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Verschlungene Menschheitswege

Geschichte|Archäologie

Verschlungene Menschheitswege
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Blick auf den Eingang der Denisova-Höhle im russischen Altai (MPI f. evolutionäre Anthropologie/ B. Viola)
Die frühe Geschichte des Menschen und seiner urzeitlichen Vettern wird immer komplizierter. Denn sie begegneten sich und vermischten sich mehrfach und stärker als bisher angenommen. Das geht aus der Entschlüsselung des Erbguts eines 50.000 Jahre alten Neandertaler-Knochens aus dem russischen Altai Gebirge hervor. Die DNA zeigt aber auch, welche genetischen Merkmale uns von den verschiedenen Frühmenschenformen unterscheiden – und damit, was uns zu Homo sapiens, dem modernen Menschen, macht.

Die Denisova-Höhle im russischen Altai-Gebirge entpuppt sich immer mehr als wahre Schatzkammer der menschlichen Vorgeschichte. Im Jahr 2008 stießen Forscher dort auf den rund 40.000 Jahre alten Fingerknochen einer bis dahin unbekannten Menschenform. Genanalysen zeigten, dass diese Denisova-Menschen nahe Verwandte des Neandertalers gewesen sein mussten. Ebenso wie diese starben sie noch in der Altsteinzeit aus. Allerdings nicht, ohne Spuren im Erbgut des modernen Menschen zu hinterlassen: Bereits 2010 hatten Svante Pääbo vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig und sein Team mittels Genvergleichen festgestellt, dass heutige Bewohner Indonesiens, Papua Neuguineas, Polynesiens und die Ureinwohner Australiens Gene des Denisova-Menschen in sich tragen. Schon früher hatte das gleiche Team herausgefunden, dass nahezu alle modernen Nichtafrikaner einen kleinen Anteil Neandertalergene besitzen.

Ein Neandertaler-Zeh im Denisova-Gebiet

2010 dann entdeckten russische Forscher in der Denisova-Höhle ein weiteres Frühmenschenfossil. Der 50.000 Jahre alte Zehenknochen stammte aber nicht von einem Denisova-Menschen, sondern von einer Neandertalerfrau. Ihr Erbgut hat ein internationales Forscherteam um Pääbo und seinen Kollegen Kay Prüfer jetzt in hoher Auflösung analysiert. Das machte es möglich, Gemeinsamkeiten und Unterschiede zum Denisova-Menschen, aber auch heute lebenden Menschen genauer als bisher zu ermitteln. Die Ergebnisse dieser Untersuchungen werfen nun ein neues Licht auf die verworrene Frühgeschichte unserer Spezies.

Demnach lebten Neandertaler und Denisova-Menschen mehrere hunderttausend Jahre nebeneinander im gleichen Gebiet. Der gemeinsame Vorfahre beider spaltete sich den neuen Daten nach vor rund 550.00 bis 765.000 Jahren von den Urahnen des modernen Menschen ab. Neandertaler und Denisova-Menschen trennten sich dann vor rund 445.000 bis 473.000 Jahren. Allerdings gab es wohl auch danach noch durchaus einige Affären zwischen Angehörigen beiden Gruppen. Denn wie die Forscher feststellten, gaben die Neandertaler immerhin noch 0,5 Prozent ihrer Gene nachträglich an die Denisova-Menschen weiter.

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Unbekannter Frühmensch mischte mit

Beim Vergleich mit dem Denisova-Erbgut entdeckten die Forscher zudem Überraschendes: Immerhin bis zu acht Prozent ihres Genoms stammte weder vom Neandertaler noch von einem gemeinsamen Vorfahren. Stattdessen deutet alles darauf hin, dass eine weitere unbekannte Menschenform hier ihre genetischen Spuren hinterließ. Dieser frühe Hominide war allerdings sehr viel urtümlicher, er muss sich schon vor 1,1 bis 4 Millionen Jahren vom Stammbaum der restlichen Menschenarten getrennt haben, wie die Wissenschaftler berichten. „Dieser Zeitrahmen spricht dafür, dass dieser unbekannte Frühmensch ein Homo erectus gewesen sein könnte“, erklären Prüfer und seine Kollegen. Denn dieser begann vor rund 1,8 Millionen Jahren, Afrika zu verlassen. Eine Gruppe dieser Auswanderer könnte in Sibirien gelandet sein und sich dort mit den Denisova-Menschen vermischt haben.

„Das zeigt wirklich, dass die Geschichte des Menschen und seiner Verwandten in dieser Zeit sehr kompliziert war“, konstatiert Koautor Montgomery Slatkin von der University of California in Berkeley. „Es gab offenbar eine Menge Kreuzungen zwischen ihnen, von denen wir nun wissen und wahrscheinlich viele weitere, die wir noch nicht entdeckt haben.“ Ein weiterer Fund der Forscher verwundert daher kaum mehr: Neben den Inselbewohnern des Pazifik und den Aborigines tragen offenbar auch Festlandasiaten und amerikanische Ureinwohner rund 0,2 Prozent Erbgut vom Denisova-Menschen in sich.

Inzucht war üblich

Aber auch über die Neandertalerfrau, von der der Zehenknochen stammt, haben die Forscher dank ihrer Genanalysen mehr erfahren. Wie sich zeigte, müssen ihre Eltern nah miteinander verwandt gewesen sein. „Wir führten verschiedene Inzuchtszenarien am Computer durch und entdeckten, dass die Eltern dieser Neandertalerfrau entweder Halbgeschwister mütterlicherseits, Großcousin und Großcousine, Onkel und Nichte, Tante und Neffe, Großvater und Enkelin oder Großmutter und Enkelsohn gewesen sein müssen“, berichtet Slatkin. Nach Ansicht der Wissenschaftler war eine solche Inzucht damals wahrscheinlich nichts Ungewöhnliches. Denn sowohl Neandertaler als auch Denisova-Menschen lebten in kleinen Gruppen, die nur selten mit anderen in Kontakt kamen. Das könnte die Paarung zwischen Verwandten üblicher gemacht haben als beim sehr viel mobileren und in größeren Gemeinschaften lebenden modernen Menschen.

Und noch etwas gelang den Forschern: Sie identifizierten 87 Gene, die den modernen Menschen von Neandertalern und Denisova-Menschen unterscheiden. „Es gibt kein einzelnes Gen, auf das wir zeigen können und sagen: Diesem verdanken wir unsere Sprache oder eine andere einzigartige Fähigkeit des modernen Menschen“, sagt Slatkin. Aber diese Liste von Genen umfasst immerhin die Änderungen, die uns von allen anderen lebenden und bereits ausgestorbenen Organismen unterscheiden. „Ich glaube, dass unter allen Änderungen in diesem Katalog auch diejenigen versteckt sind, die für die enorme Expansion menschlicher Populationen sowie die Entwicklung menschlicher Kultur und Technologie in den letzten 100.000 Jahren verantwortlich sind“, konstatiert Pääbo.

 

 

 

 

 

 

 

 

Quelle:

© wissenschaft.de – Nadja Podbregar
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