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Weizen verheizen: Die Rechnung mit dem ethisch bedenklichen Brennstoff geht auf

Technik|Digitales

Weizen verheizen: Die Rechnung mit dem ethisch bedenklichen Brennstoff geht auf
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Steigende Ölpreise und der niedrige Preis für Getreide auf den europäischen Märkten haben zu einer für viele ethisch äußerst fragwürdigen Möglichkeit geführt: Heizen mit Weizen oder Gerste ist billiger als mit Öl. Viele Landwirte sehen darin eine wirtschaftliche Chance für ihre Betriebe, doch die Zahl der Kritiker ist groß.

Getreide ist heute billiger als Heizöl. Da ist es für den Landwirt naheliegend, statt der Mastschweine den Ofen mit seiner Gerste zu füttern. Jahrhundertelang waren die goldgelben Getreidekörner wichtigstes Nahrungsmittel und Sinnbild für Brot und Ernte, doch jetzt haben steigende Öl- und sinkende Getreidepreise vielerorts in Deutschland eine Diskussion über das Heizen mit Korn in Gang gesetzt. Längst sind spezielle Kessel auf dem Markt, doch bewegt sich die reine Getreideheizung in einer gesetzlichen Grauzone. Beispielsweise darf in Heizkesseln zur Versorgung eines mittelgroßen Bauernhofs kein reines Getreide verbrannt werden – Stroh oder die ganze Getreidepflanze darf der Landwirt hingegen verfeuern.

Dennoch heizen in Deutschland derzeit zirka 1.000 Bauernhöfe mit Getreide, vermutet Franz Pentenrieder aus Starnberg/Wangen im Gespräch mit ddp. Der Landwirt betreibt seit fünf Jahren eine Internetseite zum Thema Getreideheizung und rechnet vor: 12,5 Kilo Getreide haben den gleichen Heizwert wie 5 Liter Heizöl, kosten jedoch nur ein Drittel. Keine Überraschung also, dass mit dem explodierenden Ölpreis und einem Getreideüberschuss das Interesse an der Getreideheizung zunimmt: Ein österreichischer Händler verzeichnet derzeit für diese Kessel pro Woche 25 Anfragen aus Deutschland.

Abgesehen von der Gesetzeslage ist auch die ethische Frage der Getreideverbrennung heikel. So steht beispielsweise der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) der Verbrennung von Getreide skeptisch gegenüber: Das Vorhaben sei „eine Entwertung von Lebensmitteln, wie sie wohl nur in einer Überflussgesellschaft erfolgen kann“, schreibt Ralf Bilke in einer Stellungnahme des BUND. Die evangelische Landeskirche von Westfalen hält dagegen die Nutzung von Getreide als Brennstoff „unter den gegenwärtigen Marktbedingungen für sinnvoll“. Den deutschen Getreideüberschuss einfach an notdürftige Länder zu schicken, zerstöre nur dort durch Preisverfall die Landwirtschaft. Die Problematik liege vielmehr „in den aktuellen Preisen für Brot- und Futtergetreide, die auch ethisch hinsichtlich der Wertschätzung dieser Lebensmittel kritisch zu hinterfragen sind“.

Technisch ähneln Getreideheizungen den Heizkesseln für so genannte Holzpellets. Diese wenige Zentimeter langen Scheibchen aus gepressten Holzresten sind eine elegante Alternative zur Verbrennung von Holzscheiten, denn sie werden von einer Förderschnecke von einem Vorratsbehälter automatisch in den Brennraum transportiert. Das mühevolle Nachlegen von Hand entfällt. Genauso funktioniert auch eine Getreideheizung, wo der Brennstoff dank der feinen Körnung des Getreides optimal dosiert werden kann. Für Getreide als Brennstoff spricht dabei, dass es nur etwa die Hälfte kostet wie Pellets.

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Bei der Getreideverbrennung fällt allerdings fünfmal soviel Asche an wie bei der Holzverbrennung. Darüber hinaus schmilzt die Getreideasche schon bei Temperaturen ab 700 Grad Celsius, die im Heizkessel schnell erreicht sind, und backt bei der Abkühlung am Kessel fest. Um Komplikationen zu vermeiden, muss der Verbraucher seinen Kessel im Auge behalten: Ein bis zweimal täglich schaue er schon nach seiner Anlage, meint Pentenrieder. Damit eignet sich die Getreideheizung in erster Linie für kleine, arbeitsintensive landwirtschaftliche Betriebe, wo die Landwirte ohnehin den ganzen Tag auf ihrem Hof beschäftigt sind, erklärt der Landwirt.

Bisher sind nur wenige Kessel auf dem Markt, die speziell für das Verfeuern von Getreide konstruiert wurden. Die meisten Anlagen kommen aus Dänemark, wo seit 15 Jahren mit Getreide geheizt wird: Derzeit sind dort rund 10.000 Getreideheizungen in Betrieb. Ein neuer Kessel kostet um die 6.000 Euro, doch können auch bestehende Holzpellet-Heizungen ohne große Probleme auf Getreide umgestellt werden.

Neben ethischen und technischen Aspekten gibt es auch Bedenken über mögliche Umweltbelastungen. So ist das Abgas bei der Getreideverbrennung stärker mit Staub belastet als bei Holz und auch die Konzentration der Stickoxide ist höher. Um die Grenzwerte für Staub einzuhalten, muss in der Regel ein Filter am Kessel nachgerüstet werden. Für Stickoxide gibt es zwar erst Grenzwerte ab 100 Kilowatt Kesselleistung, doch werden sie mit Smog und saurem Regen in Verbindung gebracht und sind deshalb nicht unbedenklich. Pentenrieder schätzt, dass beim Beheizen eines Einfamilienhauses mit Getreide etwa gleichviel Stickoxide pro Minute anfallen wie beim Betrieb eines modernen Diesel-Pkw. Immerhin, in der Klimabilanz schneidet Getreide gut ab: Was die Pflanze an Kohlendioxid aufnimmt, gibt sie in der Verbrennung wieder ab.

Pentenrieder weist darauf hin, dass die Qualitäten, die Getreide als Nahrungsmittel wertvoll machen, ihren Heizwert herabsetzen. So soll Brotgetreide einen möglichst hohen Eiweißgehalt aufweisen, doch bei der Verbrennung ist es dieses Eiweiß, das die umweltschädlichen Stickoxide bildet. Die Verbrennung von Getreide stellt also keine grundsätzliche Konkurrenz zum Nahrungsmittel Getreide dar – der Landwirt würde das Brotgetreide, für das er noch am ehesten Geld bekommt, wenn überhaupt wohl als letztes verbrennen.

ddp/wissenschaft.de – Christina Schallenberg
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