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Darwins schillernde Käfer

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Darwins schillernde Käfer
Eine amerikanische Physiklehrerin kopiert und illustriert Darwins großes Werk „On the Origin of Species“ handschriftlich mit enormem Aufwand.

Es ist schon seltsam, dass ausgerechnet eine Bibel das Projekt ins Rollen gebracht hat. Denn für diese Schrift hat Kelly Houle eigentlich nichts übrig. Sie ist überzeugte Atheistin und beschäftigt sich lieber mit Wissenschaft als mit Religion. Doch von dieser Bibel, die da im Kunstmuseum von Phoenix, Arizona, vor ihr in der Vitrine lag, war sie beeindruckt. Denn statt mit Computerschrift auf hauchdünne Seiten gedruckt, war dieses Exemplar von Hand geschrieben und aufwendig mit Illustrationen verziert. Die Mühe und liebevolle Arbeit, die in dieser prächtigen Abschrift steckte, begeisterte die ehemalige Lehrerin.

1998, zehn Jahre zuvor, hatte die amerikanische St. John’s University in Minnesota einem Künstlerteam um den Kalligrafen Donald Jackson den Auftrag gegeben, eine Bibel per Hand zu kopieren. Jackson, der weltweit für seine Schriftkunst berühmt ist, arbeitet am britischen Königshof als Kopist und Kalligraf. Am 8. März 2000 schrieb er in seinem Atelier im walisischen Monmouth den ersten Satz, auf den viele weitere folgen sollten: „ Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort.“

Elf Jahre später war die Bibel fertig. Schon vorher wurden die ersten Kapitel an verschiedenen Orten in den USA ausgestellt. So auch 2008, als Kelly Houle die St. John’s Bibel in Phoenix zum ersten Mal sah. Von Anfang an war sie fasziniert von den aufwendigen Verzierungen und der Kalligrafie. Doch erst als im darauffolgenden Jahr Darwins 200. Geburtstag gefeiert wurde, fügten sich die Puzzleteile in iihrem Kopf zusammen. Die Idee, Darwins wichtigstes Werk zu illuminieren, war geboren.

Als Illumination bezeichnet man die Verzierung eines handschriftlichen Buches, die oft mit der Vergoldung von Buchstaben oder Illustrationen einhergeht. Ein illuminiertes Buch ist viel mehr als nur eine Kopie des Original-Textes – es ist eine künstlerische Auseinandersetzung mit den Worten des Autors.

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Illumination der Wahrheit

Kelly Houle, geboren 1969, hatte einige Jahre als Lehrerin für Physik und Mathematik gearbeitet, bis sie ihre Berufung in der Kunst fand. Sie studierte Landschaftsmalerei und belegte Kurse in Buchbinderei und Kalligrafie. Die Idee, „On the Origin of Species“ zu kopieren und künstlerisch zu gestalten, verbindet ihre beiden Leidenschaften: Kunst und Wissenschaft.

Etwa 30 Wissenschaftler aus aller Welt erklärten sich bereit, ihre Fragen zu beantworten und sie inhaltlich zu unterstützen. Einer der Wissenschaftler ist Jerry Coyne, Professor für Biologie und Ökologie an der University of Chicago. Er beschäftigt sich vor allem mit der Entstehung der Arten und ist ein international führender Evolutionsforscher.

Genau wie Kelly Houle ist Jerry Coyne Atheist. Regelmäßig setzt er sich in Diskussionen und Streitgesprächen mit Evolutionsgegnern auseinander. Für ihn hat Kelly Houles Projekt eine wichtige Botschaft: „Jahrhundertelang wurde mit dieser Technik die Bibel illustriert. Es ist wunderbar ironisch, dass sie jetzt auf ein Buch angewendet wird, das die Wahrheit sagt“, meint er schmunzelnd.

Im anfang war … der Saamen

Während die Kalligrafen des Bibel-Projektes mit den ersten Worten des Johannes-Evangeliums begannen, suchte sich Kelly Houle eine Stelle in Darwins „On the Origin of Species“ aus, die für sie eine große Bedeutung hat: „Wenn es für eine Pflanze von Nutzen ist, ihre Saamen immer weiter und weiter mit dem Winde umherzustreuen, so ist für die Natur die Schwierigkeit diess Vermögen durch Züchtung zu bewirken nicht grösser, als sie für den Baumwollen-Pflanzer ist durch Züchtung die Baumwolle in den Fruchtkapseln seiner Pflanzen zu vermehren und zu verbessern.“ (Erstübersetzung der englischen Originalfassung von 1860)

Houle betont: „Ich habe mich auch dazu entschieden, hier anzufangen, weil die Sprache etwas Schönes, etwas Poetisches hat, obwohl der Text in der wissenschaftlichen und logischen Wenn- So-Form vorliegt.“ Verziert hat Houle diese Textpassage mit einer Zeichnung einer Baumwoll-Art, die auch in ihrer Heimat Arizona vorkommt.

Das Buch ist nicht nur wegen der aufwendigen Illumination ungewöhnlich – mit seinen 56 mal 76 Zentimeter großen Seiten passt es in kaum ein Bücherregal. Doch das soll es auch gar nicht. Denn um das Kunstwerk besser ausstellen zu können, wird Kelly Houle die Seiten nicht binden lassen, sondern einzeln gerahmt präsentieren.

Fundraising im Internet

Die erste Seite entstand im Frühjahr 2011. Seitdem hat sich Kelly Houle weniger mit dem Schreiben als mit dem Design der nächsten Seiten beschäftigt. Die Titelseite sowie die gegenüberliegende Frontispiz und die Widmung vollendete sie 2012 und stellte die Seiten vor Kurzem – am 12. Februar, dem 204. Geburtstag Darwins – bei einer internationalen Buchmesse im kalifornischen Berkeley der Öffentlichkeit vor. Momentan arbeitet sie an der Gestaltung des vierseitigen Inhaltsverzeichnisses und den ersten zehn Seiten. Bis das ganze Buch fertig ist, wird noch einige Zeit vergehen: Die letzten Pinselstriche will Kelly Houle im Jahr 2018 setzen.

Die meiste Zeit benötigt die Gestaltung der Seiten. Nachdem sich Houle für einen von mehreren Entwürfen entschieden hat, macht sie sich ans Schreiben – das kann pro Seite einen ganzen Tag dauern. Sie stellt zuerst den kalligrafischen Teil fertig, denn wenn sie dabei einen Fehler macht, muss sie wieder von vorne anfangen. Die Zeichnungen dauern noch länger als das Schreiben, oft braucht Houle drei bis fünf Tage für eine einzige Seite. Allerdings muss sie sich nebenher auch um den Haushalt und um ihren vierjährigen Sohn kümmern, der an Autismus leidet.

Als alleinerziehende Mutter ist sie darauf angewiesen, dass alle Kosten des Projekts gedeckt werden. Im Internet erstellte Houle deshalb eine Fundraising-Seite, wo Interessierte für das Projekt spenden konnten. Tatsächlich kamen dabei mehr als 16 000 US-Dollar zusammen, obwohl die Künstlerin nur bescheidene 3000 Dollar als Spenden- ziel angegeben hatte. Doch um das Pro- jekt komplett finanzieren zu können, braucht es noch größere Zuwendungen: Mindestens eine halbe Million Dollar wird es vermutlich kosten, vielleicht auch mehr. Denn die Materialien, die Kelly Houle für das Buchprojekt verwendet, sind die besten – und damit sehr teuer. Auch die Reisen zu Forschern und Universitäten kosten Geld, und da Houle keiner anderen Arbeit nachgeht, braucht sie auch Mittel, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten.

Kein Buch wäre es mehr wert

Reich wird sie mit den Spenden sicher nicht. Doch das Projekt lohnt sich auf jeden Fall, sagt die Künstlerin: „Darwins ‚On the Origin of Species‘ ist all die Zeit und Mühe wert. Der Charakter des Buches ist so wundervoll, und es ist das wichtigste Buch überhaupt. Es gibt kein anderes Werk, dass es mehr wert wäre, illuminiert zu werden.“ Sobald Kelly Houle das erste Kapitel fertig hat, will sie die nächste Spendenaktion starten. Bis dahin können Interessierte in ihrem Online-Shop kleine Zeichnungen und Drucke kaufen. Wem das nicht reicht, der kann sich eine Reproduktion in Originalgröße bestellen – wie das Original von Hand illuminiert. Insgesamt wird es davon nur 25 Stück geben – Houle hofft auf private Sammler und Bibliotheken als Kunden. Die Originalfassung steht nicht zum Verkauf. Kelly Houle hat sie den Nachkommen Darwins als Geschenk versprochen. Seit Februar sind die bislang fertiggestellten Seiten auf ihrer Homepage zu sehen, und bald will Houle auch eine kostenlose E-Book-Version zum Herunterladen anbieten, um ein größeres Publikum zu erreichen.

Die meisten Theorien Darwins sind bis heute aktuell. Um das hervorzuheben, benutzt Kelly Houle den Text der ersten Ausgabe, unterlegt ihn aber mit Zeichnungen von Tieren und Pflanzen, die auf neuen Erkenntnissen beruhen. „Die erste Edition von ,On the Origin of Species‘ war die wichtigste, weil sie die erste war“ , meint die Künstlerin. „Das Buch war noch nicht durch religiöse Kritik in Misskredit geraten. Es war ein neuer, frischer Blick, der nur der Wissenschaft wegen erfolgte. Einige Dinge darin sind heute zwar so nicht mehr völlig richtig, andere haben sich sogar als falsch herausgestellt. Aber das zeigt, dass nicht nur die Evolution, sondern auch die Forschung ein fortwährender Prozess ist.“

Unter Käferfreunden

Einen „neuen, frischen Blick“ auf die Evolution bieten auch Houles Zeichnungen. Künstlerisch ansprechend, aber doch wissenschaftlich genau – das ist das Ziel. Um auch die kleinsten Details im Bild richtig festzuhalten, steht die Künstlerin mit Forschern in Verbindung. Sie schicken ihr Fotos von Tieren und Pflanzen, die sie gerade untersuchen.

Genau wie der junge Darwin von Käfern aller Art fasziniert war, hat sich auch Kelly Houle in die kleinen Krabbelwesen verliebt. 100 davon will sie zeichnen, um damit das vierseitige Inhaltsverzeichnis zu illustrieren. Die schimmernden Panzer verziert sie mit echtem Gold, um den Eindruck zu erwecken, dass die Käfer von der Sonne angestrahlt werden. „Ich liebe Käfer. Sie sind faszinierend schön – und sie glänzen. Es gibt Käfer in allen Formen und Farben, und ich sehe sie als ein fantastisches Beispiel für die Artenvielfalt. Sie schreien förmlich danach, illuminiert zu werden“, begeistert sich die Künstlerin.

Um mehr Geld für ihr Projekt zu sammeln, hat Kelly Houle eine ungewöhnliche Idee umgesetzt: Auf ihrer Website können Interessierte einen Käfer „adoptieren“. Für umgerechnet etwa 200 Euro darf man sich einen Käfer aussuchen, der später auf dem Inhaltsverzeichnis krabbeln wird. Außerdem bekommt der Käufer ein persönliches Porträt des Käfers zugeschickt. „Das sind sehr interessante Kunden. Einmal habe ich einen Käfer gezeichnet, den der Käufer selbst entdeckt hat. Er sagte scherzhaft, ich würde ihm ein Porträt seines ‚Babys‘ zeichnen“, erzählt Kelly Houle.

Jerry Coyne hofft, dass das Projekt Wissenschaft populärer machen wird: „Das Buch lenkt die Aufmerksamkeit des Lesers zu unseren Ursprüngen. Das ist hier in Amerika, wo nur 40 Prozent der Bevölkerung an die Evolution glauben, eine spannende Sache. Wenn die Menschen Kellys Buch sehen, werden sie vielleicht dazu motiviert, das komplette Werk Darwins zu lesen. Und das wäre fantastisch.“ ■

Sabine Kurz studiert Journalismus im kanadischen Ottawa. Von Kelly Houles Projekt erfuhr sie durch den Blog „Why Evolution Is True“.

von Sabine Kurz

Kompakt

· Eine amerikanische Künstlerin hat begonnen, Darwins wichtigstes Werk akribisch zu illuminieren.

· Das Projekt soll Menschen für die Evolution begeistern.

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internet

Auf der Website www.illuminatedorigin.com beschreibt Kelly Houle die Technik der Illumination und zeigt Entwürfe aus „The Illuminated Origin of Species“.

Die Illumination der Bibel, beauftragt von der St. John’s University, inspirirte Kelly Houle zu ihrem Werk: www.saintjohnsbible.org

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