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Ist Mimik doch nicht universell?

Geschichte|Archäologie

Ist Mimik doch nicht universell?
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Dieses typische Angstgesicht galt bisher als universell und kulturübergreifend verständlich (Foto: SIphotography/iStock)
Gängiger Annahme nach sind die Gesichtsausdrücke bei fundamentalen Gefühlen wie Freude, Furcht oder Trauer in allen Kulturen gleich und werden daher instinktiv verstanden. Doch zumindest für das klassische Angstgesicht mit aufgerissenen Augen scheint dies nicht zu gelten, wie nun ein Experiment belegt. Die Bewohner der entlegenen Trobriand-Inseln im Pazifik interpretierten dabei die vermeintlich typische Angst-Mimik als Wut.

Ob freudiges Lachen, die weit auf gerissenen Augen der Angst oder das vor ekel verzerrte Gesicht: Schon Charles Darwin war der Meinung, dass solche emotionalen Gesichtsausdrücke vom Instinkt gesteuert werden – und daher kulturübergreifend existieren. Nach dieser Theorie der Basisemotionen versteht der Mensch die Mimik von sieben fundamentalen Gefühlen unabhängig von seiner Kultur. Dazu gehören Traurigkeit, Freude, Angst, Ärger, Ekel, Überraschung und Verachtung. Inzwischen allerdings haben einige Studien Zweifel an dieser These geweckt. So erkennen Menschen aus dem asiatischen Kulturkreis zwar die Gesichtsausdrücke von Freude und Trauer auch bei uns „Langnasen“ aus dem Westen recht gut. Bei den restlichen Gefühlen haben sie jedoch teilweise erhebliche Probleme. Einige Forscher sind daher inzwischen der Ansicht, dass die Mimik keineswegs universell und rein instinktgesteuert ist. Stattdessen sei sie ein soziales Werkzeug, das in verschiedenen Kulturen durchaus unterschiedliche Botschaften vermitteln kann. Wer in dieser Kontroverse Recht hat, ist bisher strittig. Carlos Crivelli von der Universität Madrid und seine Kollegen haben nun in einem Verhaltensexperiment weitere Argumente dafür geliefert, dass unsere Mimik wohl doch weniger universell ist als lange gedacht.

Für ihre Studie waren die Forscher auf die entlegenen Trobriand-Inseln im Pazifik gereist. Dieser Archipel liegt rund 200 Kilometer östlich von Papua-Neuguinea und wird von einem Volk bewohnt, das bisher weitgehend isoliert von westlichen Einflüssen geblieben ist. „Die Trobriander haben ihre alten Bräuche und Glaubensvorstellungen noch nahezu unverändert erhalten“, berichten Crivelli und seine Kollegen. Sie glauben an Zauberer und Hexerei, kennen starke Tabus und Rituale und sprechen eine ganz eigene Sprache. Bei Angehörigen dieser sehr ursprünglichen Kultur wollten die Wissenschaftler daher testen, ob verschiedene Gesichtsausdrücke genauso verstanden und interpretiert werden wie bei uns. Dafür zeigten sie 188 jugendlichen Trobriandern sechs Gesichter mit unterschiedlicher Mimik. Dann baten sie ihre Probanden, auf das Gesicht zu zeigen, dass die jeweils genannte Emotion am besten wiedergab.

Wut statt Furcht

Dabei zeigten sich auffällige Unterschiede: Die Emotion „Freude“ ordneten nahezu alle Probanden dem freudig lächelnden Gesicht zu. Auch bei der Trauer war die Trefferquote noch relativ hoch, wie die Forscher berichten. Anders dagegen sah es aus, wenn die Trobriander das passende Gesicht zur Emotion „Wut“ oder „Drohung“ aussuchen sollten: „Unerwarteterweise wurden die angsterfüllten Gesichter von ihnen konsistent den Emotionen wütend oder bedrohlich zugeordnet“, berichten Crivelli und seine Kollegen. Dies war bei jungen Männern und bei jungen Frauen der Fall. Überrascht von diesem Ergebnis überprüften die Forscher dies in einem zweiten Experiment, das sie sowohl mit den Trobriandern als auch mit jungen Menschen in Spanien durchführten. Dabei beschrieben sie ihren Probanden eine Szene, in der ein junger Mann wütend wird und als nächstes sein Gegenüber angreifen wird. Die Teilnehmer sollten dann aus vier Gesichtern das heraussuchen, das seine Stimmung am besten widergibt. Während die Spanier wie erwartet das wütende Gesicht wählten, tippten die Trobriander auf das Portrait mit der nach unseren Maßstäben ängstlichen Mimik.

„In der klinischen und angewandten Psychologie gilt das ‚Angstgesicht‘ als fundamentales Signal der Furcht und Unterwerfung“, sagen Crivelli und seine Kollegen. Doch wie sich jetzt zeigt, ist diese Mimik weniger universell als gemeinhin angenommen. Für die Bewohner der Trobriand-Inseln vermittelt der im Westen als ängstlich interpretierte Gesichtsausdruck stattdessen Wut und Bedrohung. „Das widerspricht der gängigen westlichen Annahme, dass das Angstgesicht kulturübergreifend die Emotion Furcht vermittelt“, so die Forscher. Stattdessen könnte es sogar noch mehr Kulturen geben, die Gesichtsausdrücke von Angst und Wut anders interpretieren als wir. So zeigen die Maoris auf Neuseeland in ihren traditionellen Haka-Tänzen eine Mimik mit weit aufgerissenen Augen und herausgestreckter Zunge. „Das ist eine Variante des klassischen Angstgesichts, die hier der spöttischen Drohung dient“, erklären die Wissenschaftler. Die Vorstellung, dass das Angstgesicht ein universelles kulturübergreifendes Signal sei, müsse daher überdacht werden.

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Quelle:

© wissenschaft.de – Nadja Podbregar
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