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Verändern sich die Naturgesetze?

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Verändern sich die Naturgesetze?
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Aus dem Licht einer 7,5 Milliarden Lichtjahre entfernten Quasargalaxie werden von Ammoniak-Molekülen, die sich in einer 6 Milliarden Lichtjahre entfernten Galaxie befinden, einzelne Frequenzen absorbiert. Welche das sind, hängt vom Verhältnis der Massen von Proton und Elektron ab. Mit Hilfe des 100-Meter-Radioteleskops Effelsberg konnten Forscher nun zeigen, dass dieses Massenverhältnis vor 6 Milliarden Jahren mit hoher Genauigkeit das gleiche war wie heute. (Bild: N.Junkes / A.Biggs / NASA / ESA / STScI)
Könnte es sein, dass eines fernen Tages Planeten aufhören, ihre Sonnen zu umkreisen, oder dass Atome auseinanderfallen und sich damit sämtliche Materie im Universum einfach auflöst? Ja, es könnte sein, sagen zumindest moderne physikalische Theorien. Nach diesen Theorien ist es möglich, dass sich die physikalischen Naturgesetze mit der Zeit verändern. Doch die Datenlage ist nicht eindeutig. Während einige Forschergruppen in den vergangenen Jahren Hinweise auf sich ändernde Werte bei einigen fundamentalen Naturgrößen gefunden hatten, konnten jetzt Christian Henkel vom Max-Planck-Institut für Radioastronomie in Bonn und seine Kollegen mit Hilfe des 100-Meter-Radioteleskops Effelsberg nachweisen, dass eine dieser fundamentalen Größen, nämlich das Verhältnis von Proton- zu Elektronmasse, vor sechs Milliarden Jahren in unserem Universum mit hoher Genauigkeit genau den gleichen Wert hatte wie heute.

Die fundamentalen physikalischen Naturgesetze bestehen aus mathematischen Gleichungen, die in der Regel Naturkonstanten enthalten. Von diesen Konstanten hängen unter anderem die Stärken der physikalischen Grundkräfte ab – wie beispielsweise die der elektromagnetischen Kraft und der starken Kernkraft, die beide für den Zusammenhalt der Atomkerne verantwortlich sind. Würde sich das Stärkeverhältnis zwischen diesen beiden Kräften verändern, dann würden sich die Eigenschaften der Materie, die uns umgibt und aus der wir selber bestehen, dramatisch ändern oder Atome würden gar ganz aufhören zu existieren.

Aber warum haben diese beiden Kräfte ausgerechnet die Stärke, die die Existenz von Materie, so wie wir sie kennen, ermöglicht? Oder warum hat beispielsweise die Lichtgeschwindigkeit den Wert 299792,458 Kilometer pro Sekunde? Diese Fragen kann derzeit niemand beantworten. Wir wissen es schlichtweg nicht – was manche Physiker als katastrophale Unzulänglichkeit der derzeitigen physikalischen Theorien betrachten.

Deshalb wird in der Physik an neuen Theorien gearbeitet, wie beispielsweise der Stringtheorie, in der die Grundbausteine der Materie winzige Fäden sind, die durch verschiedene Schwingungszustände die bekannten physikalischen Elementarteilchen erzeugen. In der Stringtheorie gibt es zusätzlich zu den drei Raum- und der einen Zeitdimension bis zu sieben weitere Dimensionen. Diese zusätzlichen Dimensionen nehmen wir nicht wahr, weil sie auf kleinstem Raum “zusammengerollt” sind – zu Kugeln, Zylindern oder weitaus komplexeren Gebilden, die Mathematiker zwar für sieben Dimensionen berechnen können, die wir uns aber kaum vorstellen können.

Genauso wie in Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie die Krümmung der vierdimensionalen Raumzeit die Gravitationskraft hervorbringt, so ist die Geometrie dieser sieben Dimensionen für die übrigen physikalischen Grundkräfte und die Werte der zugehörigen Naturkonstanten verantwortlich. Und genauso wie unser Universum sich derzeit ausdehnt, so könnten sich die Geometrie und Größe der zusätzlichen Dimensionen ändern – was zur Folge hätte, dass sich die entsprechenden Naturkonstanten ändern.

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Ob das freilich tatsächlich der Fall ist, muss erst noch herausgefunden werden. Klar ist: Wenn sich Naturkonstanten überhaupt ändern, dann tun sie das nur äußerst langsam. Denn deutliche Änderungen hätten wir längst festgestellt, weil unsere Welt dann drastisch anders aussehen würde. Deshalb sind es vor allem die Astronomen, die nach veränderten Werten von Naturkonstanten suchen. Denn das Licht, das uns beispielsweise von einer sechs Milliarden Lichtjahre entfernten Galaxie erreicht, war eben sechs Milliarden Jahre unterwegs und ist somit von physikalischen Prozessen erzeugt worden, die den Naturgesetzen gehorchten, die vor sechs Milliarden Jahren gültig waren. Somit müsste es prinzipiell möglich sein, an Eigenschaften dieses Lichts abzulesen, ob die Naturgesetze vor sechs Milliarden Jahren die gleichen waren wie heute.

Dass dies nicht nur prinzipiell, sondern tatsächlich möglich ist, und zwar darüber hinaus mit einer sehr hohen Genauigkeit, haben jetzt Henkel und seine Kollegen bewiesen. Sie wollten herausfinden, ob das Verhältnis von Proton- zu Elektronmasse vor sechs Milliarden Jahren das gleiche war wie heute. Gemäß den Messungen in irdischen Laboratorien ist ein Proton exakt 1836,15-mal so schwer wie ein Elektron. Indirekt würde eine Veränderung dieses Zahlenverhältnisses darauf hindeuten, dass sich die Stärke der starken Wechselwirkung verändert hat. Denn diese Kraft ist es, die die drei Quarks, aus denen das Proton besteht, aneinander bindet. Durch die Bindungsenergie wird wiederum nach Einsteins Äquivalenz von Energie und Masse der größte Teil der Protonmasse bestimmt. Da die Elektronmasse von einer Veränderung der starken Wechselwirkung nicht beeinflusst würde, kann aus einer Veränderung des Verhältnisses von Proton- zu Elektronmasse auf eine Veränderung der Stärke der starken Wechselwirkung geschlossen werden.

Die Astronomen vermaßen Lichtspektren von Ammoniak-Molekülen, die sich in einer sechs Milliarden Lichtjahre entfernten Galaxie befanden. Diese Moleküle wurden von einer noch weiter entfernten hellen Quasargalaxie angestrahlt und absorbierten aus diesem Licht bestimmte Frequenzen. Der springende Punkt ist nun, dass die genaue Lage der absorbierten Lichtfrequenzen empfindlich von dem Verhältnis von Proton- zu Elektronmasse abhängt. Wenn dieses Verhältnis zu dem Zeitpunkt, zu dem die Ammoniak-Moleküle das Licht absorbierten, also vor sechs Milliarden Jahren, ein anderes gewesen wäre als heute, dann hätte sich die Lage der absorbierten Lichtfrequenzen verändert.

Doch solch eine Veränderung haben Henkel und seine Kollegen nicht gefunden. Unter Berücksichtigung der ihnen möglichen Messgenauigkeit können die Forscher ausschließen, dass sich das Verhältnis von Proton- zu Elektronmasse innerhalb der letzten sechs Milliarden Jahre um mehr als einige wenige Tausendstel Promille geändert hat. Aufgrund einiger spezieller Eigenschaften des Ammoniak-Moleküls ist die Genauigkeit dieses Ergebnisses etwa zehnmal höher als Ergebnisse anderer Wissenschaftler, die eine Veränderung des Verhältnisses von Proton- zu Elektronmasse festgestellt hatten.

Trotzdem kann damit nicht endgültig ausgeschlossen werden, dass sich diese oder andere Naturkonstanten nicht doch ändern. Denn eine andere Gruppe hatte beispielsweise gefunden, dass das Verhältnis der beiden Massen vor etwa zwölf Milliarden Jahren um 20 Tausendstel Promille größer war als heute. Da dies fünf Milliarden Jahre früher ist als der Zeitraum, den Henkels Gruppe untersucht hat, schließen sich die beiden Ergebnisse nicht gegenseitig aus. Für die Theoretiker, die an der Stringtheorie arbeiten, geben sie jedoch wertvolle Hinweise darauf, wie die noch lange nicht gefundene endgültige Version der Stringtheorie auszusehen hat.

M: Murphy et. al. : ”Strong Limit on a Variable Proton-to-Electron Mass Ratio from Molecules in the Distant Universe”, Science 320, 1611 Dem Thema „Naturkonstanten“ hat die Physikalisch-Technische Bundesanstalt ein Heft ihrer Magazinreihe „maßstäbe“ gewidmet. Die einzelnen Artikel können hier kostenlos heruntergeladen werden. Axel Tillemans
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