Als zwei deutsche Bergwanderer am 19. September 1991 in einer Gletscherrinne in den Ötztaler Alpen auf eine Eismumie aus der Steinzeit stießen, sorgte dies für eine weltweite Sensation. Inzwischen ist der Körper des vor etwa 5.300 Jahren gestorbenen Mannes wahrscheinlich eine der am besten untersuchten Leichen der Welt. „Ötzi“, wie er liebevoll genannt wird, wurde vermutlich zwischen 40 und 50 Jahre alt und hat die letzten Jahre seines Lebens wahrscheinlich in verschiedenen Alpentälern verbracht. Er hatte blaue Augen, litt unter schlechten Zähnen, Arthritis, Gefäßverkalkung, Laktose-Intoleranz und Gallensteinen und hatte, schaut man sich seine diversen Narben und verheilten Knochenbrüche an, offenbar kein ganz einfaches Leben. Woran er starb, ist bis heute nicht ganz geklärt, er hatte eine Pfeilwunde in der Schulter, aber auch Blutergüsse am Kopf.
Schon rein äußerlich auffallend ist aber ein anderes Merkmal von Ötzi: seine Tätowierungen. Sie gehören zu den ältesten dokumentierten Tätowierungen der Welt. Marco Samadelli vom EURAC-Institut für Mumien und den Iceman hat nun erstmals eine vollständige Übersicht über alle Tätowierungen der Gletschermumie erstellt. Dafür fotografierte er den Körper der Mumie aus verschiedenen Blickwinkeln mit einer multispektralen Technik. „Jedes Foto wurde sieben Mal aufgenommen, jedes Mal mit einer anderen Wellenlänge. So konnten wir die verschiedenen Tiefen abdecken, in denen sich jeweils das für die Tattoos verwendete Kohlepulver abgesetzt hatte“, erklärt der Forscher. „Für die oberen Hautschichten waren die ultravioletten Strahlen ausreichend, für die tieferen Schichten verwendeten wir die Infrarotstrahlen.
Kartierung mit Überraschungen
Insgesamt fand der Forscher bei seiner Kartierung 61 Hautzeichen auf Ötzis Körper. Die meisten bestehen aus 0,7 bis 4 Zentimeter langen, parallelen Linien, die vorwiegend in Gruppen zu zwei, drei oder vier angeordnet sind. Auch zwei tätowierte Kreuze finden sich an Ötzis Körper. Fast alle Tätowierungen konzentrieren sich auf dem unteren Rücken sowie an den Beinen zwischen Knie und Füßen. Wegen dieser Konzentration nur auf bestimmten Körperteilen vermuteten Forscher bisher, dass die Tätowierungen kein reiner Körperschmuck waren, sondern vielmehr eine therapeutische Funktion erfüllen sollten. Möglicherweise handelt es sich um die Spuren einer Art Akupunktur, die die Gelenkschmerzen des Steinzeitjägers lindern sollten. Denn einige der Tätowierungen sitzen an den Punkten, die auch heute gegen solche Schmerzen gereizt werden.
Doch eine bei der Kartierung neu entdeckte Tätowierung durchbricht nun dieses Verteilungsmuster: Sie liegt auf der rechten unteren Seite des Brustkorbs. Dort ist die Haut der Eismumie dunkel verfärbt, so dass das Tattoo mit bloßem Auge nicht mehr sichtbar war. Erst die multispektralen Aufnahmen brachten es zum Vorschein. Die neu entdeckte Tätowierung auf dem Brustkorb öffnet nun erneut die Diskussion über die Funktion von Tätowierungen in vorgeschichtlichen Zeiten. So liefert die Studie den Anthropologen ein weiteres Puzzlestück bei der Erörterung der Frage, ob prähistorische Tätowierungen eine therapeutische, symbolische oder religiöse Bedeutung hatten.
Trockene Haut konservierte Ötzi