So hat das Gewicht der Mutter vor der Geburt offenbar einen entscheidenden Einfluss auf das Geschlecht des Babys. Das berichtet der italienische Forscher Angelo Gagnacci von der Polyklinik in Modena in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift „Human Reproduction“. Der Mediziner hatte knapp 10.000 Geburten ausgewertet. Frauen mit einem Gewicht von weniger als 54 Kilogramm gebären demnach deutlich weniger Jungen als üblich. Auf 98 Knaben kamen 100 Mädchen. Bei den restlichen Geburten überwog dagegen die Zahl der Jungs: Auf 100 Mädchen kamen 110 Jungen. Sehr dünne Frauen dürften daher dazu neigen, mehr weiblichen Nachwuchs hervorzubringen, erläutert Cagnacci die Ergebnisse. Auch Tiere bringen nach extremen Hunger- oder Dürreperioden weniger männliche Nachkommen auf die Welt, wie amerikanische Forscher im Herbst vergangenen Jahres nachweisen konnten.
Doch auch bei anderen Belastungen reagieren männliche Samenzellen und Embryonen besonders empfindlich und häufig mit einem Rückgang der Geburtenrate. So beobachtete das Berlin-Institut für Weltbevölkerung und globale Entwicklung einen starken Einbruch des Geburtenverhältnisses in Ostdeutschland kurz nach dem Mauerfall. 1991 kamen einige Hundert Jungen weniger auf die Welt als üblich. „Die Geburtenrate der Männer lag im vergangenen Jahrzehnt nie mehr so niedrig“, berichtet das Institut. Die Forscher erklären den erstaunlichen Einfluss des politischen Ereignisses damit, dass der psychische Stress auf die Menschen in diesem Jahr größer gewesen sei als sonst.
Auch nach Erdbeben oder Naturkatastrophen soll die Geburtenrate der Jungen kurzzeitig sinken. Wiederum soll psychischer Stress eine Ursache sein. Sogar die Jahreszeiten scheinen das Verhältnis der Geburten zu beeinflussen. Cagnaccis Studie an insgesamt mehr als 10.000 Geburten zeigte, dass nach einer Zeugung im Herbst bevorzugt Jungen zur Welt kommen. „Die Chancen für die Geburt eines Mädchens sind dagegen bei einer Empfängnis in den Monaten März bis Mai am besten“, erläutert Cagnacci. Weshalb das Geschlecht der Nachkommen mit der Saison schwankt, ist unklar.
Grundsätzlich scheinen männliche Embryonen zum Zeitpunkt der Einnistung in die Gebärmutter im Vorteil zu sein. „Zellen männlicher Embryonen teilen sich schneller und haben eine höhere Stoffwechselrate“, erläutert Cagnacci. Bei der raschen Zellteilung kann es jedoch auch rasch zu Fehlern kommen. Gifte und andere schädigende Einflüsse haben dann leichteres Spiel. So sind Jungen anfälliger für Fehlentwickelungen während der Schwangerschaft, aber auch unmittelbar nach der Geburt.
Wissenschaftler diskutieren auch, ob Chemikalien in der Umwelt das Gleichgewicht zwischen Jungen und Mädchen verschieben. Die amerikanische Forscherin Devra Davis von der Carnegie Mellon University in Pittsburg ist davon überzeugt. Beispielweise habe sich der Chemieunfall von Seveso stark auf das Geburtenverhältnis ausgewirkt. Bei dem Unfall wurde das Gift Dioxin freigesetzt. „In einem Zeitraum von sieben Jahren nach dem Unglück wurden in der am meisten belasteten Region insgesamt fast doppelt so viele Mädchen wie Jungen geboren“, berichtet die Medizinerin. Erst allmählich habe sich das Verhältnis dann wieder den üblichen Werten angeglichen.
Einige Stoffe können Spermien beeinträchtigen und die Entwicklung des heranwachsenden Kindes im Mutterleib stören. Besonders Samenzellen mit dem männlichen Y-Chromosom sollen dafür anfällig sein. Zu den schädlichen Substanzen gehört auch Nikotin. Japanische und dänische Forscher konnten nachweisen, dass Rauchen vor und während der Schwangerschaft die Rate der Jungen stark reduziert. Rauchen beide Eltern, so verschob sich das Verhältnis von Jungen zu Mädchen um ein Drittel zu den Mädchen.