Für seine Recherchen erfasste und analysierte Reinard literarische und archäologische Quellen im Zusammenhang mit Irland und verglich sie mit Befunden zu anderen Grenzregionen der römischen Welt. Der Geschichtswissenschaftler kommt zu einem eindeutigen Ergebnis: „Die Römer waren definitiv auf der Insel!“ Römische Erkundungsfahrten hätten Irland mit Sicherheit sorgfältig erforscht.
„Die Quellen zeigen, dass sich Rom an der irischen Seegrenze genauso wie an jeder anderen Grenze verhalten hat“, erklärt Reinard. „Land und Leute wurden genau untersucht, mögliche ökonomische, militärische und politische Potenziale ebenso beobachtet und bewertet wie die geographische und nautische Situation.“ Es müsse zudem intensive politische und wirtschaftliche Kontakte zwischen der britannischen Provinz und Irland gegeben haben.
Archäologische Funde untermauern dies offenbar: In Drumanagh, nördlich von Dublin, wurden Artefakte römischen Ursprungs gefunden, was darauf hindeutet, dass es sich bei der Anlage um eine Anlaufstelle für den Handelsverkehr gehandelt hat. Dem Forscher zufolge gibt es bei den Autoren Juvenal und Tacitus (1. und 2. Jahrhundert n. Chr.) Angaben zu römischen Militäraktionen in Irland und sogar zu einer detaillierten Planung einer Einnahme der Insel. „Juvenal war als Soldat höchstwahrscheinlich in der Provinz Britannia stationiert“, soReinard.
Das lohnte sich nicht!
Doch warum kam es dennoch nicht zu einer Invasion und einer dauerhaften Provinzialisierung Irlands? Dem Historiker zufolge war die Triebfeder hinter römischen Eroberungen nicht nackte Machtgier, sondern zwei Faktoren standen meist im Vordergrund: Ob es in einem Gebiet etwas Kostbares zu holen gab oder ob von den dortigen Völkern eine Bedrohung für das römische Reich ausging. Beides traf auf Irland nicht zu. Im Gegensatz zu Britannien, das beispielsweise Bodenschätze zu bieten hatte, war die ökonomische Bedeutung Irlands zu gering. Der Inselstatus machte seine Bewohner außerdem zu keiner militärischen Bedrohung. So sahen die Römer von einer aufwändigen Eroberung Hibernias ab, sagt der Historiker.
Hinter den Aussagen des Geschichtsschreibers Tacitus bezüglich Irland könnten Reinard zufolge zweifelhafte Motive gesteckt haben: „Er nutzte das Thema der unterlassenen Irland-Invasion, um den verhassten Kaiser Domitian als unfähigen Herrscher abzuqualifizieren, der aus persönlichem Neid die günstige Gelegenheit der Einnahme einer bisher unbekannten Insel habe verstreichen lassen“, urteilt der Historiker: Diese Propaganda des Tacitus verstelle aber nur den klaren Blick auf die realen Beweggründe der römischen Außenpolitik.