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Philaes schwerste Stunde

Hintergründe zur Rosetta-Mission

Philaes schwerste Stunde
Wenn Raumsonden auf Monden und Planeten landen, erinnert das an Seefahrer früherer Jahrhunderte, die an Stränden fremder Länder den Landgang wagten. Am 12. November steht nun eine ganz besondere Pioniertat bevor: Erstmals in der Geschichte der Raumfahrt soll eine Sonde auf einem Kometen aufsetzen, nämlich die europäische Landefähre „Philae“, benannt nach einer Insel im Nil. Zusammen mit dem Rosetta-Orbiter ist der 98 Kilogramm schwere Lander mit zehn wissenschaftlichen Instrumenten an Bord ein Jahrzehnt lang dem Zielkometen 67P/Churyumov-Gerasimenko entgegengeflogen.

Rosettas Kamera-Augen haben seit dem Sommer fieberhaft den etwa vier Kilometer großen Kometenkern nach einem geeigneten Landeplatz abgesucht – und gefunden. Ob sich nun noch zur akribischen Vorbereitung auch das nötige Glück gesellt, wird man morgen am 12. November wissen, dem Landetermin. Doch schon jetzt ist klar: Philaes Mission wird ein Flug ins Ungewisse.

Denn Kometen geben den Astronomen noch immer Rätsel auf. Daran haben auch ein halbes Dutzend Raumsonden nicht viel geändert. 2005 hatte eine Sonde erstmals direkten Kontakt mit dem Kern eines Kometen: Deep Impact besuchte Tempel 1. Bei diesem Experiment schossen die NASA-Forscher einen knapp 400 Kilogramm schweren Einschlagskörper von Deep Impact ab, der sich mit 37 .000 Kilometern pro Stunde in den kartoffelförmigen, rund sechs Kilometer großen Kometenkern rammte. Je nach der Härte des oberen Kernmaterials erwarteten die Wissenschaftler einen Krater zwischen 60 und 240 Meter Durchmesser.

Doch die Wunde des Kometen Tempel blieb verborgen, weil unerwartet viel Staub aufgewirbelt wurde. Die Wolke versperrte den Blick der Kameras auf den frischen Krater. Hatte das Geschoss eine Stelle getroffen, die meterdick mit Staub bedeckt war? Der Kontrollbesuch einer anderen US-Sonde sechs Jahre später brachte ebenfalls nur undeutliche Bilder der Einschlagsstelle. Pech für Philae, denn die Gestalt des Kraters hätte Aufschluss über die Stabilität der Oberfläche eines Kometenkerns geben können. So ist sie die große Unbekannte bei der Lande-Mission der Europäischen Raumfahrtagentur ESA im November.

Probe aufs Exempel

Um sich auf das gewagte Manöver vorzubereiten, sind deshalb Analysen auf der Erde nötig. Und so experimentiert der Physiker Jürgen Blum in seinem Labor an der Technischen Universität Braunschweig mit „Analog-Materialien“. So nennen Experten künstliche Stoffe, die helfen sollen, die Bedingungen auf der Oberfläche eines Kometen aufzuklären. Die Analog-Materialien werden aus feinsten Glaspartikeln mit Durchmessern um 0,001 Millimeter hergestellt, die man im Labor zu millimetergroßen Strukturen verklumpen lässt. Sie fügen sich in einer Experimentierröhre zu einer lockeren Schüttung zusammen, die ähnliche mechanische Eigenschaften wie Kometenmaterie haben soll. Dieser „Kometenstoff“ wird dann weiter untersucht. Entscheidend für den Landeerfolg wird sein: Wie stabil ist die Oberfläche? Wie tief ist die oberste Staubschicht? Und wie weit wird Philae darin voraussichtlich einsinken?

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„Genau wissen wir das nicht“, räumt Blum ein. „Aber unsere Experimente lassen erwarten, dass die oberste Staubschicht nur ­wenige Zentimeter ausmacht.“ Das Eis, das in dieser Schicht steckte, ist weitgehend ins Weltall verschwunden, vermutet er. Ähnlich tief werden Philaes Landebeine einsinken, erwartet der Forscher. Die Oberfläche vergleicht Blum mit ­einer Anschüttung millimeterfeiner Sty­ro­porkügelchen. Unter der dünnen Oberflächenschicht sollen sich Eis und Staub mischen, aus denen sich der Himmelskörper einst gebildet hat. Wird Philaes Bohrer dort eindringen können? „Kein Problem“, meint Blum, „den Widerstand des Bodens wird er leicht überwinden.“

Lange Reise: Über ein Jahrzehnt und 6,4 Milliarden Kilometer brauchte die Raumsonde Rosetta, um ihr Ziel zu erreichen. (Grafik bdw; Quelle: ESA/DLR/NASA)

Und wie stark werden dem Landegerät Gase von der Kometen-Oberfläche entgegen blasen? Klar ist, dass sie nah an der Sonne am stärksten sind – dort enthalten sie bis zu 300 Kilogramm Wasserdampf pro Sekunde. Der Ausstoß ist durch vielfältige Beobachtungen recht genau bestimmt. Doch in größerer Entfernung von der Sonne ist die Unsicherheit gewaltig – und eben dort soll die Landung stattfinden. Und: Kometen sind unberechenbar, und 67P ist da keine Ausnahme. Schon im vergangenen April meldete die Bordkamera, dass er aktiv geworden sei. Eine kleine Koma – eine Wolke aus Gas und Staub – hatte den Kern eingehüllt. Wenige Wochen später schlief die Aktivität überraschend wieder ein, obwohl 67P sich weiter der Sonne genähert hatte.

Im Juli, als die Bordkamera den Kometen immer schärfer ablichtete, wurde dann klar, dass die ESA sich einen besonders ­bizarren Brocken für die Landung ausgesucht hatte: einen „contact binary“, einen Körper aus zwei Teilen, die aneinander haften. Das war für viele Kometenforscher eine faustdicke Überraschung. Doch Vicente Companys von der Kontrollwarte der ESA in Darmstadt bleibt gelassen. Er rechnet nicht mit unlösbaren Problemen, die aus der seltsamen Form des Kerns resultieren. Der Mathematiker arbeitet in der Abteilung für Flugdynamik. Dort werden die Analysen erstellt, damit der Rosetta-Orbiter seinen Lander im gewünschten Zielgebiet absetzen kann. Die Abtrennung vom Orbiter ist dafür das entscheidende Manöver, denn der Landeplatz kann praktisch nur zum Zeitpunkt des Abkoppelns beeinflusst werden. In diesem Moment muss vieles stimmen: Geschwindigkeit, Flugbahn und Ausrichtung der Rosetta-Sonde, außerdem das Tempo, mit der Philae weggestoßen wird – all das beeinflusst die Flugbahn und damit den Ort des Bodenkontakts.

Osiris ist an der Reihe

Bei der Landung schlägt auch die große Stunde der Kamera OSIRIS (Optical, Spectroscopic and Infrared Remote Imaging System) vom Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung (MPS) in Göttingen. OSIRIS sind sozusagen die Augen von Rosetta. Seit der Ankunft beim Kometen am 6. August schauen sie aus nur 100 Kilometern Abstand auf die bizarren Landschaften dort. Inzwischen ist die Sonde auf weniger als acht Kilometer herangerückt. Schon jetzt hat OSIRIS eine erstaunliche Vielfalt erspäht: „Wir sehen bis 100 Meter tiefe Steilhänge und Brocken von den Ausmaßen ganzer Gebäude“, schwärmt MPS-Forscher Holger Sierks, der Chefwissenschaftler der Bordkamera.

Was Philaes Landung betrifft ist Holger Sierks optimistisch, sein Kollege Horst Uwe Keller dagegen sieht dem Termin am 12. November recht skeptisch entgegen. Der Altmeister der europäischen Kometenforschung, der schon 1986 dem Halley’schen Kometen mit der Bordkamera der Giotto-Sonde nachstellte, blickt besorgt auf die aktuellen Fotos von 67P. „Die Oberfläche des Kern ist sehr rau und wahrscheinlich stark ­geprägt von den Ausgasungsprozessen.“ Als ­Philae entwickelt wurde, wusste man kaum etwas darüber, wie Kometen beschaffen sind. „Die Landung ist ein ganz großes Risiko“, meint Keller. Das Manöver sei auch deshalb riskant, weil unvermeidliche Ungenauigkeiten die Landestelle zu einem relativ großen Gebiet von etwa einem Quadratkilometer aufweiten. Ob Philae eine geeignete Stelle trifft oder in eine Schlucht stürzt, haben die Experten nicht im Griff.

Die Landefähre Philae wurde vor dem Start eingehend geprüft. Im Bremer Deutschen Zentrum für Luft und Raumfahrt (DLR)-Institut für Raumfahrtsysteme wurde am LAMA-Teststand („Lande- und Mobilitätstestanlage“) die riskante Landung an einem technischen Zwilling von Philae simuliert. Herzstück von LAMA ist ein moderner Industrieroboter, der seinen Arm über einen Sandkasten streckt. Das Testprinzip ist simpel: Der Roboterarm lässt den Lander einfach in den Sand fallen. Dabei wird per Computer gesteuert, mit welcher Last er am Boden aufsetzt.

67P/Churyumov-Gerasimenko ist ein bizarr geformter Doppelkörper, der sich in zwölf Stunden einmal um sich selbst dreht. (Foto: ESA/Rosetta/Navcam)

Bei den Tests wurde die irdische Schwerkraft kompensiert, das sehr geringe Gravitationsfeld des Kometenkerns also für die Landesituation realistisch nachgestellt – ebenso eventuelle Probleme: „Das Landegerät soll hüpfen, rutschen und kippen können“, fordert Lars Witte von LAMA. Natürlich nur im DLR-Sandkasten – bei einer echten Landung soll gerade dies vermieden werden. „Als der Philae-Lander konstruiert wurde, gab es unser Institut noch nicht“, sagt Witte. Zwar wurde das Landesystem auch damals getestet, doch die Bremer LAMA-Tests sind weit realistischer und können daher auch den diffizilen Landeprozess unterstützen.

Und die Ingenieure haben, egal wie es ausgeht, schon heute viel daraus gelernt. Denn Philae ist nicht das Ende der Entwicklung. Selbst bei einem Misserfolg wird es mit einem jüngeren Bruder Philaes weitergehen: Die japanische Hayabusa-2-Sonde wird schon im Dezember zum Planetoiden (162173) 1999 JU 3 starten. An Bord ist MASCOT (Mobile Asteroid Surface Scout) – ein zehn Kilogramm leichter würfelförmiger Roboter, der vom Boden des erdnahen Kleinplaneten Bilder und Daten funken soll. Der Mini-Roboter stammt aus dem Bremer DLR-Institut. Im Sommer 2019 soll er bis zu 70 Meter weit über die Oberfläche des Kleinplaneten hüpfen. Hoffentlich werden es Freudensprünge über den Erfolg seines großen Bruders sein.

Dieser Text ist eine gekürzte Fassung des Artikels „Landung auf dem Doppelkometen“ in bild der wissenschaft 10/14.

© wissenschaft.de – Thorsten Dambeck
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