„Den Anstoß zu der Studie haben Beschreibungen und Zeichnungen der symbiotischen Organe von Schildkäfern gegeben, die der deutsche Zoologe Hans-Jürgen Stammer vor mehr als 80 Jahren angefertigt hat“, sagt Hassan Salem vom Max-Planck-Institut für chemische Ökologie in Jena. Stammer hatte bereits 1936 dokumentiert, dass Distelschildkäfer (Cassida rubiginosa) mit seltsamen Organen ausgestattet sind: Sie besitzen sackartige Ausstülpungen am Darm, in denen symbiotische Bakterien hausen.
Diese offenbar kostbaren Untermieter werden von den weiblichen Käfern auf die Nachkommen übertragen, indem jedes Käfer-Ei mit einer kleinen Symbiontenhaube versehen wird. Wenn die Larve aus dem Ei schlüpft, frisst sie dieses Häubchen, um sich die symbiotischen Bakterien einzuverleiben, beschrieb Stammer. „Dieser außergewöhnlichen Partnerschaft zwischen Käfer und Bakterium wollten wir mit modernen molekularbiologischen Untersuchungsmethoden auf den Grund gehen“, erklärt Salem.
Untermiete wird mit Werkzeugen bezahlt
Zunächst zeigte sich: Die Käfer sind in der Lage, einen besonders hartnäckigen Bestandteil der pflanzlichen Zellwände abzubauen: Pektin. Allerdings offenbarten genetische Untersuchungen, dass der Distelschildkäfer selbst keine Gene besitzt, die den Bauplan für entsprechende Pektinase-Enzyme enthalten. Somit wurde klar: Diese Werkzeuge stellt der Symbiosepartner bereit – im Gegenzug wird er vom Käfer versorgt. „Als wir die Enzymaktivität in Distelschildkäfern mit und ohne Symbiose-Bakterien verglichen, stellten wir fest, dass Distelschildkäfer ohne Symbionten kein Pektin mehr abbauen können, um an die Nährstoffe in den pflanzlichen Zellen zu gelangen“, berichtet Co-Autor Roy Kirsch.
Erst die genetische Untersuchung des Symbiose-Bakteriums sorgte dann allerdings für die große Überraschung: Das Erbgut des Untermieters ist auf wenige hundert Gene reduziert, unter denen einige die Produktion und den Transport von Pektinasen regulieren. Mit lediglich rund 270.000 Basenpaaren hat das Bakterium das kleinste jemals beschriebene Genom eines Organismus, der außerhalb einer Wirtszelle existiert. Zum Vergleich: Das bekannte Darmbakterium Escherichia coli, das im Darm des Menschen lebt, hat 4.600.000 Basenpaare. Ein noch kleineres Genom als das des Käfer-Symbionten ist nur von Bakterien bekannt, die innerhalb der Zellen ihrer Wirte leben.
Gemeinsam sind sie stark
Es handelt sich um eine erstaunlich klare Arbeitsteilung zwischen Käfer und Bakterium, betonen die Forscher: „Der Käfer besitzt die Gene, die für die Bildung von Enzymen verantwortlich sind, die Zellulose verdauen, während der Symbiont Pektinasen zur Verfügung stellt. Zusammen haben sie alle notwendigen Enzyme, um die pflanzliche Zellwand abbauen zu können“, sagt Salem. Co-Autor Martin Kaltenpoth von der Universität Mainz ergänzt: „Es ist wirklich faszinierend, wie unterschiedlich Insekten das Problem gelöst haben, die Zellwände von Pflanzen aufzubrechen. Warum manche Insekten dafür selbst Gene besitzen, während andere die Aufgabe Symbionten überlassen, ist eine spannende Frage für zukünftige Untersuchungen“, so der Biologe.