Mit dem Beginn der Kreidezeit vor rund 145 Millionen Jahren breiteten sich die Blütenpflanzen über die Welt aus. Ihr Siegeszug bot unzähligen Tierarten ganz neue ökologische Nischen und Nahrungsquellen – auch vielen Insekten. Um an den Nektar in den Blüten heranzukommen, wandelten einige Insektengruppen, darunter die Schmetterlinge, ihre zuvor beißenden Mundwerkzeuge in einen Saugrüssel um – so die gängige Theorie. Doch ob dieses Szenario stimmt und wann die ersten Motten und Schmetterlinge tatsächlich erstmals Saugrüssel entwickelten, konnte Paläontologen allenfalls vermuten. Weil die zarten Motten und Schmetterlinge nur selten als Fossil erhalten geblieben sind, fehlte es schlicht an fossilen Belegen. Die bisher ältesten Funde von Schmetterlingen mit Saugrüssel waren knapp 130 Millionen Jahre alt, was den Ursprung dieser Gruppe erst nach Ausbreitung der Angiospermen zu stützen schien.
Doch nun widerspricht ein neuer Fossilfund diesem klassischen Bild. Timo van Eldijk von der Universität Utrecht und seine Kollegen haben in der Nähe von Braunschweig sehr viel ältere Schmetterlings-Fossilien entdeckt. Fündig wurden sie in einem Sedimentbohrkern, in dem die Überreste eines rund 200 Millionen Jahre alten Urzeit-Tümpels konserviert waren. Bei der Untersuchung der Proben entdeckten die Forscher zwischen Pollen, Sporen, Pflanzenteilen und Insektenbeinen auch zarte, schuppenähnliche Gebilde. Wie van Eldijk und seine Kollegen herausfanden, handelte sich um die Flügelschuppen von urzeitlichen Motten. Das Spannende daran: Einige dieser Flügelschuppen besaßen Merkmale, die typisch für die Gruppe der Glossata sind – den Motten und Schmetterlingen mit Saugrüssel.
Wasser statt Nektar
Demnach existierten diese Schmetterlinge schon vor rund 200 Millionen Jahren – rund 70 Millionen Jahre früher als bisher angenommen. Damit aber haben diese Insekten ihren Saugrüssel schon lange vor der Verbreitung der Blütenpflanzen entwickelt. Auf das bisherige Konzept der Koevolution von Schmetterlingen und Blüten wirft dies ein ganz neues Licht. „Dass es Schmetterlinge schon vor den Blumen gab, ist merkwürdig, um es mal vorsichtig auszudrücken“, sagt Koautor Paul Strother vom Boston College. „Es widerspricht der gängigen Annahme, dass die Ausbreitung der saugrüsseltragenden Schmetterlinge und Motten in Anpassung an die Evolution der Blütenpflanzen geschah.“
Das allerdings wirft die Frage auf, warum diese Urzeit-Motten ihre beißenden Mundwerkzeuge zu Rüsseln umfunktionierten. Über eine Antwort können die Paläontologen zwar nur spekulieren, aber ein Szenario gäbe es ihrer Meinung nach. Demnach könnte der Rüssel zuerst als Trinkwerkzeug entstanden sein – um den Motten die Wasseraufnahme während einer eher trockenen Klimaperiode zu erleichtern. Mit ihrem Rüssel konnten die Insekten besser Pflanzensafttropfen trinken, die aus verletzten Blättern ausgetreten waren. Aber auch Pollentropfen, die viele Urzeit-Nadelbäume absonderten, könnten den Urzeit-Motten als kombinierte Futter und Wasserquelle gedient haben. Erst später, als sich dann die Blütenpflanzen ausbreiteten, begannen die Schmetterlinge ihre Saugrüssel als Werkzeug zum Nektarschlürfen einzusetzen – eine Ernährungsweise, die sich bis heute erhalten hat.