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Insekten können mit hochflexiblen Kissen auf verschiedensten Oberflächen haften

Erde|Umwelt

Insekten können mit hochflexiblen Kissen auf verschiedensten Oberflächen haften
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Insekten sind Meister der Fortbewegung: Sie wandern entlang von senkrechten Wänden und können kopfüber auf Glasscheiben laufen. Bis vor kurzem war es Zoologen ein Rätsel, wie sich die Tiere an unterschiedliche Oberflächen anpassen. Nun haben zwei Forschungsgruppen in Deutschland entdeckt, dass Insekten mit einem aufpumpbaren Flüssigkeitspolster an ihren Füßen haften. Es ist von einem dünnen Flüssigkeitsfilm überzogen, der sie am Untergrund festhält.

Die Fähigkeit, auf weichen Oberflächen Halt zu finden, ist lebenswichtig für kleine Tiere, die auf Pflanzen leben. Einige Insekten entwickeln haftende Kräfte, die mehr als das 100fache ihres eigenen Körpergewichts halten könnten. Trotzdem bewegen sie sich flink auf jedem Untergrund: Sie jagen über Blätter aller Art, setzen sich auf Äste und Steine oder landen sogar auf Glasscheiben ohne abzurutschen. Dazu müssen sie ihre Haftorgane schnell und effektiv an die neue Oberfläche anpassen.

Insekten haften durch ein weiches “klebriges” Kissen, das in der Wissenschaft als Arolium bezeichnet wird. Es befindet sich zwischen den Krallen an der Spitze ihres Fußes. Die Adhäsion auf weichen Oberflächen bewirkt ein hauchdünner Flüssigkeitsfilm zwischen Arolium und Untergrund. So haften die Tiere wie ein nasses Stück Papier an einer Fensterscheibe.

Der Zoologe Walter Federle, der seit kurzem an der “University of California” in Berkeley (USA) forscht, hat gemeinsam mit seinem Kollegen Bert Hölldobler an der Universität Würzburg in einer internationalen Studie die Feinmotorik der Haftstrukturen von Insekten erforscht. Die Untersuchungsobjekte waren die asiatische Weberameise und die Honigbiene, die sehr große Haftpolster haben. Sie wollten zeigen, wie Insekten ihre “Fußpolster” bewegen und dadurch die Haftung kontrollieren. Dazu ließen sie die Versuchstiere über Glasplatten laufen und machten Hochgeschwindigkeits-Videoaufnahmen. Um das Arolium im Bewegungsablauf zu beobachten, wurden auf Plastik laufende Ameisen schockgefroren.

Die Bewegung des Arolium ist eng an das Aus- und Einfahren der Krallen geknüpft. Zuerst berühren die Krallen die Oberfläche und versuchen Halt zu finden. Wenn der Untergrund sehr weich oder glatt ist, rutschen sie ab und werden zurückgezogen. Dann entfaltet sich das elastische Arolium und wird mit einer Flüssigkeit aufgepumpt, die eine Drüse des Haftpolsters produziert. Das aufgeblähte Kissen ragt nun zwischen den Krallen hervor und kann aufgesetzt werden. Der feine Flüssigkeitsfilm bewirkt die Haftung am Boden. Vor dem nächsten Schritt wird es durch einen Rückstoß seiner Außenhaut entleert und wieder zusammen gefaltet. Nun fahren die Insekten ihre Krallen wieder aus, und der Fuss löst sich vom Untergrund. Der gesamte Prozeß dauert ein Zehntel oder sogar nur ein Hundertstel einer Sekunde und wird bei jedem Schritt wiederholt. Wie ein Schnellfeuergeschütz wird das Arolium aus- und eingefahren. Die Haftorgane der Insekten sind daher viel dynamischer als beispielsweise bei Geckos. Diese “Haftzeher” gehören zu den Echsen und haben starre Fußpolster, die sich bei jedem Schritt ablösen. Sie produzieren keinen Flüssigkeitsfilm, sondern haften durch feine Härchen, die wie bei einer Bürste angeordnet sind.

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Das Tübinger Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie bestimmt die Rutschsicherheit und das Haftvermögen der Fußsohlen des “Grünen Heupferdes”- eine einheimische Laubheuschrecke mit bemerkenswertem Sprungvermögen. In diesem Bereich forscht seit über zwei Jahren die von Stanislav Gorb geleitete Gruppe “Biologische Mikrotribologie”. Eigentlich ist die Tribologie eine physikalisch-technische Disziplin – die Wissenschaft von Reibung, Verschleiß und Schmierung. Aber auch die Haftorgane von Insekten bieten interessante Forschungsmöglichkeiten. Um die Struktur und Funktion des Arolium zu bestimmen, konstruierten die Tübinger Forscher verschiedene Meßinstrumente – wie beispielsweise einen Meßkopf, der die Eigenschaften der Haftpolster ermittelt. Er wurde in enger Zusammenarbeit mit der Technischen Universität Ilmenau gebaut. Nachdem das Insekt auf einem Träger fixiert ist, wird sein Fuß mit dem Meßkopf in Kontakt gebracht. So ermitteln die Forscher die Kräfte, die bei Reibung und Haftung ausgeübt werden.

Das “Insekten-Karussell” – ein senkrecht um seine Achse drehbarer Zylinder – bestimmt die Rutschsicherheit und Haftung der Insekten auf unterschiedlichen Oberflächen. Die Wissenschaftler setzen das Versuchsobjekt auf die senkrechte oder horizontale Fläche des Zylinders. Das “Karussel” rotiert immer schneller, bis das Insekt vom Meßapparat geschleudert wird. Aus der Drehzahl des Zylinders, dem Gewicht des Insekts und dessen Abstand von der Drehachse errechnen die Forscher die Fliehkraft beim Abwurf. Dieser Wert entspricht der Reibungskraft, wenn das Insekt auf der horizontalen Fläche gesessen hat und der Adhäsion, wenn es von der vertikalen Fläche abgeworfen wurde. Um den Einfluss des Untergrunds einschätzen zu können, belegen die Experten das “Karussell” mit verschiedenen Materialien wie Schleifpapiere oder Glasscheiben. Kleine leichte Insekten haften nach dieser Studie besser als große und schwere Exemplare. Die Haltekraft ist bei glatten Oberflächen – wie etwa auf Glasscheiben – besonders hoch und bei rauen Flächen sehr niedrig. Dies liegt an der Mikrostruktur der Sohlen, erklärt der Biologe Stanislav Gorb. Das Haftvermögen verringert sich, wenn die Struktur des Haftkissens mit der des Untergrunds schlecht übereinstimmt.

Keine technische Einrichtung erreicht bis jetzt die Eigenschaften des Haftsystems der Insekten. Die kleinen und flinken Tiere besitzen Haftorgane, die sich schnell an unterschiedliche Oberflächen anpassen und einen einfachen Bewegungsmechanismus haben. Die Haftkontakte sind stabil und schnell wieder lösbar. Daher könnten die Erkenntnisse ein Anstoß für die Entwicklung von neuen technischen Konstruktionen sein – wie beispielsweise bewegliche Mini-Roboter in medizinischen Verfahren, so Walter Federle.

Heike Heinrichs
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