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Eine kleine Fliege bringt Biologie und Medizin voran

Allgemein

Eine kleine Fliege bringt Biologie und Medizin voran
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Drosophila melanogaster. Bild: André Karwath aka Aka, Wikipedia
Schwedens König Carl XVI. Gustaf hat am Samstag die diesjährigen Nobelpreise überreicht. Die Auszeichnung für Physiologie oder Medizin ging an die Immunologen Bruce Beutler (USA), Jules Hoffmann (Frankreich) und Ralph Steinman (Kanada). Die Preisträger haben viele Entdeckungen den Untersuchungen an einem winzigen Insekt zu verdanken: der Tau-Fliege (Drosophila melanogaster). Martin Vieweg berichtet aus den Laboren der Universität Hohenheim, wie die Forschung an diesem kuriosen Versuchstier abläuft.

„Das sind doch nur lästige, nutzlose Viecher“ – das denken viele Menschen über die kleinen Fliegen, die im Sommer in der Biotonne wimmeln, sich in Weingläser stürzen oder zielsicher auf dem frisch zubereiteten Obstsalat landen: Drosophila melanogaster, die schwarzbäuchige Taufliege. Doch kaum jemand weiß, dass in diesem unscheinbaren Insekt fundamentale Geheimnisse der Entwicklungsbiologie und Genetik des Menschen schlummern. Auch Deutschland darf sich mit einer Nobelpreisträgerin auf diesem Gebiet schmücken: Die Tübinger Entwicklungsbiologin Christiane Nüsslein-Volhard bekam 1995 den Physiologie/Medizin Nobelpreis für ihre bahnbrechenden Forschungsergebnisse an dem Versuchstier Drosophila.

Aber was haben diese stecknadelkopfgroßen Insekten eigentlich mit dem Menschen zu tun? Diese Frage wird Anette Preiss, Leiterin des Instituts für Genetik der Universität Hohenheim, oft gestellt. Die Antwort ist erstaunlich, aber einleuchtend: ?Egal, ob winzige Fliege, riesiger Blauwal oder Mensch – viele Gene und Abläufe sind prinzipiell bei allen Arten gleich. So lassen sich Erkenntnisse, die wir an Drosophila gewinnen, im Wesentlichen auch auf den Menschen übertragen.?

Im Zentrum der Drosophila-Forschung an der Universität Hohenheim und vielen anderen Forschungseinrichtungen weltweit steht die Kommunikation zwischen Zellen. ?Wir betreiben Grundlagenforschung. Das ist wichtig, um ein Fundament für die weitere Forschung zu schaffen?, erklärt Preiss. ?Das ungehemmte Zellwachstum bei Krebs ist beispielsweise auch eine Folge von Veränderungen in den Signalprozessen. Bei der Entwicklung von Medikamenten ist das Wissen über die einzelnen Dominosteine von Signalketten fundamental wichtig?, sagt die Biologin.

Beim Betreten der Labore der Arbeitsgruppe wird eines sofort klar: Auch in der biologischen Forschung basiert der rasante Fortschritt auf moderner Technologie: Computer stehen neben exotisch anmutenden Geräten, kaltes Leuchtstoffröhrenlicht
spiegelt sich in weißen Kacheln. Zwei Doktoranden arbeiten an langen Arbeitstischen, über ihnen Regale voller Flaschen mit diversen Reagenzien. Beim Rundblick im Labor fällt ein Gerät besonders auf, in dessen Zentrum sich eine filigrane Nadel befindet. ?Damit injizieren wir die DNA in die Drosophila-Embryonen?, erklärt der Biologe Dieter Maier. ?Wer das gut kann, erreicht eine zehnprozentige Rate an genetisch veränderten Fliegen.? Ob der Gentransfer geklappt hat, zeigen die Fliegen deutlich: Sie entwickeln rote statt weißen Augen. ?Wir benutzen als Ausgangslinie weißäugige Fliegen, denen das Gen für den roten Augenfarbstoff fehlt?, erläutert Maier. ?Dieses Rotaugen-Gen koppelt man an die DNA, die man übertragen will, und bei einem erfolgreichen Experiment entsteht eine Fliege mit roten Augen.?

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Die Aufzucht erfolgt in kleinen Glaskolben, die in langen Reihen auf hohen Regalen in klimatisierten Kammern stehen. Die vielen Tausend Fliegen, die sich hier entwickeln, veranschaulichen, warum Drosophila als Versuchstier so attraktiv ist: Sie ist leicht zu halten, legt bis zu 1.000 Eier pro Weibchen und hat einen Generationswechsel von nur 12 Tagen. Ein süßlicher Geruch, der Malzbier ähnelt, liegt in der Luft. Obstsalat wird den Fliegen hier nicht serviert, stattdessen befindet sich in den Glaskolben eine Schicht aus Maisbrei mit Hefe. ?Das mögen sie und darin entwickeln sich auch die Larven – Obst würde nur vergammeln?, erklärt Maier.

Zur wissenschaftlichen Untersuchung werden die Fliegen mit Kohlendioxid betäubt, das durch einen Schlauch in die kleinen Glaskolben geblasen wird. Dieter Maier schüttet ein paar der regungslosen Insekten auf eine Unterlage, auf die er per Knopfdruck weiter Kohlendioxyd leitet, dann schiebt er sie unter ein Mikroskop. Die Fliege, die mit bloßem Auge so unscheinbar wirkt, offenbart nun in der Vergrößerung ihre bizarre Schönheit: große rote Facettenaugen, wie Mosaike, schillernde Flügel, grazile Beine und feine Härchen. Wer das sieht, kann nachvollziehen, warum die Forscher sich fragen, wie dieser komplexe Strukturaufbau funktioniert. Langsam fangen die benommenen Fliegen wieder an, sich zu regen. ?Gas geben?, sagt der Biologe. Das betäubende Gas erzeugt ein leichtes Zisch-Geräusch, und schon steht jedes Beinchen wieder still. Dieter Maier gesteht mit einem Augenzwinkern: ?Ich finde diese Tierchen wirklich schön.? Ob er damit auch die Fliegen auf dem Obstsalat zuhause meint, bleibt sein Geheimnis.

© wissenschaft.de ? Martin Vieweg
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