Die Existenz von Seltsamer Quarkmaterie wird vom Standardmodell der Teilchenphysik „ermöglicht“. Man muss dies so vorsichtig ausdrücken, weil die mathematische Formulierung des Standardmodells so komplex ist, dass eine theoretische Voraussage dieser Materie für sich allein kein Beweis ihrer Existenz ist. Dazu muss man sie schon experimentell nachweisen oder beobachten.
Gemäß dem Standardmodell gibt es sechs verschiedene Quarksorten. Die Neutronen und Protonen der uns umgebenden Materie bestehen ausschließlich aus Up- und Down-Quarks. Außerdem gibt es noch Strange-, Charm-, Bottom- und Top-Quarks. Die Existenz aller sechs Quarksorten ist in Teilchenbeschleunigern nachgewiesen worden.
Die mit Abstand leichtesten Quarks sind die Up- und Down-Quarks. Das ist auch der Grund, warum die gewöhnliche Materie in unserem Universum nur aus diesen beiden Quarksorten besteht. Weil sie weniger Masse und damit weniger Energie besitzen, bilden sie den Grundzustand der Materie, in den die schwereren Quarks innerhalb eines Sekundenbruchteils zerfallen. Das ist vergleichbar mit einem Ball, der auf einem Berg liegt. Weil er auf dem Berg wegen der Erdanziehung mehr potenzielle Energie hat als im Tal, wird er von selbst nach unten rollen sein vorheriger Zustand mit höherer Energie ist damit „zerfallen“.
Was aber, wenn es ein physikalisches Prinzip gäbe, dass ein schweres Teilchen unter bestimmten Bedingungen daran hindert, in ein leichteres zu zerfallen? Ein solches Prinzip gibt es, nämlich das so genannte Pauli-Prinzip, für dessen Entdeckung Wolfgang Pauli 1945 den Physik-Nobelpreis erhielt. Dem Pauli-Prinzip verdanken wir beispielsweise die Existenz der gewöhnlichen Materie. Denn ein „freies“ Neutron zerfällt innerhalb von 11 Minuten in das etwas leichtere Proton. Demnach müssten mit Ausnahme des Wasserstoffatoms, das keine Neutronen enthält, eigentlich alle Atome innerhalb kurzer Zeit zerfallen.
Doch innerhalb eines Atomkerns sind die Neutronen nicht frei beweglich, sondern zusammen mit den anderen Neutronen und Protonen durch die Starke Kernkraft aneinander gebunden. In einem gebundenen System gibt es aber gemäß der Quantenmechanik nur eine begrenzte Anzahl von Zuständen oder „Schubladen“, in die man die verschiedenen Teilchen stecken kann. Das Pauli-Prinzip sagt nun, dass in jede Schublade maximal ein Teilchen einer bestimmten Sorte hineingehört. Für ein Neutron bedeutet das: Sind in einem Atomkern alle Proton-Schubladen besetzt, dann darf es sich nicht in ein Proton verwandeln, weil für ein zusätzliches Proton einfach kein Platz mehr frei wäre.
Auf ähnliche Weise verhindert das Pauli-Prinzip den Zerfall von Seltsamer Quarkmaterie. Diese besteht aus etwa gleich vielen Up-, Down- und Strange-Quarks, denen sie auch ihren Namen verdankt. Ohne Pauli-Prinzip würden alle Strange-Quarks innerhalb kürzester Zeit in Down-Quarks zerfallen. Weil aber in der Seltsamen Quarkmaterie alle Down-Schubladen bereits besetzt sind, unterbleibt der Zerfall.
Diese Stabilität der Seltsamen Quarkmaterie macht es möglich, dass selbst winzige Teilchen, die aus dieser Materie bestehen, eine Masse erreichen, die für entsprechend große Teilchen aus gewöhnlicher Materie unmöglich ist. Denn kein nur wenige hundertstel Millimeter großes Teilchen aus gewöhnlicher Materie kann eine Masse von mehreren Tonnen haben. Die dazu notwendige Dichte besitzen (mit Ausnahme von Neutronensternen) nur Atomkerne. Doch stabile Atomkerne mit mehr als 208 Protonen und Neutronen, die zusammen gerade mal ein halbes trilliardstel Gramm wiegen, sind nicht möglich. Sie zerfallen radioaktiv.
Die Alternative, nämlich beliebig viele Up- und Down-Quarks zu einem großen Teilchen „zusammenzupferchen“, funktioniert auch nicht. Das lassen die Gesetze der Standardtheorie der Teilchenphysik nicht zu. Wenn man aber Up-, Down und Strange-Quarks zu etwa gleichen Teilen zusammenbringt, bilden sie ein Riesenteilchen mit der gleichen Dichte wie Atomkerne, nämlich 100 Billionen Gramm pro Kubikzentimeter. Und das Pauli-Prinzip verhindert den Zerfall der Strange-Quarks und sorgt damit für die Stabilität des Riesenteilchens. Der Anzahl von Quarks und damit dem Gewicht des Riesenteilchens sind dabei kaum Grenzen gesetzt. „Die obere Grenze ist erst dann erreicht, wenn die Gesamtmasse der Quarks für die Bildung eines Schwarzen Lochs ausreicht“, sagt Chui.
So weit die Theorie. Doch wenn tatsächlich Teilchen aus Seltsamer Quarkmaterie durchs All rasen, wie kann man sie nachweisen? Durch winzige Erdbeben, die die Teilchen erzeugen, wenn sie die Erde oder den Mond durchqueren, so glauben Chui und seine Kollegen. „Ein Teilchen aus Seltsamer Quarkmaterie hätte auf die Erde oder den Mond einen ähnlichen Effekt wie eine Gewehrkugel, die ein weiches Material durchfliegt“, sagt Chui.
Versuche, den Durchschlag eines solchen Teilchens durch die Erde nachzuweisen, waren bisher nicht erfolgreich. Zwar hatten Chuis Kollegen beim Durchforsten der Daten von Erdbebenstationen ein verdächtiges Signal gefunden, das nicht von einem gewöhnlichen Erdbeben zu stammen schien, aber gut zu einem tonnenschweren, die Erde durchquerenden Teilchen passte. Im Nachhinein stellte sich aber heraus, dass die Uhr in einer der Erdbebenstationen nicht korrekt eingestellt war. Damit hätten die Daten auch von einem gewöhnlichen Erdbeben stammen können.
Das große Problem beim Nachweis solch schwacher seismischer Signale ist aber die große seismische Aktivität der Erde. Es gibt auf der Erde einfach zu viele, vor allem kleine und winzigste Erdbeben. Von Seismometern, die die Apollo-Astronauten auf dem Mond zurückgelassen haben, weiß man dagegen, dass die seismische Energie, die auf dem Mond freigesetzt wird, nur etwa ein Millionstel derjenigen der Erde ausmacht.
Chui und seine Kollegen haben nun ausgerechnet, dass man daher auf dem Mond Teilchen aus Seltsamer Quarkmaterie entdecken kann, die leichter sind als diejenigen, die man so gerade noch auf der Erde entdecken könnte. Die winzigen Beben, die von den leichteren Teilchen erzeugt werden, wären auf der Erde nicht vom immerzu vorhandenen „seismischen Hintergrundrauschen“ zu unterscheiden. Die Forscher rechnen mit etwa 50-mal mehr Entdeckungen. Wegen dieses Hintergrundrauschens würde auch eine für die Zukunft erwartete verbesserte Empfindlichkeit der Seismometer um zwei Größenordnungen für Entdeckungen auf der Erde keinen Vorteil bringen. „Wir wissen derzeit nicht genau, um wie viel niedriger das Hintergrundrauschen auf dem Mond ist“, sagt Chui. „Aber mit verbesserten Seismometern halten wir 15.000-mal mehr Entdeckungen als auf der Erde für möglich.“
Natürlich drängt sich die Frage auf, wie viel „15.000-mal mehr Entdeckungen als auf der Erde“ denn in absoluten Zahlen bedeutet. Doch da muss Chui passen: „Die theoretischen Vorhersagen darüber, wie viel Seltsame Quarkmaterie es im Universum gibt, sind ziemlich unsicher. Deshalb haben wir keine Möglichkeit, die absolute Entdeckungsrate vorherzusagen.“ Trotzdem oder gerade deshalb hat die Nasa den Vorschlag von Chuis Team, auf dem Mond nach Seltsamer Quarkmaterie zu suchen, auf die Liste der wissenschaftlichen Ziele ihrer geplanten Mondmissionen gesetzt.