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Der gefleckte Zwerg

Astronomie|Physik

Der gefleckte Zwerg
Der Ex-Planet Pluto gehört zu den interessantesten Objekten an der Peripherie des Sonnensystems. Inzwischen können Forscher ein Porträt der seltsamen kleinen Welt zeichnen.

iM Teleskop betrachtet, sieht man von Pluto in der Regel nicht viel mehr als einen verschwommenen Punkt in der Finsternis des Weltalls. Der Zwergplanet ist selbst auf Bildern des Weltraumteleskops Hubble nur wenige Pixel groß. Lange interessierten sich die Planetenforscher daher kaum für die ferne Welt am Rand des Sonnensystems.

Pluto ist mit einem Durchmesser von rund 2300 Kilometern kleiner als sieben Monde des Sonnensystems. Seinen Planetenstatus verlor er 2006, weil er seine Bahn mit anderen Himmelskörpern ähnlicher Größe teilt (bild der wissenschaft 12/2006, „Plutos Sturz“). Auf der Oberfläche ist es eisig: gerade mal 40 Grad über dem absoluten Nullpunkt, weil kaum Sonnenlicht eintrifft. Selbst Gase wie Stickstoff, Methan oder Kohlenmonoxid erstarren zu Eis. Der Name des römischen Gottes der Unterwelt passt gut zu dem trostlosen Himmelskörper.

Das Interesse der Planetenforscher an Pluto ist groß. Die Raumsonde New Horizons befindet sich auf dem Weg dorthin und wird 2015 erstmals aus der Nähe scharfe Bilder des Frostklumpens zur Erde senden. Auch was die Forscher in den letzten Jahren über Pluto gelernt haben, macht sie neugierig. „Pluto ist anders als alle Objekte, zu denen wir bislang Raumschiffe geschickt haben“, sagt Mark Showalter vom SETI-Institut in Kalifornien.

Wie sich herausgestellt hat, ist Pluto trotz seiner großen Entfernung zur Sonne keineswegs tot, sondern ein aktiver, dynamischer Himmelskörper. Auch wenn er nicht mehr zu den Planeten gehört, repräsentiert er doch eine mindestens ebenso interessante Klasse von Himmelskörpern: Er ist das prominenteste Mitglied des Kuiper-Gürtels, einer Scheibe aus Zwergplaneten, Planetoiden und schlafenden Kometen jenseits der Neptun-Bahn. Über diese eisigen Körper, die aus den Anfangstagen des Sonnensystems übrig geblieben sind, weiß man bislang wenig. Nur eine Handvoll größerer Brocken mit einem Durchmesser von mehr als 1000 Kilometern ist bekannt.

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GEYSIRE und ein Mantel aus Eis

Während die kleineren Kuiper-Gürtel-Objekte als jungfräuliche Überbleibsel aus der Urzeit des Sonnensystems gelten, haben die größeren Vertreter vermutlich eine gewisse Evolution hinter sich. Plutos Geschichte interessiert die Forscher besonders. „Wir freuen uns auf den ersten Blick auf einen entwickelten Zwergplaneten“, sagt Hermann Böhnhardt, Planetenforscher am Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung in Katlenburg-Lindau. Der ferne Außenposten könnte sich womöglich als lebendige, von Geysiren überzogene Welt entpuppen. Seine Dichte von etwa zwei Gramm pro Kubikzentimeter legt nahe, dass er zu zwei Dritteln aus Gestein und zu einem Drittel aus leichteren, eisförmigen Stoffen besteht. Neben Wasser und Stickstoff dürften das vor allem Methan, Kohlenmonoxid und andere Kohlenstoff-Verbindungen sein.

Die Planetenforscher gehen davon aus, dass das Innere aus einem Gesteinskern besteht, umhüllt von einem Mantel aus Eis. So unglaublich es klingt: Zwischen diesen beiden Schichten könnte sich ein unterirdischer Ozean befinden. Die radioaktiven Elemente in Plutos Silikatkern, argumentierten Guillaume Robuchon und Francis Nimmo von der University of California in Santa Cruz in der Zeitschrift Icarus, entwickeln genug Wärme, um eine etwa 150 Kilometer dicke Schicht oberhalb des Kerns zu verflüssigen. Dieses Gewässer wäre zwar ein finsterer kalter Ort, aber dennoch geeignet für Leben.

OZEAN MIT ÜBERDRUCKVENTILEN

„Wenn dieser Ozean existiert, würde die Zone des Lebens im Sonnensystem auf einen Schlag um ein gewaltiges Stück nach außen erweitert – von der Saturnbahn bis zu Pluto“, schreiben die Forscher. Gibt es einen Ozean, ist auch mit Geysiren oder Eisvulkanen zu rechnen, durch die Gase oder Flüssigkeiten aus dem eingezwängten Gewässer entweichen könnten.

Die Vorstellung von stürmischen Eruptionen an der Peripherie des Sonnensystems ist keineswegs abwegig. Das belegt der Neptun-Mond Triton, der wohl ebenfalls im Kuiper-Gürtel geboren wurde. Bilder der Raumsonde Voyager 2, die Triton im Sommer 1989 als letzte Station ihrer Planetentour besuchte, zeigen dunkle Rauchfahnen, die offenbar aus kleinen Eisschloten stammen.

Ob Pluto genauso vital ist, werden erst die Bilder von New Horizons verraten. In jedem Fall macht der Zwergplanet derzeit einen äußerlichen Wandel durch, wie jüngste Forschungsergebnisse belegen. So wurde Pluto in den ersten zwei Jahrzehnten nach seiner Entdeckung 1930 merklich dunkler. Das schrieben Bradley Schaefer von der Louisiana State University in Baton Rouge und seine Kollegen in der Zeitschrift Icarus, nachdem sie die alten Fotoplatten neu analysiert hatten. Danach scheint Pluto sich einige Jahrzehnte kaum verändert zu haben. Doch zwischen 2000 und 2002 wurde er plötzlich insgesamt rötlicher, berichten Forscher um Marc Buie vom Southwest Research Institute im US-Staat Colorado.

Messfehler schließen die Forscher in diesem Fall aus, da Plutos Mond Charon währenddessen der Alte blieb. Aus Aufnahmen des Hubble-Teleskops stellten Buie und Kollegen mit viel Computeraufwand bereits 1996 eine Karte her, die dunkle und helle Bereiche auf der Oberfläche erkennen lässt. 2011 machten sie sich erneut an die Arbeit, diesmal mit Hubble-Aufnahmen aus den Jahren 2002 und 2003.

Das Ergebnis: Zwar blieben einige Strukturen gleich, etwa ein heller Bereich auf Höhe des Äquators, der vermutlich vor allem aus Kohlenmonoxid besteht. Im Detail hat sich Pluto jedoch merklich verändert. So wurde die Region um den Nordpol heller, während sich die niedrigen Breiten verdunkelten.

Dafür sind vor allem Plutos merkwürdige Jahreszeiten verantwortlich. Der Zwerg, der für einen Umlauf um die Sonne 248 Erdjahre braucht, bewegt sich auf einer eiförmigen Bahn. Am sonnenfernsten Punkt ist er 49 Mal so weit von der Sonne entfernt wie die Erde, am sonnennächsten Punkt, dem Perihel, nur 30 Mal so weit. Die Sonneneinstrahlung schwankt daher im Laufe eines Pluto-Jahres um den Faktor 3. Eisförmige Stoffe werden am Perihel gasförmig und frieren später wieder aus.

Plutos stark geneigte Drehachse macht das Ganze noch komplizierter: Der Zwergplanet bewegt sich auf seiner Bahn fast wie ein Wagenrad. Dadurch liegt die eine Halbkugel jahrzehntelang im Sonnenlicht, während auf der anderen eine lange Frostnacht herrscht.

Als Pluto 1930 entdeckt wurde, befand er sich gerade auf dem Weg zum Perihel, das er 1989 erreichte. Inzwischen entfernt er sich langsam wieder von der Sonne. Die jetzt beobachteten Veränderungen führen die meisten Forscher darauf zurück, dass das leichtflüchtige Eis auf der Oberfläche stellenweise sublimiert. Dadurch bekommt Pluto vorübergehend eine dünne Atmosphäre, vor allem aus Stickstoff.

Diesen Hauch von Nichts – der Luftdruck beträgt etwa ein Hunderttausendstel dessen auf der Erde – können Planetenforscher untersuchen, wenn sich Plutos winzige Scheibe für wenige Minuten vor einen Stern der Milchstraße schiebt. Denn dabei fällt das Sternenlicht kurz durch die Atmosphäre. „Solche Okkultationen sind zwar nicht sehr selten, aber man muss einen großen Aufwand betreiben, um sie mit der nötigen Genauigkeit zu beobachten“, sagt Hans-Ulrich Käufl von der Europäischen Südsternwarte in Garching. In den letzten Jahren haben Planetenforscher mehrere Okkultationen erfasst und dabei zum Beispiel Methan und Kohlenmonoxid direkt nachgewiesen – obwohl die Gase nur mit Bruchteilen eines Prozents vertreten sind.

Auch diese Beobachtungen zeigen, dass Pluto sich verändert. So verdoppelte sich der Luftdruck zwischen 1988 und 2002 und blieb seitdem konstant. Die äußere Grenze der Gashülle befand sich bei der ersten Messung nur 100 Kilometer über der Oberfläche, inzwischen reicht sie bis in 3000 Kilometer Höhe. Die Farbänderungen hängen wohl ebenfalls mit der Entstehung der Atmosphäre zusammen. „Wahrscheinlich wurde eine große, rötliche Fläche auf der Oberfläche freigelegt, als das Eis durch den Wechsel der Jahreszeiten verschwand“, sagt Marc Buie.

Bei den dunkleren Stoffen handelt es sich vermutlich um kohlenstoffhaltige Verbindungen. Diese komplexen Substanzen könnten entstehen, wenn UV-Strahlung die Methan-Moleküle in der Atmosphäre ionisiert. Auf der kalten Nachtseite schlagen sich die Gase wieder auf dem Boden nieder, als Raureif. Diese Schicht könnte Modellen zufolge einige Dutzend Meter dick sein.

Alles in allem ist das heutige Bild von Pluto zwar immer noch verschwommen. „Es ist aber faszinierend, dass man über ein so weit entferntes Objekt so viel herausfinden kann“, sagt Hans-Ulrich Käufl. Und er rechnet mit vielen weiteren Überraschungen, wenn New Horizons in zwei Jahren zur Stippvisite vorbeikommt. ■

UTE KEHSE, Wissenschaftsjournalistin in Delmenhorst, schreibt regelmäßig in bdw – so im Januarheft über die Grenze des Sonnensystems.

von Ute Kehse

Gut zu wissen: Pluto und seine Monde

Pluto besitzt mehr Trabanten als die Planeten des inneren Sonnensystems zusammen: den 1978 entdeckten, 1200 Kilometer großen Charon und vier 20 bis 150 Kilometer große Brocken – Nix, Hydra sowie die noch namenlosen Objekte P4 und P5. Sie wurden zwischen 2006 und 2012 aufgespürt. Alle Monde bewegen sich wie in einem Mini-Sonnensystem auf nahezu kreisförmigen Bahnen um Plutos Äquator-Ebene. „Mit dieser Konstellation ist Pluto ein Sonderling unter den Kuiper-Gürtel-Objekten“, sagt Mark Showalter vom SETI-Institut, der für die Entdeckung von P4 und P5 verantwortlich ist.

Pluto und Charon kreisen alle 6,3 Tage um einen gemeinsamen Schwerpunkt und wenden sich immer die gleiche Seite zu. Charon verharrt also von Pluto aus gesehen stets an derselben Stelle des Himmels. Wie Erde und Mond entstanden die beiden wahrscheinlich bei einem gewaltigen Zusammenstoß. Die meisten Forscher nehmen an, dass dabei die vier kleineren Trabanten zurückblieben. Doch Berechnungen von Stanton Peale und Kollegen zeigten 2011, dass dieses Szenario unwahrscheinlich ist. Sie halten die vier Brocken für die Überreste einer weiteren Kollision, die erst nach Charons Geburt stattfand.

Weil die neuen Monde eine Staubquelle sind, könnten sie die New-Horizons-Mission gefährden: Die Sonde schießt mit 14 Kilometer pro Sekunde innerhalb des Charon-Orbits an Pluto vorbei – selbst der Einschlag eines millimetergroßen Körnchens könnte sie daher schwer beschädigen.

Kompakt

· Pluto ist ein aktiver, dynamischer Zwergplanet.

· Er könnte einen Ozean und Eisvulkane besitzen.

· Unterschiedliche Jahreszeiten prägen seine Oberfläche.

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LESEN

Mike Brown Wie ich Pluto zur Strecke brachte Spektrum Akademischer Verlag Heidelberg 2012, € 24,95 (Rezension in diesem Heft auf S. 89)

Barrie W. Jones Pluto Cambridge University Press Cambridge 2012, € 35,99

Neil Degrasse Tyson The Pluto Files Norton, New York 2009, € 19,99

INTERNET

Pluto im Überblick: solarsystem.nasa.gov/planets/ profile.cfm?Object=Pluto

Die Mission von New Horizons: pluto.jhuapl.edu/www.nasa.gov/ mission_pages/newhorizons/ main/index.html

Webseite von Marc Buie: www.boulder.swri.edu/~buie/pluto/ pluto.html

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