartet. Dieser Bereich bei großen Winkel- skalen könnte außerdem Aufschlüsse über die Topologie – die „globale Gestalt“ – des Universums geben.

· Die Gesamtkrümmung oder Geometrie des Weltraums bestimmt die Lage des ersten Maximums und ist nahezu „flach“. Wäre sie sphärisch, läge das Maximum weiter links, wäre sie hyperbolisch, befände es sich weiter rechts.

· Die Dichte der gewöhnlichen Materie aus Baryonen (Protonen und Neutronen) zeigt sich in der Höhe des zweiten Maximums. Bei größerer Dichte wäre es niedriger, bei geringerer fiele es höher aus. (Das gilt auch für das vierte und sechste Maximum, bei den ungeradzahligen Maxima ist es umgekehrt.)

· Die Dichte der kalten Dunklen Materie spiegelt sich im dritten Maximum wider. Es wäre höher, wenn es mehr und niedriger, wenn es weniger von diesen noch unbekannten Elementarteilchen gäbe, die nicht elektromagnetisch wechselwirken.

· Der Anteil der Dunklen Energie beeinflusst die Höhe des gesamten Spektrums. Gäbe es weniger von diesem ominösen Hauptbestandteil des Alls, wäre die Kurve etwas niedriger.

Heiß, dunkel und sehr leicht

Das Universum scheint es mit dem Sprichwort „Aller guten Dinge sind drei“ zu halten – zumindest, was die Zahl der Neutrino-Arten betrifft. Im Standardmodell der Elementarteilchenphysik sind Elektron-, Myon- und Tauon-Neutrinos (und ihre Antiteilchen) nachgewiesen. Diese geisterhaften Vettern des Elektrons wechselwirken kaum mit normaler Materie und sind nicht elektromagnetisch, sie besitzen nur eine winzige Ruhemasse und rasen fast lichtschnell durchs All. Sie werden daher auch als Heiße Dunkle Materie bezeichnet. Sie haben heute eine Temperatur von 1,9 Kelvin, und pro Kubikzentimeter Weltraum gibt es gut 100 dieser flinken Teilchen.

Weil Neutrinos – und mögliche andere relativistische Teilchen – die Temperaturschwankungen in der Hintergrundstrahlung geringfügig glätten, erlauben Plancks Messungen auch Rückschlüsse auf diese Partikel. „Neutrinos sind nötig, um die Eigenschaften der Hintergrundstrahlung zu erklären“, sagt Planck-Teammitglied Alessandro Melchiorri von der Universität Rom La Sapienza. Mit anderen Worten: Wenn wir keine Neutrinos kennen würden, müssten wir sie erfinden. Mehr noch: Die Planck-Daten liefern 0,23 Elektronenvolt als obere Massengrenze für die Summe der Einzelmassen der drei Neutrino-Typen. Und sie lassen darauf schließen, dass es keine vierte Neutrino-Art gibt. Das steht in Einklang mit Experimenten der Teilchenphysiker und Daten zur Nukleosynthese in den ersten Minuten des Urknalls. Allerdings lassen Plancks Resultate noch einen gewissen Spielraum – vor allem, wenn die Hubble-Konstante relativ hoch ist. Auch die Existenz eines vierten Neutrino-Typs ist aus Plancks Sicht möglich. „Sterile“ Neutrinos, die schwerer sind als zehn Elektronenvolt, nicht der schwachen Wechselwirkung unterliegen und von spekulativen Modellen der Teilchenphysik postuliert werden, sind ebenfalls nicht ausgeschlossen, meint Melchiorri.

Die Geschichte unseres Universums

13,82 Milliarden Jahre im Überblick: Die größten Veränderungen geschahen in den ersten 100 Sekunden. Zeit- und Größenskala sind nicht maßstabsgetreu. Die Kosmische Hintergrundstrahlung zeugt als „erstes Licht“ von der Frühzeit des Alls.

Der Fingerabdruck unseres Universums

Die Größe und Verteilung der Temperaturschwankungen in der Kosmischen Hintergrundstrahlung (Bild oben) lässt sich mit einem Winkelleistungsspektrum mathematisch beschreiben. Es ist eine der genauesten und wichtigsten Informationsquellen über unser Universum. Der Kurvenverlauf spiegelt die „Schwingungen“ des heißen Urgases wider. Daraus lassen sich viele grundlegende Eigenschaften des Weltalls errechnen (siehe „Gut zu wissen“ -Kasten auf S. 46 und Tabelle rechts).

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Präzisionskosmologie mit Planck: Die Daten der Raumsonde lassen Rückschlüsse auf den Wert wichtiger Parameter mit Ungenauigkeiten von nur wenigen Prozent zu. Angegeben sind einerseits die Parameterwerte, wie sie aus den Planck-Messungen allein errechnet wurden (links), und andererseits noch zuverlässigere Werte, in die weitere Messungen eingegangen sind: Polarisationsdaten der WMAP-Sonde zur Bestimmung von t, Temperaturmessungen der Hintergrundstrahlung auf kleinen Winkelskalen durch irdische Teleskope sowie „Baryonische Akustische Oszillationen“, die die Verteilung von Galaxienhaufen charakterisieren und letztlich eine Folge der Dichtefluktuationen des Urgases sind. Parameter, die von der Hubble-Konstante H0 abhängen, werden mit h = H0/(100 km s-1 Mpc-1) multipliziert. Ein Megaparsec (Mpc) sind 3,26 Millionen Lichtjahre. Die Dichte-Parameter Ω beziehen sich auf ein geometrisch „flaches“ Universum ( Ωbh2 + Ωch2 + ΩL ; 1) mit der Kosmologischen Konstante L als Dunkle Energie. Dieses einfache Modell ist mit den Planck-Daten sehr gut vereinbar. Kleine Abweichungen von der „ Flachheit“ und Alternativen zu L sind aber nicht ausgeschlossen. Die Fehlergrenzen der Parameter in der Tabelle bedeuten, dass der richtige Wert mit 68 Prozent Wahrscheinlichkeit in diesem Bereich liegt.

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