“Die theropoden Dinosaurier waren die dominanten Prädatoren in den meisten terrestrischen Ökosystemen des Erdmittelalters”, erklären Fernando Novas vom argentinischen Naturkundemuseum in Buenos Aires und seine Kollegen. Von dieser ursprünglichen Lebensweise als Fleischfresser wichen erst einige engere Verwandte der Urvögel ab. Ein vegetarischer Theropode ist daher schon fast ein Widerspruch in sich – so dachte man jedenfalls bisher. Auch ein Fund, den Diego Suarez, der siebenjährige Sohn zweier Paläontologen, 1936 im Süden Patagoniens machte, änderte daran zunächst nichts. Er war in einer 145 Millionen Jahre alten Gesteinsformation auf mehrere Dinosaurierknochen gestoßen. Als seine Eltern diese untersuchten, wurden sie stutzig. Denn die Knochen schienen nicht zusammenzupassen: Einige ähnelten denen eines typischen Raubsauriers, andere dagegen eher dem eines Pflanzenfressers. Sie glaubten daher zunächst, dass die Knochen von verschiedenen Arten stammen mussten.
Bizarres Mosaik
Seither haben Paläontologen in der patagonischen Gesteinsformation mehr als ein Dutzend weiterer Fossilien geborgen, darunter auch komplette Skelette. Novas und seine Kollegen haben diese Fossilien nun erstmals analysiert und kommen zu den Schluss: Alle Knochen gehören zu einer einzigen, bisher unbekannten Art – so seltsam zusammengewürfelt sie auch erscheinen mögen. Zu Ehren des ursprünglichen Finders tauften die Forscher die neue Art Chilesaurus diegosuarezi. Wie sie berichten, wurde dieser Dinosaurier bis zu drei Meter lang. Er lief aufrecht auf seinen kräftigen Hinterbeinen und nutzte seine nur halb so langen Vorderbeine als Arme – ähnlich wie andere Theropoden auch. Statt einer Klaue trug der Chilesaurus allerdings nur eine Hand mit zwei stumpfen Fingern. Mit seinem kleinen Kopf und relativ langen Hals gleichte der Chilesaurus vielen pflanzenfressenden Dinosauriern. Auch seine breiten Mahlzähne deuten auf eine vegetarische Ernährung hin.
“Der Chilesaurus repräsentiert einen extremen Fall einer Mosaik-Evolution unter den Dinosauriern”, sagen Novas und seine Kollegen. Er vereine Merkmale ganz unterschiedlicher Sauriergruppen in sich. Entwickelt hat sich diese bizarre Mischung durch die Anpassung des Chilesaurus an die für Theropoden ungewöhnliche Lebensweise: Weil er Pflanzen fraß, haben einige seiner Körperteile sich ähnlich entwickelt wie die von anderen Pflanzenfressern, obwohl er mit ihnen nicht verwandt ist. “Chilesaurus liefert uns ein gutes Beispiel dafür, wie Evolution funktioniert”, sagt Koautor Martin Ezcurra von der University of Birmingham. “Er ist einer der interessantesten Fälle von konvergenter Evolution in der gesamten Geschichte des Lebens.”
Die Entdeckung des Chilesaurus wirft auch ein neues Licht auf die Evolution und Lebensweise vieler altbekannter Dinosauriergruppen. Denn bisher hielt man alle Vorfahren von Tyrannosaurus, Velociraptor und Co für Fleischfresser. “Offenbar war aber eine vegetarische Lebensweise unter den frühen Theropoden viel verbreiteter als bisher angenommen”, konstatieren die Forscher. Chilesaurus erweitert nun die Liste derer, die ihre Ernährung von Fleisch auf Pflanzen umgestellt haben. Er ist auch der erste vegetarische Theropode, der jemals auf einer der Landmassen der Südhalbkugel entdeckt wurde.