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Der Duft der Gefahr

Erde|Umwelt

Der Duft der Gefahr
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Immer mehr Versorger verleihen dem Erdgas einen anderen Geruch als bisher, um vor dem explosiven Gas zu warnen. Die herkömmlichen bisher verwendeten Geruchsstoffe belasten die Umwelt und erschweren den Einstieg in die Brennstoffzellentechnik. Die Verbraucher müssen sich deshalb an den ungewohnten Sinneseindruck beim Öffnen des Gashahns gewöhnen.

Wer in Hamburg den Gasherd zündet, wird sich wundern. Denn seit einem halben Jahr riecht das Gas in der Hansestadt anders – anders als in Berlin beispielsweise, wo man immer noch den typischen leicht fauligen Geruch einatmet, wenn die Flamme nicht gleich auflodert. Der Grund: Das Erdgas wird in Deutschland inzwischen mit verschiedenen Warngerüchen versehen. Sie sollen den Verbraucher alarmieren, wenn Erdgas ausströmt. Denn das wirkt erstickend und ist mit Luft vermischt hochexplosiv, selbst allerdings völlig geruchlos.

Bisher basierten die Duftwarnungen auf schwefelhaltigen Chemikalien. Namentlich Thiophen und Mercaptane stechen beim Öffnen des Gashahns sofort unangenehm in die Nase. Doch mehr und mehr Gasversorger stellen auf schwefelarme oder schwefelfreie Alarmdüfte um. Einer der Gründe: Anfang des Jahres wurde der Schwefelgrenzwert für Erdgas gesenkt. “Das kommt vor allem der Umwelt zugute”, erklärt der Chemieingenieur Rainer Reimert vom Karlsruher Engler-Bunte-Institut. Schwefelhaltige Stoffe werden beim Verbrennen in Schwefeldioxid umgewandelt, das den sauren Regen und das Waldsterben mit verursacht. 600 Tonnen der schädlichen Gase werden jedes Jahr alleine aus dem Erdgas in die Luft gepustet.

Zusätzlich gibt es technologische Gründe für den Abschied vom schwefeligen Warngeruch: Erdgas wird zunehmend in den Tank von Autos gepresst. Dafür muss es besonders schwefelarm sein, weil sonst der Motor rascher rostet. Brennstoffzellen, die zukünftig ebenfalls in Autos eingesetzt werden sollen, können überhaupt nur mit einem schwefelfreien Kraftstoff betrieben werden. Kommen sie mit schwefelhaltigen Gasen in Berührung, wird der Katalysator darin unwiederbringlich vergiftet, und die Zelle versagt. Deshalb schalten Hersteller zurzeit einen Filter voraus, der die Schwefelkomponenten aus dem Erdgas entfernt.

Da war es naheliegend, dass Forscher des Geruchs- und Geschmacksstoffanbieters Symrise in Holzminden und Wissenschaftler aus dem Karlsruher Engler-Bunte-Institut auf Initiative der deutschen Gaswirtschaft die Köpfe zusammensteckten, um einen schwefelfreien Warngeruch zu entwickeln. “Einige hundert mögliche Stoffe wurden in Betracht gezogen”, erzählt Jörg Müller, Manager für die Odorierung von Erdgas.

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Der neue Duft fürs Leitungsnetz muss warnen, sprich: sofort gerochen werden und unangenehm auffallen, ohne giftig zu sein. Er soll sich gut im Erdgas verteilen und muss sich leicht dosieren lassen. Er soll billig sein und schon in kleinen Mengen genügen. “Dafür kommen nicht sehr viele Chemikalien in Frage”, resümiert Müller. Die Experten wählten schließlich eine Mischung aus drei Stoffen, zwei Acrylaten und einem Pyrazin, aus.

113 Probanden beurteilten den neuen Alarmduft in einem Experiment am Engler-Bunte-Institut. In einem Container sitzend strömte ihnen nacheinander die neue Mixtur, Bratenduft, Fischgeruch, Jasmin oder übliche Odoriermittel für Erdgas in die Nase. Nach jedem Testlauf mussten die Teilnehmer in einem Fragebogen ihre Assoziationen mit dem Geruch schildern. Die Mehrheit war sich darin einig, dass die unbekannte Mischung chemisch, merkwürdig und irritierend riecht. Verwechselungsgefahr mit Alltagsdüften von Blumen oder aus der Pfanne besteht nach den Ergebnissen nicht. 80 Prozent der Probanden gaben an, dass der unbekannte Geruch sie am ehesten an Gasgeruch erinnert.

Allerdings betont Müller: “Das Produkt riecht natürlich nicht wie ein schwefelhaltiges Odoriermittel, denn es ist ja schwefelfrei.” Daher sei es unerlässlich, die Verbraucher vor der Umstellung mit der neuen Mixtur namens “Gasodor S-free” vertraut zu machen. Sonst könnten die Bürger den Warngeruch nicht als solchen identifizieren. Die Bevölkerung muss über Zeitungen, Publikationen und Geruchsproben aufmerksam gemacht werden, fordern auch die Karlsruher Forscher.

Allerdings stellte das ZDF-Magazin Frontal 21 jüngst in einem Bericht infrage, ob dies bislang in ausreichendem Umfang geschehen ist. In Münster und Aachen etwa seien die Bewohner schlecht informiert worden. Schnupperkärtchen zum Kennenlernen des Geruchs wurden nur an Handwerker verschickt, kritisiert der Reporter. Ein Münsteraner Ehepaar bemerkte ausströmendes Gas in seinem Haus angeblich nicht.

Die Stadtwerke Münster wehren sich gegen die Vorwürfe. Die Einführung sei von einer Informationskampagne begleitet worden. “Auch nahmen die Meldungen der Verbraucher in den letzten 18 Monaten nicht zu.” Die Stadtwerke gehen davon aus, dass “die Münsteraner das Erdgas wie üblich mit einem Warngeruch wahrnehmen”. Auch in Hamburg und im sächsischen Freiberg löste die Umstellung des Odoriermittels keine Beschwerdewelle aus. Dass ein Mensch den neuen Warngeruch nicht riecht, hält Müller für absolut ausgeschlossen. Nur ein technischer Defekt oder eine gesundheitlich bedingte Riechschwäche könnten das erklären.

Der Trend zu schwefelarmen Alarmdüften ist unterdessen ungebrochen. Symrise verzeichnet einen jährlichen Umsatzzuwachs von zehn Prozent und deckt inzwischen rund 22 Prozent des deutschen Marktes ab. 140 Tonnen Gasodor S-free verkaufte der Hersteller alleine im vergangenen Jahr. Die Bundesländer Hamburg, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern werden vollständig mit dem neuen Warngeruch versorgt. Demgegenüber verliert der französische Konkurrent Arkema zeitgleich mit seinen Schwefelprodukten Marktanteile.

Auch Arkema hat mittlerweile die Zeichen der Zeit erkannt und lancierte kürzlich einen schwefelarmen, neuen Duft namens Spotleak Z, der zurzeit in Dortmund und Dorsten getestet wird. Für Reimert wird damit ein Trend fortgeschrieben: “Man kommt ganz klar weg von schwefelreichen Odoriermitteln.”

ddp/wissenschaft.de – Susanne Donner
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