Anzeige
1 Monat GRATIS testen, danach für nur 9,90€/Monat!
Startseite »

Frisch aus der Fabrik

Gesundheit|Medizin

Frisch aus der Fabrik
Herz, Niere, Muskel oder Leber aus dem Drucker – klingt nach Spinnerei, ist aber Medizinforschung der Spitzenklasse.

Die Maschine ruckelt und zuckelt. Aus zwei Kartuschen mit nadelförmigen Sprühköpfen strömt eine milchige Flüssigkeit. Was aussieht wie die Dekoration von Mini-Pralinen, ist in Wirklichkeit eine gigantische Ingenieurleistung. Mit jeder Nadelbewegung werden Tausende lebende Zellen präzise aneinander gelegt – und voilà: Fertig sind die kleinen Lebergewebe.

„Ich finde es immer noch unglaublich, dass es funktioniert“, kommentiert Deb Nguyen den futuristisch anmutenden Vorgang. Sie ist Forschungsleiterin bei der kalifornischen Firma Organovo, einem Pionier auf dem Gebiet des dreidimensionalen Bio-Drucks. Das 2007 gegründete Unternehmen stellt diverse Gewebe her, etwa für Leber, Lunge, Muskeln oder Niere.

„Unsere Gewebe besitzen eine Lebenszeit von mindestens 40 Tagen“, lobt Deb Nguyen die Zellen. Millionenfach schlummern sie in den Einbuchtungen einer Platte, die ein wenig an eine Pralinenschachtel erinnert. 40 Tage sind für Laborverhältnisse fast wie eine Ewigkeit. Normalerweise überleben menschliche Leberzellen außerhalb des Körpers nur fünf bis sieben Tage.

Ihre außergewöhnliche Lebensdauer macht die Zellen von Organovo so interessant – derzeit vor allem für die Pharmaindustrie, die seit jeher händeringend nach Testverfahren sucht, um Entwicklungszeiten und -kosten für neue Medikamente zu senken. Ehe ein Patient ein neues Produkt erhält, vergehen im Mittel zwölf Jahre. Die durchschnittlichen Kosten liegen bei 1,2 Milliarden US-Dollar. Der Vorteil künstlicher Gewebe: Die Pharmakologen könnten Wirkstoffe direkt an menschlichen Zellkulturen testen. Tierversuche wären kaum noch nötig oder sogar ganz überflüssig. Eine enorme Ersparnis – und ein Plus an Sicherheit: Ganze 30 Prozent aller Nebenwirkungen werden nicht in Tierversuchen erkannt, sondern erst viel später in den klinischen Studien an Patienten.

Anzeige

Ende 2014 hat Organovo das erste Produkt auf den Markt gebracht: kleine Lebergewebe, drei Millimeter lang, drei Millimeter tief und 0,5 Millimeter hoch. Laut Michael Renard vom Management-team der Firma besteht ein großes Interesse an den Geweben. Das Unternehmen habe bereits Verträge mit einigen mittelständischen und großen Pharmafirmen abgeschlossen.

Bio-Tinte aus lebenden Zellen

Da ist es verständlich, dass das 40-köpfige Team von Organovo das genaue Druck-Rezept nicht verraten will. Gabor Forgacs, einer der Firmengründer und geistiger Vater der 3D-Technologie verrät nur so viel: „Für das normale Drucken brauchen Sie Tinte, eine Kartusche, Papier und einen Desktop-Drucker – wir benötigen Bio-Tinte, Bio-Papier und einen Bio- Drucker.“ Die Bio-Tinte besteht aus Zellen, das Bio-Papier aus bio-kompatiblen Gelen, die die Zellen enthalten, der Bio-Drucker liefert das gewünschte Gewebe.

Das hört sich einfacher an, als es ist. In der Bio-Tinte für die Leber etwa befinden sich drei verschiedene Zelltypen: die in der Leber am häufigsten vorkommenden Hepatozyten, die Stellatzellen, die bei Leberschäden Kollagen in das Gewebe einbauen, sowie Endothelzellen, aus denen die Blutgefäße bestehen.

Das Ansetzen der Bio-Tinte ist zeitaufwendig und erfordert viel Fingerspitzengefühl – schließlich sollen möglichst viele Zellen den Druckvorgang lebend überstehen. Den Bio-Drucker, der so gar nichts gemein hat mit einem Tintenstrahldrucker, steuert eine spezielle Gewebe-„Software“. Diese ordnet die verschiedenen Zelltypen im Raum so an, dass die Hepatozyten von Stellatzellen und Endothelzellen umgeben sind – genau wie in menschlichen Leberläppchen. „Unser großes Vorbild ist die Natur“, erklärt Deb Nguyen.

Die Zellen sorgen selbst dafür, dass das Konstrukt nicht einstürzt. „Wenn man sie im richtigen Abstand zu ihren Nachbarzellen platziert, dann kreieren sie gemeinsam ihre eigene extrazelluläre Matrix“, so die Wissenschaftlerin. Diese wirke wie ein Kleber, der das Gewebe zusammenhält.

Nach dem Drucken kommt die Zell-platte zur „Reifung“ in einen 37 Grad Celsius warmen Brutschrank, wo sie mit einer Nährlösung versorgt wird. „Nach nur zwei bis drei Tagen ist die kleine Leber einsatzbereit“, sagt Nguyen. Diese Nachricht, verbunden mit der Aussicht auf einen kommerziellen Erfolg, weht wie ein frischer Wind durch die regenerative Medizin. Denn obwohl die Branche als vielversprechender Zukunftszweig gilt, wird sie finanziell eher stiefmütterlich behandelt. In den USA erhalten Projekte in der regenerativen Medizin nur 500 Millionen US-Dollar pro Jahr an Fördergeldern. Das ist sehr wenig verglichen mit der Aidsforschung, in die drei Milliarden Dollar fließen. Auch die Krebsforschung erhält mit fünf Milliarden Dollar bedeutend mehr.

Trotz finanzieller Nöte lastet ein großer Erwartungsdruck auf der regenerativen Medizin. Langfristig soll sie Menschen helfen, die eine Organspende benötigen. Allein in den USA sind das zurzeit etwa 120 000. In Deutschland stehen rund 11 000 Patienten auf der Warteliste. Und wer das Glück hat, ein Spenderorgan zu bekommen, muss mit Komplikationen durch Immunreaktionen rechnen: Der Körper nimmt das fremde Gewebe oft nicht an. Der Bio-Drucker könnte dieses Problem lösen, indem er mit den Zellen der Patienten gefüttert wird und Organe liefert, die der Körper nicht abstößt.

Kapillarsystem ist Puzzlearbeit

Ihren hohen Zielen ist die Branche nun ein Stück näher gekommen. „Doch bitte keine Euphorie“, warnt Deb Nguyen. Sie betont, dass für transplantationsfähige Organe aus dem Drucker eine andere Strategie nötig sei als jene, die bei den Mini-Lebern für Pharmatests zum Einsatz kommt. Nguyen nennt das Stichwort, das bei allen Bio-Druck-Experten ganz oben auf der Wunschliste steht: Vaskularisierung. Gemeint ist das komplexe Netzwerk aus Venen, Arterien und Kapillaren, das die Zellen im menschlichen Körper mit Sauerstoff und Nährstoffen versorgt und Abfallsubstanzen abtransportiert. Um zu überleben, müssen sich die Zellen der meisten Organe in der Nähe von Kapillaren befinden. Die Entfernung zwischen Zelle und Gefäß beträgt in der Regel nur 200 bis 300 Mikrometer. Weder Organovo noch eines der anderen etwa 80 weltweit agierenden 3D-Gewebedruck-Teams ist es bisher gelungen, ein transplantationsfähiges vaskuläres System aus ihren Bio-Druckern zu pressen.

„Es ist eine zeitintensive Puzzlearbeit“, begründet Kirsten Borchers, dass der Erfolg noch aussteht. Sie entwickelt Materialien für den Bio-Druck am Fraunhofer- Institut für Grenzflächen und Bioverfahrenstechnik (IGB) in Stuttgart. Derzeit ist sie an einem EU-Projekt namens „ArtiVasc 3D“ beteiligt – einer Kooperation aus insgesamt 16 Universitäten, Unternehmen und Fraunhofer-Instituten. Ihr Ziel: feine Blutgefäße aus Kunststoff für künstliche Haut zu erschaffen. „Es ist zwar möglich, die zwei oberen Hautschichten, also Epidermis und Dermis, als Hautmodell aus Zellen herzustellen“, erklärt die Wissenschaftlerin. „Doch für das Unterhautfettgewebe, das bei Brandverletzungen zerstört ist, benötigt man eine Blutversorgung.“

Immerhin ist es dem Team gelungen, feine Röhrchen aus Acryl-Harz zu fertigen. Hierbei flitzt ein computergesteuerter Laser über ein Polymer-Bad und erzeugt bei jedem Kontakt mit dem Kunststoff eine Vernetzung. Das Verfahren heißt Multiphotonenpolymerisation. Kurze intensive Laserpulse treffen hierbei auf das Baumaterial, wodurch sich die getroffenen Moleküle zu längeren Ketten vernetzen. „Diese Reaktion lässt sich gezielt steuern, sodass hauchfeine Blutgefäßröhrchen entstehen“, sagt Projektleiter Günter Tovar vom Stuttgarter IGB. „Das Material polymerisiert und wird fest, bleibt aber dabei so elastisch wie natürliche Materialien.“

Die so entstehenden Gefäße sind ganze drei bis vier Zentimeter lang und haben einen Durchmesser von zwei Millimetern. Den Forschern ist es sogar gelungen, ein Material für die Beschichtung der Gefäße herzustellen. „Nur so können wir die Blutgefäße anschließend mit Zellen besiedeln“, erklärt Fraunhofer-Forscherin Borchers. Sie entwickelte auf der Basis von Gelatine ein Gel, in das menschliche Fettzellen eingebracht werden, die dann über das Gel mit Nährstoffen versorgt werden sollen.

Zeitgleich arbeitet die Wissenschaftlerin an einem anderen Ansatz: „Was passiert, wenn man Blutgefäßzellen mit einem 3D-Drucker in einer verzweigten Linienstruktur ablegt?“, lautet ihre Frage. Sie hofft, dass sich die Zellen dann von alleine zu komplexen Gefäßstrukturen vernetzen. „Schließlich passiert so etwas auch im Körper, etwa wenn man zunimmt und sich aus bereits bestehenden Gefäßen neue bilden, die die frischen Fettpolster versorgen.“

Jennifer Lewis möchte der Natur lieber nicht das Feld überlassen. „Ich bin für Kontrolle“, bekennt die Ingenieurin für Materialwissenschaft und Professorin an der Harvard-Universität. Anfang 2014 sorgte sie für Schlagzeilen: Ihr war es gelungen, ein Gewebe mit Hohlräumen für feine Kapillaren herzustellen, die sie anschließend mit Blutgefäßzellen auskleidete. Lewis kann Gefäße schaffen, die einen Durchmesser von nur zehn Mikrometern haben. Dafür benutzt sie einen Druckvorgang, der dem von Organovo ähnelt, sprich: Sie arbeitet mit gelartiger Bio- Tinte und ordnet diese mit einem Bio-Drucker im gewünschten Muster an. Den satte zwei Tonnen wiegenden Kaventsmann hat Lewis selbst entwickelt. „ Der mechanische Teil der Arbeit war einfach, der biologische dagegen nicht“, sagt die Forscherin.

Eine elegante Lösung

Doch mit einem Griff in die Trickkiste gelang ihr das Kunststück mit den Blutgefäßkanälen. Eine der Drucker-Kartuschen enthielt nämlich keine Zellen, sondern die Substanz Pluronic F127. Dieses als „flüchtige Tinte“ bekannte Material besitzt die ungewöhnliche Eigenschaft, sich zu verflüssigen, sobald die Umgebungstemperatur fällt. „Das machte den gan-zen Herstellungsvorgang sehr elegant“, schwärmt die Wissenschaftlerin. Als sie das Gewebe auf vier Celsius abgekühlt hatte, konnte sie Pluronic F127 einfach mit einer kleinen Pumpe heraussaugen. In die dadurch entstandenen Hohlräume gab sie eine Lösung mit Endothelzellen. Die Blutgefäßzellen lagerten sich in den Hohlräumen an wie Fliesen an den Wänden eines Autotunnels. „ Da fällt nichts wieder ab. Was dran ist, bleibt dran, und die Reste werden einfach ausgespült“, sagt die Ingenieurin.

Im Vergleich zu den Organovo-Pröbchen sind Lewis‘ Gewebe riesig: Sie bedecken eine Fläche von 2,5 mal 1,3 Quadratzentimetern und sind knapp einen Millimeter dick. „Wir können sogar noch größer und höher“, meint die ambitionierte Forscherin, die ihr Gewebe für pharmazeutische Testzwecke weiterentwickeln will.

Jordan Millers Ansatz ist ein anderer. „Erst die Blutgefäße, dann alles andere“, bringt es der Bioingenieur von der Rice-Universität in Houston, Texas, auf den Punkt. Das bedeutet: Miller stellt zunächst ein Gefäßgerüst her und beschichtet es anschließend mit einem Zellgel. Er arbeitet mit einem Verfahren namens „Rapid Casting“ (auf Deutsch: schnelles Gießen). In seinen 3D-Drucker integrierte er Elemente eines Frostruders – eines in der Süßwarenindustrie benutzten Druckers für Dekorationen. Denn seine Blutgefäßstrukturen entstehen mithilfe von Zucker. „Man sollte im Restaurant immer Nachtisch bestellen“, rät der junge Professor schmunzelnd und erzählt, dass ihn ein filigraner Zuckerkäfig inspiriert hat, der dekorativ über einem Pudding platziert war.

Millers Methode ist mit dem sogenannten Wachsausschmelzverfahren vergleichbar. Das ist eine Technik aus dem Kunsthandwerk, mit der seit Jahrhunderten Skulpturen hergestellt werden. Hierbei wird mithilfe eines Modells aus Wachs, das genau dem zu gießendem Objekt gleicht, eine Negativform hergestellt, die man später wieder zerstört. Miller verwendet statt Wachs eine Zuckermischung ähnlich jener, die in Filmproduktionen für leicht zerbrechende Flaschen und Fensterscheiben verwendet wird. Konstrukte aus diesem „Zuckerglas“ sind in Wasser löslich und ungiftig für Zellen. Außerdem sind sie, wie der Name Rapid Casting andeutet, schnell gemacht. „In nur fünf Minuten ist das Blutgefäßgerüst aus Zuckerglas fertig“, berichtet Miller. Abschließend beschichtet er sein Zuckerkonstrukt noch mit einem Polymer, um es haltbar zu machen.

Timing ist alles

Timing ist bei diesem Verfahren alles: Nur 30 Minuten nachdem Miller die Zellgele auf die Zuckerstrukturen gegeben hat, verfestigen sie sich. In genau diesem Zeitraum löst das in den Gelen befindliche Wasser sowohl das Polymer als auch die gedruckte Gerüststruktur. Zurück bleibt ein Zellverband voller Hohlräume.

An einem Gewebekonstrukt aus Leber- und Hautzellen zeigte Miller, dass Zellen bereits mit derart simplen Hohlräumen zufrieden sind. „Wir haben ein Nährmedium durch die Hohlräume gepumpt“, berichtet der Forscher. Damit konnte er das Gewebe ganze zwei Wochen am Leben erhalten. Zellen, die sich in der Nähe der gedruckten Kanäle befanden, hatten eine deutlich längere Lebensdauer als Zellen in tieferen Schichten. Die gleichen Ergebnisse erzielte Miller, indem er die Hohlräume nach dem Drucken mit Endothelzellen auskleidete, ähnlich wie Jennifer Lewis. Dabei beobachte er, dass die Blutgefäßzellen in die umliegende Zellmatrix eindrangen. Solche spontan entstehenden Vernetzungen sind wünschenswert. „Das zeigt, dass es uns möglicherweise erspart bleibt, ein komplettes Netzwerk aus Kapillaren zu drucken“, meint Miller. Im Labor ist es ihm bereits gelungen, menschliches Blut durch seine Konstrukte zu pumpen.

„Solange wir vorankommen, wenn auch nur in kleinen Schritten, gibt es keinen Grund, von der Vision des Organ-Drucks abzufallen“ , lautet Kirsten Borchers Résumé. •

Text von Désirée Karge, Illustrationen von Daniela Leitner

Anzeige

Wissenschaftsjournalist Tim Schröder im Gespräch mit Forscherinnen und Forschern zu Fragen, die uns bewegen:

  • Wie kann die Wissenschaft helfen, die Herausforderungen unserer Zeit zu meistern?
  • Was werden die nächsten großen Innovationen?
  • Was gibt es auf der Erde und im Universum noch zu entdecken?

Hören Sie hier die aktuelle Episode:

Aktueller Buchtipp

Sonderpublikation in Zusammenarbeit  mit der Baden-Württemberg Stiftung
Jetzt ist morgen
Wie Forscher aus dem Südwesten die digitale Zukunft gestalten

Wissenschaftslexikon

Kir|chen|ge|sang  〈m. 1u〉 1 〈im MA〉 Gesang in der Kirche von Psalmen u. Hymnen 2 〈seit dem 13. Jh.〉 Gesang in der Kirche von deutschen Kirchenliedern … mehr

Pro|laps  〈m. 1; Med.〉 = Vorfall (2) [<lat. prolapsus, … mehr

Kern|che|mie  〈[–çe–] f. 19; unz.〉 Wissenschaft von der natürlichen u. künstlichen Umwandlung der Atomkerne

» im Lexikon stöbern
Anzeige
Anzeige
Anzeige