Die in Indonesien heimischen Goffin-Kakadus haben in den letzten Jahren schon häufiger für Überraschungen gesorgt. Denn diese enorm neugierige Papageienart erwies sich schon mehrfach als erstaunlich clever. So tüftelte der in einem Gehege der Universität Wien lebende Goffin-Kakadu Figaro vor zwei Jahren völlig selbstständig aus, wie sich aus einem Holzbalken ein Span herausknabbern lässt, mit dem er dann eine Nuss durch das Käfiggitter heranholen kann. Da wildlebende Goffin-Kakadus normalerweise keine Werkzeuge benutzen, überraschte dieser „Do-it-Yourself“-Werkzeugbau selbst die Biologen. Im letzten Jahr dann überraschte Figaros Artgenosse Pipin das Forscherteam damit, dass er problemlos ein fünfschrittiges Kombischloss an einem Futtertresor öffnete – und das im ersten Anlauf und ohne Hilfe.
Jetzt haben Figaro und seine Kollegen erneut für Aufsehen gesorgt. Denn in einem Experiment gelang ihnen etwas, das bisher nur von Primaten bekannt war: das „Abgucken“ des Werkzeuggebrauchs. Alice Auersperg von der Universität Wien und ihre Kollegen nutzten dafür die Tatsache, dass Figaro bereits von selbst gelernt hatte, Nüsse und andere Leckereien mittels Stöckchen durch ein Käfiggitter zu bugsieren. Um zu testen, ob sich seine Artgenossen diese Fähigkeit abschauen können, ließen die Forscher sechs von ihnen dabei zuschauen, wie Figaro sein Stöckchen einsetzte, um eine Nuss aus einer vergitterten Versuchsbox herauszuholen. Sechs weitere Kakadus dienten als Kontrollgruppe: Drei von ihnen durften beobachten, wie eine Nuss scheinbar wie von Zauberhand auf Figaro zuwanderte – sie wurde durch einen Magneten unter dem Versuchstisch bewegt. Die drei anderen sahen zu, wie sich ein Stock – ebenfalls durch einen unsichtbaren Magneten gesteuert – auf die Nuss zubewegte und diese ohne Zutun von Figaro auf ihn zuschob. Anschließend wurden alle Kakadu-„Schüler“ ihrerseits vor eine Versuchsbox gesetzt und durften ihr Glück versuchen.
„Schüler“ verbessern sogar die Technik ihres Vorbilds
Wie sich zeigte, machte das Vorbild des „Lehrers“ Figaro Schule: Alle sechs Kakadus, die ihm bei der Werkzeugnutzung zugesehen hatten, begannen eifrig, mit den bereitgelegten Holzstäbchen herumzuexperimentieren. Die drei Männchen hatten nach vier bis fünf „Schulstunden“ den Dreh raus und angelten die Nuss nun ebenfalls mit einem Holzstöckchen aus dem Gitterkäfig. „Das ist der erste Beleg für eine soziale Weitergabe der Werkzeugnutzung bei einem Vogel“, konstatieren die Forscher. Denn nur wenn die Vögel einen ihrer Artgenossen in Aktion sahen, wie bei Figaro der Fall, ließen sie sich zur Werkzeugnutzung inspirieren. Bewegte sich nur die Nuss oder das Stäbchen wie von allein, konnten sie damit offenbar nicht viel anfangen.
Doch damit nicht genug: Die drei erfolgreichen Nachahmer dachten trotz allen Zuschauens nicht daran, das Verhalten von Figaro genau zu kopieren. Stattdessen entwickelten sie ihre ganz eigene Technik. Während Figaro von oben mit dem Stöckchen hinter die Nuss zielte und diese dann zu sich herschob, nutzten die drei anderen Kakadus eher eine Schleudertechnik: Sie legten das Stöckchen auf den Boden und schoben es so in den Gitterkäfig hinein, dass sein Ende hinter der Nuss lag. Dann packten sie das Stöckchen so geschickt am anderen Ende, dass es eine schnellende Vorwärtsbewegung machte und die Nuss aus dem Käfig katapultierte. Wie die Forscher berichten, war diese Methode deutlich effektiver als die von Figaro – die Schüler hatten damit nicht nur von ihrem Lehrer gelernt, sondern ihn sogar noch übertroffen.
Einer der Goffin-Kakadus erwies sich zudem als ganz besonders innovativ: Er lernte nicht nur ein Werkzeug zu benutzen, sondern begann in einem weiteren Experiment sogar, sich ebenfalls Holzstöckchen aus einem größeren Holzstück herauszuknabbern – obwohl er diese Technik nie zuvor bei einem anderen Artgenossen gesehen hatte. Nach Ansicht der Forscher belegt dies, dass die soziale Weitergabe der Werkzeugnutzung nicht nur zu Variationen in der Nutzungstechnik anregt, sondern auch weitere innovative Verhaltensweisen in diesem Kontext fördert. „Es ist ein großer Unterschied, ob man einfach nur das Verhalten seines Lehrers nachahmt oder ob man dessen Erfolgsprinzip übernimmt, dann aber seine eigene Methode daraus entwickelt“, erklärt Koautor Alex Kacelnik von der Oxford University. Denn Letzteres sei ein kreativer Prozess, der durch das soziale Lernen angestoßen wird – und damit anspruchsvoller als das bloße Kopieren.