Anzeige
1 Monat GRATIS testen, danach für nur 9,90€/Monat!
Startseite »

Warum Nachtschwärmer und Schichtarbeiter leichter Übergewicht bekommen

Erde|Umwelt Gesundheit|Medizin

Warum Nachtschwärmer und Schichtarbeiter leichter Übergewicht bekommen
schlaf.jpg
Tagsüber zu schlafen widerspricht der Grundeinstellung der inneren Uhr. Foto: enaira, PhotoCase.com
Die innere Uhr steuert nicht nur, wann man sich müde und wann munter fühlt. Sie bestimmt auch, wie groß der Appetit ist und wie die Nahrung verdaut wird. Bei mangelndem Schlaf setzt der Körper vermehrt Speck an, selbst wenn nicht mehr Essen auf den Teller kommt. Die langfristigen Folgen eines unregelmäßigen und zu kurzen Schlafes sind sogar weitaus gravierender: Diabetes und Krebs werden begünstigt.

Nach einer durchwachten Nacht befällt den Körper eine bleierne Müdigkeit. Dennoch kann man oft kein Auge zu tun. Die Geräusche erzählen vom Leben am Tage. Es ist hell und selbst bei heruntergelassenem Rollo schiebt sich die Sonne durch die Ritzen. Die innere Uhr will von Schlummern nichts wissen.

Das Tageslicht fällt auf die Netzhaut der Augen und wird in Form von elektrischen Impulsen zur biologischen Uhr im Gehirn geleitet. Anhand der Signale wird die Uhr im Hypothalamus ständig mit der Umwelt in Einklang gebracht. „Dieser Abgleich erfolgt binnen einiger Minuten bis maximal eine halbe Stunde“, erläutert Gregor Eichele. Der Chronobiologe vom Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie in Göttingen hat erst vor kurzem herausgefunden, weshalb die Uhr im Kopf mit minutiöser Genauigkeit tickt.

Ein Duo aus zwei Eiweißstoffen in den Zellen reagiert äußerst empfindsam auf jede Lichtänderung. Bei Sonnenaufgang wird das Paar in den Zellen vermehrt, während es in der Abenddämmerung zerstört wird. Die Zahl der beiden Lichtwächter signalisiert den Zellen im Hypothalamus sehr exakt, wenn der Tag beginnt oder die Nacht hereinbricht. So genannte Uhrgene im Zellkern leiten dann die entscheidenden Veränderungen ein.

Zum Beispiel wird in den Abendstunden das Schlafhormon Melatonin gebildet, bis man müde wird und einschläft. Neuerdings finden Chronobiologen jedoch auch mehr und mehr Hinweise, dass die innere Uhr sogar bestimmt, wie die Nahrung verwertet wird und wie groß der Appetit ist. Gerät der Timer aus dem Takt, legen Mensch und Tier über die Maßen an Gewicht zu. Sie entwickeln Bluthochdruck und die Stoffwechselstörung „metabolisches Syndrom“, die als Vorläufer einer Zuckerkrankheit gilt.

Anzeige

Wurde zum Beispiel in Mäusen das Uhrgen „Clock“ verändert, so verlängerte sich deren innerer Rhythmus von 23,5 Stunden auf 27 bis 28 Stunden. Die Uhr läuft nicht mehr synchron zum natürlichen Tagesverlauf. „Das hat erhebliche Auswirkungen auf das Leben und den Gesundheitszustand der Tiere“, berichtet Chronobiologin Katja Vanselow vom Institut für Medizinische Immunologie der Charité in Berlin. Während Mäuse normalerweise nachtaktiv sind, waren die Versuchstiere auch am Tag munter. Sie rannten im Laufrad und fraßen gleichzeitig mehr. Folglich legten sie um mehrere Gramm zu und neigten sogar zur Fettsucht.

Ebenso setzen Schafe mehr Speck an, wenn ein Teil der Nacht zum Tag gemacht wurde. Das Gewicht nahm allerdings auch dann zu, wenn sie genauso viel Futter bekamen wie sonst. Die Fettzellen verändern ihren Stoffwechsel mit der Tageszeit und lagern zu später Stunde mehr Lipide ein als am Nachmittag, wie die Chronobiologen inzwischen wissen.

Mangelnder und unregelmäßiger Schlaf könnte erklären, weshalb auch manche Menschen selbst von kleinen Portionen im wörtlichen Sinn über Nacht zunehmen. Robert Daniel Vorona von der Eastern Virginia Medical School im amerikanischen Norfolk entdeckte bei einer Befragung von 1000 Personen, dass dicke Menschen im Schnitt 16 Minuten weniger schlafen. „Die Pfunde lassen sich dabei nicht alleine dadurch erklären, dass man mehr isst, wenn man länger aufbleibt“, hält Vorona fest. Schon bei Kindern lässt zu wenig Schlaf den Zeiger auf der Waage in die Höhe schnellen.

Dutzende Verdauungsenzyme und Botenstoffe schwellen im Takt der biologischen Uhr an und ab. Ihre Aktivität pendelt mit einer Periode von 24 Stunden. Gönnt man sich in der Nacht nicht ausreichend Bettruhe, so kippt dieses subtile Gleichgewicht. Bei Testpersonen, die nur vier Stunden jede Nacht schliefen, schütten die Zellen weniger von dem Appetitzügler „Leptin“ und weniger Insulin aus. Dafür wurde mehr von dem appetitanregenden Ghrelin freigesetzt. Die Umnächtigten fühlen sich ständig hungrig. Zugleich werden mehr Nährstoffe aus dem Essen als Reserve gebunkert.

Dieses Chaos der Botenstoffe zeitigt auf lange Sicht gravierende Folgen: Schichtarbeiter sind nicht nur häufiger übergewichtig. Sie werden leichter zuckerkrank und von Herz-Kreislauf-Erkrankungen gepeinigt. Ihre Blutfettwerte sind im Schnitt deutlich schlechter als die der übrigen Beschäftigten. Sogar die Wahrscheinlichkeit, Krebs zu bekommen, ist bei ihnen größer.

„Die Befunde sind sehr ernst zu nehmen“, betont Vanselow, „allerdings ist der kausale Zusammenhang zwischen der inneren Uhr und dem Stoffwechsel noch Gegenstand der Forschung.“ Nicht nur mangelnder Schlaf stellt die Verdauung auf den Kopf. Offenbar wirkt auch die Nahrungsaufnahme auf die innere Uhr zurück. Geregelte Mahlzeiten helfen dem Zeitgeber im Kopf, sich mit der Umwelt zu synchronisieren. Unregelmäßige Mahlzeiten und Nulldiäten bringen ihn indes durcheinander.

Mit diesen Erkenntnissen wird die überkommene Tradition fester Essens- und Schlafenszeiten unvermittelt auf ein wissenschaftliches Fundament gestellt. Dabei wurde überliefertes Wissen wie „Nachts essen macht dick“ von verschiedenen Ernährungsforschern längst als Humbug abgestempelt. Offenbar vorschnell. Denn nun müssen sie sich von Chronobiologen eines anderen belehren lassen.

ddp/wissenschaft.de – Susanne Donner
Anzeige

Wissenschaftsjournalist Tim Schröder im Gespräch mit Forscherinnen und Forschern zu Fragen, die uns bewegen:

  • Wie kann die Wissenschaft helfen, die Herausforderungen unserer Zeit zu meistern?
  • Was werden die nächsten großen Innovationen?
  • Was gibt es auf der Erde und im Universum noch zu entdecken?

Hören Sie hier die aktuelle Episode:

Aktueller Buchtipp

Sonderpublikation in Zusammenarbeit  mit der Baden-Württemberg Stiftung
Jetzt ist morgen
Wie Forscher aus dem Südwesten die digitale Zukunft gestalten

Wissenschaftslexikon

Ego|tist  〈m. 16〉 1 jmd., der sich selbst in den Vordergrund stellt 2 〈Lit.〉 Verfasser von Romanen in Ichform … mehr

So|ma  〈n.; –s, –ta; Med.〉 Leib, Körper [<nlat. soma … mehr

pho|to|gram|me|trisch  auch:  pho|to|gram|met|risch  〈Adj.〉 = fotogrammetrisch … mehr

» im Lexikon stöbern
Anzeige
Anzeige
Anzeige