Doch zum Glück hat er sich getäuscht. Dank Antibiotika ist die Frau inzwischen gesund und arbeitet seit vier Jahren wieder. Die heilenden Pillen hat ihr der Arzt Karl Bechter verordnet. Der Spezialist für psychische Erkrankungen vom Bezirkskrankenhaus der Universität Ulm schöpfte Verdacht, nachdem er im Blut Antikörper gegen Streptokokken und Anzeichen einer chronischen Infektion bemerkte.
Er vermutet, dass die Patientin zwei Jahre lang an einer wellenartig wiederkehrenden Erkrankung durch die Bakterien litt. Das habe die Depression hervorgerufen. „Psychische Erkrankungen sind in einigen Fällen eine Folge von Abwehrkämpfen des Immunsystems“, ist Bechter überzeugt. Eine ungewöhnliche These, die er anhand der Krankheitsgeschichte der 31-jährigen Patientin bestätigen konnte.
Depressiv und schizophren durch Bakterien und Viren? Früher suchte man die Ursache psychischer Leiden in erster Linie im sozialen Umfeld, in der Kindheit und der Erziehung. „Generationen von Eltern haben sich Vorwürfe gemacht. Aber die Familie spielt als Auslöser überhaupt keine Rolle“, räumt Bernhard Bogerts, Psychiater an der Otto-von-Guericke-Universität in Magdeburg, mit diesem Klischee auf. Die Mitmenschen beeinflussen zwar den Verlauf der Erkrankung, aber die Wurzel des Übels sind sie nicht. Die Ursachen sieht der Mediziner andernorts: Die Gene, vorgeburtliche Hirnstörungen und ein aus dem Tritt geratenes Immunsystem „spielen dabei eine wichtige Rolle“, so Bogerts. Gerade schleichende und chronische Entzündungen lenken das Immunsystem auf die schiefe Bahn.
„Wir haben für mindestens 13 Erreger Hinweise, dass sie mit psychischen Erkrankungen in Verbindung stehen“, führt Bechter aus. Neben Streptokokken gehören Borrelien dazu, die von Zecken auf den Menschen übertragen werden. Jahre nach dem Biss habe sich die Infektion bei einigen Patienten mit einer Depression gemeldet, berichtet Bechter.
Auf der Liste der Verdächtigen stehen auch Herpes- sowie HI-Viren und Chlamydien, die beim Sex übertragen werden. „Es sind sogar Erreger dabei, die als nicht besonders gefährlich gelten, die sich aber im Nervensystem einnisten.“ Aus ihrem Versteck heraus können sie ein tückisches Spiel treiben.
Wie die Erreger den Menschen in die psychische Krankheit treiben, ist allerdings bislang nicht geklärt. Bei Aids-Patienten, die an einer Depression litten, fand man nach ihrem Tod, dass der Eiweißstoff Kynureninsäure in ihrem Gehirn abnormal verändert war. Dadurch wird der Informationsaustausch zwischen den Neuronen gestört. „Bei HIV-Patienten sind bestimmte Zellen des Gehirns voll mit Viren“, betont Bechter.
Auch andere Erreger hinterlassen Spuren im Gehirn: Das Borna-Virus schädigt Glia- und Nervenzellen, wie bei Depressiven und Schizophrenen nachgewiesen wurde. Auch die Nervenzellfortsätze werden von diesem Virus in die Mangel genommen. Bechter konnte einigen Patienten helfen, indem er einen Teil der Bakterien und Viren aus ihrem Nervenwasser filterte.
Doch die Psychoneuroimmunologen kommen nur langsam voran bei der Suche nach weiteren Indizien. Sie müssen auf verstorbene psychisch Kranke hoffen, deren Angehörige einwilligen, das Gehirn auf mögliche Virusrelikte oder Zeichen einer Entzündung zu durchsuchen. Im neuropathologischen Labor von Bogerts werden derzeit Schädel von manisch Depressiven, Schizophrenen und Selbstmordopfern analysiert.
„Der Nachweis ist sehr schwierig“, klagt Bogerts. Denn längst nicht jede Infektion lastet für immer auf der Seele. Nur ein sehr kleiner Teil der Menschen schleppt die Erkrankung dauerhaft mit sich herum und bekommt schließlich ein psychisches Leiden. „Erreger spielen bei einem bedeutenden Prozentsatz der Patienten eine Rolle. Aber das Bakterium „Schizokokkus“, das von heute auf morgen wahnsinnig macht, gibt es nicht“, unterstreicht Bogerts. Depressionen und Schizophrenien sind uneinheitliche Erkrankungen. Der Einfluss verschiedener Erreger könnte eine Erklärung dafür liefern.