Einer Verhaltensstudie zufolge können Rabenvögel dem Fressreiz bis zu fünf Minuten widerstehen, wenn sie einen erhaltenen Futter-Brocken nach dieser Wartezeit gegen einen besseren Leckerbissen austauschen dürfen. Derart planvolles und beherrschtes Handeln dokumentiere erneut die enorme Intelligenz dieser Vögel, sagen die Wissenschaftler um Valerie Dufour von der Universität Strasbourg. Bisher war ähnliches Verhalten nur vom Menschen und Menschenaffen bekannt. Andere Tiere können dem unmittelbaren Futterreiz nicht widerstehen und verschlingen einen Leckerbissen sofort. Die schwarz-gefiederten Versuchstiere der Forscher konnten sich dagegen gezielt gedulden: Sie behielten die Futterportion im Schnabel oder legten sie zur Seite, bis sie die Möglichkeit hatten, sie gegen den höherwertigen Leckerbissen einzutauschen. Die Entscheidung zu warten oder das Futter doch sofort zu verspeisen, hing dabei von der Qualität der Belohnung und der erforderlichen Wartezeit ab.
Die Wissenschaftler führten die Versuche mit sechs Raben-Krähen (Corvus corone) und sechs Kolkraben (Corvus corax) durch. Die schlauen Vögel begriffen schnell, dass ein Futterhappen nicht nur eine unmittelbare Belohnung sein kann, sondern auch ein Tauschgut: Wenn ein Forscher ihnen ein Futter-Stück gab, erhielten sie einen feineren Leckerbissen, wenn sie den ersten Happen zurück in die Hand des Biologen legten. Valerie Dufour und ihre Kollegen wollten nun wissen, ob die Vögel dieses Verhalten beibehalten, wenn sie warten müssen. So dehnten sie die Zeit, bis das Versuchstier den Tausch durchführen durfte, immer mehr aus.
Ergebnis: Bis zu fünf Minuten warteten die Rabenvögel, bis der Versuchsleiter zum Tausch bereit war. Sie behielten den Futterbrocken dabei im Schnabel oder legten ihn neben sich auf den Boden. Die Forscher konnten auch zeigen, dass sich die Vögel offenbar ?Gedanken? machen, ob sich die Wartezeit lohnt: Je geringer der Qualitätsunterschied zwischen dem ersten Futterbrocken und der Belohnung, desto kleiner war die Geduld der schwarzen Gesellen. Zwischen den beiden untersuchten Arten stellten die Forscher keinen Unterschied im Verhalten fest. Vermutlich haben viele der rund 120 Rabenvogel-Arten weltweit ähnlich hohe Intelligenzleistungen, sagen die Biologen.
Die aktuelle Untersuchung reiht sich in eine Vielzahl Studien ein, die den Rabenvögeln bereits erstaunliche Hirnleistungen attestiert haben. Die Ergebnisse lassen sich häufig mit denen von Menschenaffen vergleichen. Einige Arten können beispielsweise gezielt Werkzeuge selbst herstellen, sich in andere Lebewesen hineinversetzten und sich sogar selbst im Spiegel erkennen. Unter Experten gelten sie deshalb als eine der hoch-entwickeltsten Lebensformen auf unserem Planeten.
Valerie Dufour (Universität Strasbourg) et al: Biology Letters, doi:10.1098/rsbl.2011.0726 wissenschaft.de –
Martin Vieweg