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Übeltäter: Salz

Erde|Umwelt

Übeltäter: Salz
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Lecker - aber wegen des hohen Salzgehaltes gar nicht gut fürs Immunsystem. Bild: Thinkstock
Der Körper braucht es, und es verbessert den Geschmack vieler Speisen. Auf der anderen Seite ist nach wie vor unklar, ob zu viel davon nicht vielleicht doch den Blutdruck und damit das Risiko für Herz-Kreislaufkrankheiten erhöht. Und damit nicht genug – gleich zwei neue Studien lassen jetzt einen weiteren Verdacht aufkommen: Ist zu viel Salz möglicherweise auch noch Schuld an der Zunahme von Autoimmunerkrankungen, die in den vergangenen Jahren beobachtet wurde?

Multiple Sklerose, Schuppenflechte, die landläufig als „Rheuma“ bekannte chronische Polyarthritis, die Bechterew-Krankheit – sie alle gehören zu den Autoimmunerkrankungen, bei denen das Immunsystem statt auf Krankheitserreger versehentlich auf körpereigenes Gewebe losgeht. Warum das passiert, ist trotz intensiver Forschung bisher nur unvollständig verstanden. Kein Wunder, schließlich ist die Steuerung des Immunsystems ein ungeheuer komplexer Prozess. Da gilt es, ein äußerst empfindliches Gleichgewicht zwischen vielen verschiedenen Zellarten und deren Aktivität zu wahren, bei dem zig Botenstoffe wichtige Rollen spielen. Die Gene sind daran ebenso beteiligt wie diverse Umweltfaktoren, wie etwa Rauchen, die Ernährung, Stress, Infektionen, die Menge an Sonnenlicht, die man abbekommt, und, und, und.

Salz im Visier

Einen wichtigen Faktor, der dieses Gleichgewicht kippen lassen kann, haben die Wissenschaftler aus den USA und Deutschland jetzt möglicherweise identifiziert: zu viel Salz im Essen. Der Verdacht sei aufgekommen, erzählt das Team um Markus Kleinewietfeld von der Yale-Universität, als eine Beobachtung in Fast-Food-Restaurants gemacht wurde: Nach dem Konsum des Essens dort, das notorisch übersalzen ist, nahm die Anzahl bestimmter weißer Blutkörperchen im Körper von Probanden drastisch zu. Es handelte sich um sogenannte T-Zellen, und zwar um eine Sorte, die Entzündungen fördert.

Diesen Zusammenhang untersuchten die Teams nun ausführlich im Labor, an verschiedenen kultivierten Zellen und bei Mäusen. Dabei stießen sie auf eine Untergruppe der T-Zellen, kurz Th17 genannt. Sie gehören zu den T-Helfer-Zellen, die auf Signale von anderen Immunzellen hin diesen zu Hilfe eilen und die Kollegen beim Kampf gegen Krankheitserreger unterstützen. Sie residieren vor allem im Darm, aber auch in anderen Geweben des Körpers. Gerade die Th17-Zellen haben jedoch auch noch ein anderes Gesicht: Gibt es zu viele von ihnen oder entwickeln sie eine besonders aggressive Natur, können sie zu Verrätern werden und körpereigenes Gewebe attackieren. Ihre Beteiligung beispielsweise an der Multiplen Sklerose, bei der das Immunsystem die Isolationsschicht um Nervenzellen angreift, und an der Schuppenflechte, bei der Hautzellen die Angriffsziele sind, wurde bereits in mehreren Studien nachgewiesen.

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Mehr und außerdem aggressiver

Diese bösartige Seite der Th17-Zellen kann offenbar durch Salz gefördert werden, zeigen die neuen Ergebnisse. Erhöhten die Forscher beispielsweise den Salzgehalt in ihren Petrischalen, entwickelten sich plötzlich sehr viel mehr Th17-Zellen als zuvor. Dieser Anstieg fiel teilweise sehr drastisch aus: „Er kann bis zu zehnmal höher sein als unter normalen Bedingungen“, erzählt Kleinewietfeld. Zudem war das Profil der Botenstoffe, die diese Zellen aussendeten und auf die sie reagierten, leicht verändert – es war eine besonders aggressive Sorte entstanden.

Ein ähnliches Bild bot sich, als die Wissenschaftler Mäusen mehr Salz ins Futter mischten als normal: In der Folge verschlimmerte sich bei ihnen eine Hirnentzündung, die ähnlich abläuft wie Multiple Sklerose beim Menschen. Und auch bei ihnen nahmen Anzahl und Aggressivität der Th17-Zellen zu. Einer der entscheidenden Vermittler dieser Veränderungen war dabei offenbar ein Enzym, das auch früher schon mit dem Salzstoffwechsel in Verbindung gebracht worden war – allerdings nicht in Immunzellen, sondern in Darm und Niere, wo es die Aufnahme von Salz in die Zellen koordiniert. Blockierten die Forscher dieses Enzym oder legten sein Gen lahm, verschwand der Zusammenhang zwischen Salzkonzentration und Immunaktivität.

Mit völlig falschen Konzentrationen gearbeitet

Die Teams konnten auch noch weitere Faktoren identifizieren, die den Prozess beeinflussen – und sie haben auch bereits eine Idee, warum der Zusammenhang so lange übersehen worden ist. Normalerweise würden Experimente immer in einem Milieu durchgeführt, dessen Salzgehalt dem des Blutes entspricht, erläutert David Hafler, Seniorautor des Papers und ebenfalls von der Yale University. Im Gewebe, wo die meisten Immunreaktionen stattfinden, herrschten aber zum Teil völlig andere, deutlich höhere Konzentrationen.

So logisch der Zusammenhang scheint und so gut er zur Entwicklung von Salzgehalt im Essen und Autoimmunerkrankungen in den letzten Jahrzehnten passt – mit der Interpretation der Ergebnisse sollte man vorsichtig sein, betonen beide Teams. Bisher hätten sie den Effekt ausschließlich in künstlichen Systemen, also in isolierten Zellen und in einem Modell für eine menschliche Krankheit, beobachtet. Ob es einen derartigen Zusammenhang auch beim Menschen gebe, müsse sich erst zeigen. Dazu wollen sie jetzt so schnell wie möglich klinische Studien beginnen. Und auch wenn sich der Verdacht bestätigt, werde es mit ziemlicher Sicherheit nicht ausreichen, auf Salz zu verzichten, um das Entstehen solcher Krankheiten zu vermeiden. Das Salz scheine nämlich nur dann zu wirken, wenn bereits eine Veranlagung oder eine Sensibilisierung des Immunsystems stattgefunden habe. Trotzdem könne es nicht schaden, wenn man seinen Salzkonsum herunterfahre – und das gilt insbesondere für Menschen, die an einer derartigen Krankheit leiden.

Markus Kleinewietfeld (Yale University, New Haven) et al.: Nature, doi: 10.1038/nature11868 Chuan Wu (Brigham and Women’s Hospital, Harvard Medical School) et al.: Nature, doi: 10.1038/nature11984 © wissenschaft.de – Ilka Lehnen-Beyel
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