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Zarter Schmelz – dank Bisphenol A

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Zarter Schmelz – dank Bisphenol A
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Glück gehabt: Die bleibenden Zähne haben sich normal entwickelt - was vermutlich nicht der Fall ist, wenn Kinder kurz nach der Geburt mit Bisphenol A in Kontakt kommen. Bild: Thinkstock
Es ist fast überall – in der Umwelt, im Essen und im menschlichen Körper: Bisphenol A. Die Chemikalie, die für die Kunststoffherstellung verwendet wird und ähnlich wirken kann wie ein weibliches Geschlechtshormon, steht im Verdacht, eine ganze Reihe von gesundheitlichen Problemen zumindest mit zu verursachen – darunter Übergewicht, Unfruchtbarkeit und Herz-Kreislauf-Probleme. Jetzt hat ein französisches Forscherteam ein weiteres potenzielles Opfer der Substanz identifiziert: den Zahnschmelz.

Es gibt kaum eine andere chemische Verbindung, deren Einsatzgebiet so breit ist wie das von Bisphenol A – und entsprechend kaum einen Stoff, der in derartig großen Mengen hergestellt und eingesetzt wird. Das führt dazu, dass nahezu überall in der Umwelt BPA zu finden ist. Da es zudem für viele Haushaltsgegenstände und Behälter sowie in Verpackungen für Nahrungsmittel verwendet wird, ist es auch im Körper von über 95 Prozent aller Menschen nachweisbar. Lange Zeit galt das als aber völlig unproblematisch.

Schädlich oder nicht – das ist eigentlich keine Frage mehr

In den vergangenen Jahren mehren sich jedoch die Bedenken wegen der Dauerbelastung: Da BPA im Körper ähnlich wie die weiblichen Östrogene wirken kann, befürchten Mediziner und Forscher, dass es bereits in geringen Konzentrationen unerwünschte Wirkungen hervorruft – speziell bei kleinen Kindern und Männern. Daher gibt es mittlerweile eine ganze Reihe von Untersuchungen zum Thema, die teilweise allerdings umstritten sind. Zwar finden sich in Tierversuchen tatsächlich nachweisbare Veränderungen, inwieweit diese aber direkt auf den Menschen übertragen werden können und welche Mengen dabei problematisch sind, ist nicht ganz klar.

In Verbindung gebracht worden ist BPA bisher mit Entwicklungsstörungen, neurologischen Schäden, einem schwachen Immunsystem, einem erhöhten Krebsrisiko, speziell bei Brustkrebs, Verhaltensauffälligkeiten, Unfruchtbarkeit bei Männern, Übergewicht, Diabetes und Herz-Kreislauf-Problemen. Jetzt könnten auch noch schlechte Zähne dazukommen, legt die neue Studie der Franzosen um Katia Jedeon von der Université Paris-Descartes nahe. Sie hatten untersucht, wie sich niedrige BPA-Konzentrationen auf die Entwicklung des Zahnschmelzes bei Ratten auswirken – und ob die entsprechenden Folgen bestimmten Zahnproblemen bei Kindern ähneln.

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Mehr hormonähnliche Substanzen, mehr Zahnschmelzprobleme

Auf diese Idee gekommen waren sie durch die Beobachtung, dass nicht nur die Belastung durch BPA und andere hormonähnliche Chemikalien von Jahr zu Jahr steigt, sondern dass es parallel dazu auch immer mehr Fälle der sogenannten Molar-Incisor-Hypomineralisation, kurz MIH genannt, gibt. Das ist eine Störung bei der Zahnschmelzbildung speziell bei den vorderen Schneide- und hintersten Backenzähnen, bei der weiße oder gelbe Flecken auftreten und der Zahnschmelz brüchig und instabil bleibt. Sie kommt knapp 20 Prozent aller Sechs- bis Achtjährigen vor und geht mit starker Schmerzempfindlichkeit an den Zähnen und einem erhöhten Kariesrisiko einher. Welche Ursachen dahinter stecken, ist noch völlig unklar. Allerdings fällt die Zeit, in der sich der Zahnschmelz der bleibenden Zähne bei Kindern bildet, nämlich in den ersten paar Lebensmonaten, exakt mit der Zeit zusammen, in der die Kleinen besonders anfällig für BPA sind und die BPA-Konzentrationen in ihren Körpern häufig sehr hoch sind. Die Forscher vermuteten daher einen Zusammenhang.

Sie testeten also zunächst bei Ratten, ob sich deren Zahnschmelz verändert, wenn sie vor der Geburt und in den Wochen danach BPA ausgesetzt sind – und zwar in Konzentrationen, die um das Zehnfache niedriger waren als der von der Europäischen Union festgelegte tägliche tolerierbare Wert von 50 Mikrogramm pro Kilogramm Körpergewicht. Tatsächlich zeigten sich nach 30 Tagen bei 75 Prozent der Rattenzähne die typischen Veränderungen – weiße Flecken und brüchige Kanten. Eine mikroskopische Untersuchung belegte dann: Die Schäden entsprechen ziemlich exakt denen, die auch beim Menschen vorkommen. In beiden Fällen besitzt der Schmelz zu wenig Mineralien und zu viel organische Substanz, insbesondere Proteine.

BPA bremst Protein-Müllabfuhr

Weitere Tests halfen den Forschern dann, das Problem genauer zu verstehen. Wenn sich der Zahnschmelz bildet, wird zuerst eine Art Proteingerüst aufgebaut, auf dem sich später die Mineralien ablagern. Daran anschließend werden dann die zuvor benötigten Eiweiße abgebaut, damit sich der feste Schmelz durch Kristallisation bilden kann. Bei den MIH-Fällen ebenso wie bei den Ratten scheint das Bisphenol A jedoch zwei Probleme zu verursachen: Es sorgt zum einen für ein Zuviel an Proteinen im ersten Stadium und behindert zum anderen das Abbau-System. Dadurch werden die Proteine nicht sorgfältig genug entfernt und stören die Kristallisation. Die Folge ist eben der weiche, brüchige Zahnschmelz, der typisch für MIH ist.

Wie genau BPA in die Regelkreise bei der Zahnschmelzbildung eingreift und auf welche Weise es die entsprechenden Gene beeinflusst, müsse nun als nächstes getestet werden. Zudem stehe der endgültige Nachweis des Zusammenhangs zwischen BPA und MIH beim Menschen noch aus, so das Team. Die Forscher sind jedoch ziemlich sicher, dass der Mechanismus dem bei der Ratte gleicht. Die Befunden seien daher gleich in zweierlei Hinsicht interessant, sagen sie: Zum einen zeigen sie eine weitere potenzielle Folge der BPA-Belastung auf, die bisher nicht bekannt war. Und zum anderen demonstrieren sie erstmals eine Möglichkeit, auch bei Erwachsenen Rückschlüsse auf eine mögliche BPA-Exposition in den ersten Lebensmonaten zu ziehen. Denn da der Zahnschmelz ausschließlich in dieser Lebensphase gebildet wird, fungiert er wie eine Art Archiv, das die Bedingungen zu dieser Zeit aufzeichnet – irreversibel und dauerhaft.

Katia Jedeon (Université Paris-Descartes) et al.: American Journal of Pathology, doi: 10.1016/j.ajpath.2013.04.004 © wissenschaft.de – Ilka Lehnen-Beyel
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