Als die frühen Meerestiere das Wasser verließen und zu Landlebewesen wurden, wanderten ihre Kiemen nach innen und bildeten die Nebenschilddrüsen. Das schließen britische Forscher aus den Ergebnissen einer Untersuchung, in der sie deutliche Gemeinsamkeiten zwischen der Nebenschilddrüse der Landwirbeltiere und den Kiemen von Fischen entdeckten. So regulieren beide Organe den Kalziumhaushalt des Organismus, beide bilden sich aus dem gleichen embryonalen Gewebe und beide benötigen für die korrekte Entwicklung das gleiche Schlüsselgen. Über ihre Arbeit berichten Masataka Okabe und Anthony Graham vom Londoner King´s College in der Fachzeitschrift PNAS (Online-Vorabveröffentlichung, DOI: 10.1073/pnas.0406116101).
Da
Kalzium in vielen lebensnotwendigen Vorgängen im Körper eine wichtige Rolle spielt, muss seine Konzentration im Blut genauestens überwacht und reguliert werden. Sowohl ein Überschuss als auch ein Mangel kann lebensbedrohliche Folgen haben. Wichtigste Überwachungsinstanz des Kalziumspiegels sind bei Landwirbeltieren die
Nebenschilddrüse, vier erbsengroße Drüsen, die neben der Luftröhre liegen. Sie produzieren das Hormon Parathyrin, das bei Kalziummangel Kalzium aus dem Knochen freisetzt und auf diese Weise den Spiegel erhöhen kann.
Fische dagegen regulieren ihren Kalziumhaushalt mithilfe ihrer Kiemen, mit denen sie das Element aus dem Wasser aufnehmen können. Okabe und Graham hielten es für sehr unwahrscheinlich, dass sich die beiden kalziumregulierenden Organe unabhängig voneinander entwickelt haben und untersuchten daher Kiemen und Schilddrüsen von Mäusen, Hühnern, Zebrafischen und Katzenhaien. Sowohl Kiemen als auch Nebenschilddrüsen entstehen während der Embryonalentwicklung aus der so genannten Schlundtasche an der Bauchseite des Fötus, entdeckten die Forscher. In beiden Geweben ist außerdem ein Gen namens Gcm-2 aktiv, das offenbar die Entwicklung der Organe steuert. Außerdem entdeckten die Wissenschaftler eine aktive Form des Gens für Parathyrin in den Kiemen.
Die Forscher werten diese Übereinstimmungen als deutlichen Hinweis darauf, dass sich die Nebenschilddrüsen aus den Kiemen entwickelt haben. Eine derartige gemeinsame Geschichte könne auch erklären, warum sich die Schilddrüse im Hals befindet, schreiben Okabe und Graham. Hätte sie sich dagegen unabhängig von bereits bestehenden Strukturen entwickelt, hätte sie sich irgendwo im Körper platzieren können.
ddp/bdw ? Ilka Lehnen-Beyel