Gähnen gilt landläufig als Zeichen von Müdigkeit oder Langweile. Doch dahinter steckt noch mehr: Der Ansteckungseffekt dieses unwillkürlichen Verhaltens hat auch eine soziale Funktion und spiegelt die Fähigkeit eines Tierart zur Empathie wider. Denn wenn wir nach Beobachten eines anderen Gähners ein ebensolches kaum unterdrücken können, dass liegt das daran, dass unser Gehirn sich in den Zustand des Gegenübers versetzt. Ohne dass wir uns dessen bewusst sind, löst es dann bei uns eine zu diesem Zustand passende Reaktion aus: Wir gähnen. Studien zeigen zudem, dass dieser Ansteckungseffekt umso besser funktioniert, desto näher wir dem Gähnenden stehen. Dass wir auch Hunde mit Gähne anstecken können, werten Forscher daher auch als Ausdruck dafür, dass diese seit langem domestizierten Begleiter des Menschen gelernt haben, sehr genau auf unser Verhalten und unsere Befindlichkeiten zu achten.
Gähnen und Nasereiben im Affengehege
Wie aber steht es mit Menschenaffen – einer Tiergruppe, die uns zwar eng verwandt ist, aber nicht eng mit uns zusammenlebt? Lassen sich auch Schimpansen von uns anstecken? Elainie Alenkær Madsen von der Universität Lund in Schweden und ihre Kollegen haben dies nun im Tacugama Chimpanzee Sanctuary in Sierra Leone untersucht. Im Experiment spielten die Forscher mit jedem der 33 dort lebenden Schimpansenwaisen. Dabei gähnten sie entweder mehrfach oder aber sie öffneten ihren Mund nur in einem falschen Gähnen ohne begleitendes tiefes Einatmen. In einer dritten Variante rieben sie sich nur mit der Hand über die Nase. Dann beobachteten sie, ob die zwischen 13 Monaten und acht Jahre alten Menschenaffen eine dieser Verhaltensweisen imitierten.
Das Ergebnis: Tatsächlich erwies sich das echte Gähnen als ansteckend, nicht aber das falsche Gähnen oder das Nasereiben. „Sahen sie einen Menschen gähnen, rief dies bei 48 Prozent der jugendlichen Schimpansen die gleiche Reaktion hervor“, berichten die Forscher. Das sei das erste Mal, dass ein solcher artübergreifender Effekt bei Schimpansen nachgewiesen wurde. Nach Ansicht von Madsen und ihren Kollegen zeigt dies, dass Domestikation allein nicht erklären kann, warum diese Ansteckung bei Hunden und nun auch einer Menschenaffenart funktioniert. Sie halten es für wahrscheinlicher, dass diese Fähigkeit, sich anstecken zu lassen widerspiegelt, wie gut eine Tierart sich in andere hineinversetzen kann.
Das Experiment hatte aber noch ein interessantes Ergebnis: Schimpansenkinder unter fünf Jahren erwiesen sich als absolut immun gegen die soziale Ansteckung: Sie gähnten nicht ein einziges Mal. Das stimme sehr gut mit der auch bei Menschen beobachteten Entwicklung überein, sagen die Wissenschaftler. Denn auch bei menschlichen Kindern setzt der Ansteckungseffekt erst im Alter von etwa vier Jahren ein. In diesem Alter entwickeln Kinder die Fähigkeit, sich in andere Menschen hinein zu versetzen und beginnen, Empathie zu zeigen. Ähnlich könnte es auch bei den Schimpansen sein: Auch bei ihnen entwickelt sich die Fähigkeit zur Empathie offenbar erst im Laufe der ersten Lebensjahre.