Warum es so schwierig war, aus den Kräften der Quarks die Kräfte zwischen den aus Quarks bestehenden Protonen und Neutronen im Atomkern zu berechnen, erklärt Ishii so: „Ein Kernteilchen besteht aus drei Quarks, die sich gemäß den Gesetzen der QCD bewegen. Es ist deshalb nicht möglich, zwei Kernteilchen als feststehend zu betrachten und dann die Kraft zwischen ihnen zu berechnen.“ Die Japaner überwanden dieses Problem mithilfe der Quantenmechanik. Sie berechneten zuerst die Wellenfunktion der Kernteilchen und konnten daraus eine Formel für die zwischen ihnen wirkende Kraft herleiten.
Doch damit hatten die japanischen Physiker ihr Ziel noch lange nicht erreicht, wie Ishii erläutert: „Ein Kernteilchen hat einen Durchmesser von etwas weniger als zwei Fermi.“ Ein Fermi oder Femtometer entspricht einem billionstel Millimeter. „Da wir die Kernkraft berechnen wollen, brauchen wir mindestens zwei Kernteilchen. Die stecken wir in einen Würfel mit einer Kantenlänge von vier Fermi und führen eine Gitter-QCD-Rechnung durch.“ In der Gitter-QCD werden komplexe Probleme dadurch gelöst, dass man die zu berechnenden Größen nicht für jeden beliebigen Raumpunkt, sondern nur für die Kreuzungspunkte eines engmaschigen dreidimensionalen Gitters ausrechnet. Genau das war das Problem: „Simulationsrechnungen für einen vier Fermi großen Würfel sind selbst für die heutigen Supercomputer eine Herausforderung“, sagt Ishii. „Zuverlässige Rechnungen wurden für uns erst mit dem 50 Tflops IBM Blue Gene/L möglich, der im März 2006 im KEK installiert wurde.“ 50 Tflops stehen für eine Rechenleistung von 50 Billionen Operationen pro Sekunde das entspricht in etwa der Rechenleistung von 10.000 gewöhnlichen PCs.
Die Japaner konnten mit ihren Simulationsrechnungen tatsächlich das seit Jahrzehnten experimentell bekannte eigenartige Verhalten der Kernkraft reproduzieren: Zwei Kernteilchen, die mehr als zwei Fermi voneinander entfernt sind, spüren so gut wie keine Anziehungskraft. Bei kleineren Abständen, bis hinab zu etwas weniger als einem Fermi, ziehen die Teilchen sich an das ist der Grund, weswegen die Atomkerne nicht auseinanderfallen. Doch bei noch kleineren Abständen kehrt die Kraft sich plötzlich um und wirkt stark abstoßend wäre das nicht der Fall, würden die Atomkerne in sich kollabieren.
„Dieser abstoßende Anteil der Kernkraft stoppt auch den Gravitationskollaps eines Riesensterns“, ergänzt Ishii. Sterne, die mindestens die zehnfache Masse unserer Sonne haben, zünden im Laufe ihrer Existenz mehrfach eine Kernfusion. Nachdem zunächst wie heute in unserer Sonne Wasserstoff zu Helium fusionierte, wird in einem zweiten Zyklus Helium zu Kohlenstoff „verbrannt“. Nach einigen weiteren Fusionszyklen endet der Stern schließlich mit einem mehrere tausend Kilometer großen Eisenkern in seinem Innern. Wenn die Masse des Eisenkerns zu groß wird, kollabiert er, bis die Materie die Dichte von Atomkernen erreicht. Verursacht wird der Kollaps dadurch, dass die Elektronen der Eisenatome sich mit zunehmender Geschwindigkeit mit den Protonen im Atomkern zu Neutronen vereinigen.
Das letzte Bollwerk, das sich dem Gravitationskollaps entgegenstellt, ist der abstoßende Anteil der Kernkraft. „Der Kollaps wird abrupt gestoppt, sobald die Kernteilchen sich zu nahe kommen“, sagt Ishii. „Die Materie, die zum Zentrum des Sterns gefallen war, prallt zurück und erzeugt Schockwellen, die die äußeren Schichten des Sterns hinwegfegen. Der Stern explodiert als Supernova.“ Ishii hofft, dass seine und die Arbeit seiner Kollegen auch zu einem besseren Verständnis dieser Sternexplosionen führen wird.
Doch alle Probleme sind noch nicht gelöst. „Wir mussten bei unserer Computersimulation die Quarks schwerer ansetzen als sie tatsächlich sind“, sagt Ishii. „Nur so konnten wir die Rechnung so einfach halten, dass die uns zur Verfügung stehende Rechenleistung des Computers ausreichte.“ Diese und eine weitere Vereinfachung hofft Ishii bald überwinden zu können: „Wir haben zwar quergecheckt, dass uns die Näherungen bei der Berechnung der Kernkraft keine prinzipiellen Probleme bereiten. Trotzdem werden wir unsere Simulation letzten Endes auch ohne diese Näherungen durchführen müssen. Glücklicherweise hat die japanische Regierung ein Projekt ins Leben gerufen, bei dem bis zum Jahr 2010 ein Computer entwickelt wird, der 200-mal schneller sein soll als der, der uns heute zur Verfügung steht. Das ist gar nicht mehr so lange hin!“