Ruckelnd schiebt sich die afrikanische Kontinentalplatte unter die eurasische – das sorgt im Mittelmeerraum immer wieder für Erbeben, die fürchterliche Wellen schlagen können: Über zehn Prozent aller Tsunamis weltweit ereignen sich im Mittelmeerraum. Durchschnittlich einmal in hundert Jahren schwappt hier eine besonders große Welle über die Küsten hinweg. Der Blick in die Geschichte zeigt, mit welch schrecklicher Gewalt sie zuschlagen: Im Jahr 1908 erschütterte ein Beben der Stärke 7.0 auf der Momenten-Magnituden-Skala die sizilianische Region Messina und erzeugte einen Tsunami, der an manchen Stellen mit etwa zehn Metern Höhe auf die Küste donnerte. Tausende Menschen kamen dabei ums Leben. Auch aus der Antike sind solche Katastrophen bekannt: Im Jahr 365 n. Chr. erzeugte ein Beben der Stärke 8.0 bis 8.5 vor der Küste Kretas eine Welle, die über das Mittelmeer raste und allein in Alexandria etwa 5.000 Menschen tötete.
Eine dicht besiedelte Tsunami-Region: Der Mittelmeerraum
Ähnliche Katastrophen könnten heutzutage allerdings noch deutlich mehr Opfer fordern, denn die Bevölkerungsdichte ist enorm angewachsen: Insgesamt leben nun etwa 130 Millionen Menschen an der Küste des Mittelmeeres. Besonders problematisch ist auch, dass nicht viel Zeit für Vorwarnungen und Evakuierungen bleibt: Das Mittelmeer ist vergleichsweise klein – nach einem Beben brauchen die rasenden Wellen daher nur wenig Zeit, bis sie auf die Küsten treffen. Deshalb ist ein effektives Katastrophenmanagement besonders wichtig. Dazu wollen die Forscher um Achilleas Samaras von der Universität Bologna mit ihrer Studie nun einen Beitrag leisten. „Wir wollten herausfinden, wie sich Tsunamis auf Küstengebiete in Regionen auswirken, die nicht nur zu den seismologisch aktivsten im Mittelmeerraum gehören, sondern wo es in der Vergangenheit auch schon einige Tsunami-Ereignisse gegeben hat“, sagt Samaras.
In das Computermodell der Forscher flossen Informationen über die Meerestiefen und weitere topographische Merkmale an der Südküste Kretas und im Osten Siziliens ein. „In den Simulationen lösen Verschiebungen durch Erdbeben am Meeresboden oder an der Oberfläche die Tsunamis aus“, erklärt Samaras. „Das Modell simuliert dann, wie die Wellen sich verbreiten und verändern, wenn sie die Küstenzone erreichen und ins Land laufen.“ In Tsunami-Modellen fehlten bisher Informationen zu diesen Effekte im Küstenbereich, sagen die Forscher. Hier entwickeln die Riesenwellen allerdings erst ihre Schlagkraft: Im seichten Wasser wachsen sie zu steilen Wasserwänden heran.
Anhaltspunkte für die Planung von Schutzmaßnahmen
Bei ihren Berechnungen gingen die Forscher von Beben der Stärke 7.0 aus, sie sich vor der östlichen Küste Siziliens beziehungsweise der Südküste Kretas ereignen. Den Simulationen zufolge würden die so erzeugten Wellen hier niedrige Küstenstreifen bis zu einer Höhe von fünf Metern über dem Meeresspiegel überschwemmen. Im Fall Kretas wären insgesamt rund 3,5 Quadratkilometer Küstenstreifen von den reißenden Fluten betroffen. Den Forschern zufolge kann man wegen der Komplexität der Effekte allerdings nicht davon ausgehen, dass ein doppelt so starkes Erdbeben auch eine zweimal so starke Überflutung auslösen würde. „Die Ergebnisse liefern allerdings Anhaltspunkte dafür, was noch größeren Ereignisse in den unterschiedlichen Bereichen anrichten könnten“, sagt Samaras.
Ihre Ergebnisse stehen nun für die Beurteilung von Risiken und zur Planung von Schadensbegrenzungsmaßnahmen zur Verfügung, sagen die Forscher. „Unsere Simulationen können Behörden und den politischen Entscheidungsträgern helfen, umfassende Datenbank mit verschiedenen Tsunami-Szenarien zu entwickeln, damit sie für jedes mögliche Ereignis die richtigen Maßnahmen ergreifen können“, so Samaras.