90 Prozent Trefferquote
Das Ergebnis fiel beeindruckend aus, berichtet das Team: Im Schnitt erkannten die Eltern in 5,4 von 6 Tests und damit in 90 Prozent der Fälle das Schreien ihres eigenen Babys. Die Frauen schnitten dabei zwar mit 98 zu 90 Prozent rechnerisch etwas besser ab als die Männer, der Unterschied sei aber statistisch nicht signifikant gewesen, erläutern die Forscher. Dieses Ergebnis widerspricht auf den ersten Blick dem früherer Studien aus den späten Siebzigern und frühen Achtzigern, in denen Väter deutlich abgeschlagen landeten: Während die Mütter in einer Studie in 97 Prozent der Fälle richtig lagen, gelang den Vätern nur in 84 Prozent der Fälle ein Treffer. Eine weitere Studie kommt sogar nur zu einer Trefferquote von 80 Prozent bei den Müttern und 45 Prozent bei den Vätern.
Doch der Widerspruch besteht nur scheinbar. Denn die erwähnten Quoten in der aktuellen Erhebung gelten nur für die Väter, die mehr als vier Stunden pro Tag mit ihrem Kind verbringen also etwa genauso viel Zeit wie die Mütter. Betrachtet man dagegen nur die Männer, die deutlich weniger intensiv mit den Säuglingen zusammen waren, kommt ein ganz anderes Bild zustande: Diese Väter erkannten nämlich nur in 75 Prozent der Fälle ihr eigenes Baby am Schreien. In den beiden früheren Studien sei dieser Faktor überhaupt nicht berücksichtigt worden, erläutern die Forscher.
Offenbar ist das Erkennen des eigenen Babys also hauptsächlich eine Frage von Erfahrung und Lernen und nicht von besonderen Fähigkeiten, resümieren sie. Das erscheine auch sinnvoll, da es wichtig ist, die charakteristischen Schreie des eigenen Kindes möglichst genau zu kennen schließlich ist das die einzige Kommunikationsmöglichkeit des Kleinen. Und je besser man diese kennt, desto leichter lässt sich auch erkennen, ob das Kind etwas Besonderes benötigt.
Kein Hinweis auf die vielbesungenen „mütterlichen Instinkte“
Die immer noch weitverbreitete Annahme, beim Menschen gebe es einen ausgeprägten mütterlichen Instinkt, der mit besonderen angeborenen also genetisch festgelegten Fähigkeiten einhergehe, ist dagegen ihrer Ansicht nach kaum noch haltbar. Zwar gibt es so etwas im Tierreich durchaus. Man findet es allerdings vor allem bei Arten, bei denen ausschließlich die Mutter die Pflege und Aufzucht des Nachwuchses übernimmt. Menschen sind jedoch bereits seit langem eine Spezies, in der sich neben den Müttern auch die Väter und sogar fremde Individuen um die Kinder kümmern. Dieses Modell einer kooperativen Aufzucht lässt sich eigentlich gar nicht mit den angeblich so speziellen mütterlichen Instinkten in Einklang bringen, finden die Forscher.
Als nächstes wollen sie ihre Ergebnisse nun weiter ausbauen und vertiefen. So sei es beispielsweise sinnvoll, eine Zeit-Erkennungsquoten-Reihe anzufertigen, das heißt, die Zeit, die die Eltern mit ihren Kindern verbringen, sehr viel genauer zu erfassen und zu schauen, ob die Trefferquote tatsächlich linear davon abhängt. Zudem wollen sie sich um den Hormonspiegel der Eltern kümmern. Der könne nämlich tatsächlich noch ein biologischer Faktor sein, der bei den elterlichen Fähigkeiten eine Rolle spielt.
Es gab übrigens noch einen interessanten Nebenbefund bei der Untersuchung: Eltern sowohl Mütter als auch Väter , die sehr häufig mit anderen kleinen Kindern in Kontakt kamen, hörten die Schreie ihres eigenen Babys nicht ganz so treffsicher aus denen anderer heraus. So gaben sie zum Beispiel sehr viel häufiger an, ihr Kind erkannt zu haben, obwohl es sich um die Schreie eines fremden Babys handelte. Die Forscher halten das eine Art evolutionäre Sicherheitsmaßnahme, die sicherstellen soll, dass man lieber einmal zu viel als einmal zu wenig auf das Schreien des eigenen Nachwuchses reagiert.