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Die Klatsch-Infektion

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Die Klatsch-Infektion
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Steckt an, ist aber nicht gefährlich: Applaus. Bild: Thinkstock
Der Vortrag ist zu Ende, und einer aus dem Publikum beginnt zu klatschen. Andere fallen mit ein, und nach einer gewissen Zeit ebbt der Applaus wieder ab. – Was für die einen ein ganz alltäglicher Vorgang ist, ist für Forscher aus Großbritannien und Schweden ein hochwillkommenes Freilandexperiment: Sie haben am Beispiel von Applaus untersucht, wie die sogenannte soziale Ansteckung funktioniert. Fazit: Eigentlich ist es beim Klatschen so ähnlich wie bei einer Infektion – nur das Abklingen der „Krankheit“ gehorcht etwas anderen Regeln.

Phänomene, die sich wie ein Lauffeuer verbreiten, sind eigentlich überall anzutreffen – besonders häufig natürlich im Internet und dort speziell in sozialen Netzwerken, aber auch im Freundeskreis oder in den Medien. Die Popularität von Popsongs verbreitet sich auf diese Weise ebenso wie bestimmte Modetrends und manchmal sogar Scheidungen und Selbstmorde. Wie das funktioniert, sei allerdings noch nicht ganz geklärt, erläutern Richard Mann von der Universität im schwedischen Uppsala und seine Kollegen in ihrem Artikel.

Alltägliches Phänomen mit vielen ungeklärten Aspekten

Vor allem folgende Fragen sind nach Ansicht der Wissenschaftler dabei interessant: Nimmt die Wahrscheinlichkeit zu, dass jemand von dem Phänomen mitgerissen wird, wenn mehr Leute bereits damit „infiziert“ sind? Oder gibt es einen Schwellenwert, der erst erreicht werden muss, damit es sich verbreiten kann? Sterben Trends aus, weil sie einfach lange genug da waren oder gibt es beim Abklingen so etwas Ähnliches wie beim Anstecken? Ist es wichtig für die Ausbreitung, ob es vor allem Fremde oder eher die engsten Kontaktpersonen sind, die von dem Trend erfasst sind? Das Problem sei allerdings, dass sich die meisten dieser ansteckenden Phänomene nur sehr schwer beobachten lassen, konstatieren die Forscher – und machten sich daher auf die Suche nach etwas mit möglichst simpler Struktur.

Fündig wurden sie an ihren eigenen Unis – genauer gesagt, in Seminaren mit kurzen wissenschaftlichen Vorträgen, die am Ende traditionell mit Applaus bedacht werden. Dieser Applaus, beobachteten die Forscher, folgt dem klassischen Bild einer sozialen Ansteckung, ist leicht zu messen – und eignet sich daher hervorragend für die Untersuchung des Prinzips. Sie wählten also insgesamt 107 Studenten aus, die aufgeteilt in kleine Gruppen jeweils zwei verschiedene Vorträge anhörten und dabei gefilmt wurden. Das Videomaterial wurde dann analysiert und die entdeckten Zusammenhänge anschließend mit mathematischen Modellen verglichen.

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Zuerst erfassten die Wissenschaftler die reinen Daten: Im Schnitt dauerte es 2,1 Sekunden, bis der erste mit dem Klatschen anfing. Spätestens 2,93 Sekunden später hatte auch der letzte begonnen, in den Applaus einzustimmen. Insgesamt dauerte selbiger im Mittel 6,1 Sekunden, wobei die erste Person nach 5,5 Sekunden aufhörte zu klatschen und die letzte 2,6 Sekunden später. Der Anfang ging immer auf eine Person zurück, dann schlossen sich sehr schnell ziemlich viele an, bis so gut wie alle klatschten. Das Gleiche galt für das Ende des Applauses – auch hier hörte zuerst einer auf, dann folgten die anderen recht schnell. Aufgetragen ergab das zwei S-förmige Kurven: eine für den Beginn des Applauses und eine zweite, parallel verlaufende für dessen Ende.

Gleiche Kurve wie bei Schnupfen

Diese Form findet sich auch, wenn man sich die Ausbreitung von Infektionskrankheiten anschaut, kommentieren die Forscher. Beim Klatschen, könne man daher schlussfolgern, handele es sich also definitiv um ein Phänomen mit sozialer Ansteckung. Doch was bestimmt nun genau, wie sich der Applaus ausbreitet? Dazu entwickelten die Wissenschaftler verschiedene mathematische Modelle, bei denen sie anschließend testeten, wie viel sie jeweils zum tatsächlichen Geschehen beitrugen.

Nummer eins ging dabei davon aus, dass die Wahrscheinlichkeit, mit dem Klatschen anzufangen oder aufzuhören, immer konstant und unabhängig von den anderen ist. Nummer zwei nahm dagegen an, die Abhängigkeit sei linear: Je mehr Leute also bereits klatschen oder auch damit aufgehört haben, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass man selbst ebenfalls anfängt oder aufhört. Nummer drei ging im Fall des Beginns von einer quadratischen Abhängigkeit und damit einer Art Schwellenwert aus. Beim Ende erfasste das dritte Modell hingegen den Faktor persönliche Sättigung: Es nahm an, dass die Wahrscheinlichkeit, aufzuhören, mit der Anzahl von Klatschern stieg, die man bereits hinter sich hatte. Nummer vier schließlich bezog den Einfluss der direkten Nachbarn mit ein.

Der anschließende mathematische Test zeigte dann: Ob man mit dem Applaus beginnt, hängt vor allem davon ab, wie viele andere bereits klatschen. Alle anderen Faktoren spielen nur eine geringe oder gar keine Rolle, inklusive des Verhaltens der Sitznachbarn. Allerdings ist es individuell sehr unterschiedlich, wie sensibel der einzelne auf diesen Reiz reagiert, berichtet das Team – bei einigen reichen einige wenige andere, bei anderen müssen dagegen fast alle Klatschen, bevor sie sich animieren lassen.

Stopp, wenn man genug hat – oder die anderen aufgehört haben

Beim Klatsch-Stopp war ebenfalls die Anzahl der bereits stillen Publikumsangehörigen am Wichtigsten. Hier spielte jedoch noch der Faktor Klatsch-Anzahl hinein: Vor allem der Anfang der Endphase scheint dadurch definiert zu sein, dass jemand für sich entscheidet „so, genug geklatscht“ und damit aufhört. Die anderen folgen dann nach dem Prinzip der Infektion. Wann das Ende kommt, kann dabei übrigens ebenfalls sehr verschieden sein: Für die meisten ist nach 9 bis 15 Klatschern Schluss, manche klatschen jedoch auch 30-Mal und mehr.

Im Großen und Ganzen breitet sich Applaus also tatsächlich wie eine Krankheit in einer Gruppe aus, resümieren die Wissenschaftler. Beim Abklingen gibt es jedoch einen deutlichen Unterschied: Individuen, die sich „erholt“, also mit dem Klatschen aufgehört haben, erhöhen die Erholungsgeschwindigkeit der restlichen – ein Zusammenhang, den es bei Krankheiten leider nicht gibt.

Richard Mann (Uppsala University) et al.: Journal of the Royal Society: Interface, doi: 10.1098/rsif.2013.0466 © wissenschaft.de – Ilka Lehnen-Beyel
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