Sehen, Hören, Schmecken, Fühlen und Riechen – die Sinne sind unsere Antennen zur Welt. Vor die Wahl gestellt, auf einen der fünf Sinne verzichten zu müssen, halten die meisten Menschen das Riechen am ehesten für entbehrlich. Oft wird der Geruchssinn als ein Relikt der Evolution angesehen. Dafür spricht, dass viele Sprachen kein vielfältiges Repertoire für die Beschreibung von Gerüchen besitzen. In den meisten Sprachen der westlichen Welt lehnen sich Ausdrücke für Düfte an Objekte an, die diesen Geruch besitzen – etwas riecht beispielsweise nach Rosen, zitronig oder moschusartig. Für Sehen und Hören ist das hingegen nicht der Fall: Beispielsweise beziehen sich Begriffe wie rot oder grün sowie schrill oder knarzend nicht auf konkrete Gegenstände.
Doch in der Sprache der Maniq ist das anders, berichten Ewelina Wnuk und Asifa Majid vom Max-Planck-Institut für Psycholinguistik in Nijmegen. Majid hat das Naturvolk über mehrere Jahre hinweg im tropischen Regenwald Thailands besucht und dort ihre Sprache für Gerüche untersucht. Die beiden Sprachforscherinnen haben dann eine Liste aus 15 abstrakten Begriffen erstellt, mit denen die Maniq Düfte bezeichnen.
Schwer zu übersetzen
Die Ausdrücke gehören offenbar nicht zu einer einzelnen Wortklasse: Es gibt Substantive und sogenannte statische Verben, die sich am ehesten als „riecht wie XY” übersetzen lassen, beispielsweise „X riecht wie ein Pilz, ein alter Unterstand, verrottendes Holz”. Doch im Unterschied zu Sprachen wie deutsch oder englisch leiten sich diese Ausdrücke nicht von einem einzelnen konkreten Objekt ab. Es sind stattdessen Begriffe, die für einen Geruch stehen, der von mehreren Quellen stammen kann. „Mit diesen Begriffen lassen sich ausschließlich Gerüche ausdrücken, nicht dagegen andere Sinneseindrücke”, erklärt Ewelina Wnuk. So besitzen die Maniq einen Ausdruck für den Geruch der Sonne, der aber gleichzeitig auch Luft oder Rauch bezeichnen kann. Das Wort für den Geruch eines alten Unterstandes steht wiederum auch für den Geruch von Pilzen, der Haut eines toten Tieres oder dem Trinken aus einem Bambusrohr.
Den Ergebnissen der Forscher zufolge besitzt das Geruchslexikon der Maniq eine zweidimensionale Struktur – Gerüche werden nach zwei Kategorien unterschieden: Wohlgeruch und Gefährlichkeit. „Es ist damit ganz ähnlich aufgebaut wie das Lexikon für Gefühlsausdrücke. Hier gibt es die Unterscheidung nach angenehm und unangenehm sowie aufregend und beruhigend. Möglicherweise drückt sich in dieser Übereinstimmung die enge Verbindung zwischen Gerüchen und Gefühlen aus”, sagt Wnuk.
Das umfangreiche Vokabular und die Struktur des Wortschatzes lässt die Bedeutung von Gerüchen für die Maniq erahnen. Sie erkennen beispielsweise Tiere, gefährliche Gegenstände, Ereignisse oder verdorbenes Essen sehr feinsinnig am Geruch. Auch medizinisch haben Düfte große Bedeutung für die Maniq. Viele ihrer Heilkräuter haben ein intensives Aroma, dem die Heilkraft zugeschrieben wird. All dies spiegelt sich in ihrem Wortschatz wider. Der sprachliche Umgang mit Gerüchen könnte nicht nur für Sprachforscher, sondern auch für Neurowissenschaftler interessant sein, sagen die Forscherinnen. So könnte die Kategorisierung der Geruchsbezeichnungen der Maniq beispielsweise darauf hindeuten, dass das Gehirn wohlriechende und gefährliche Düfte unterschiedlich verarbeitet.
Viele Forscher halten die Bedeutung des Geruchssinn für enorm unterbewertet. Die Bedeutung dieses Sinnes haben bereits einige Studien belegt. Menschen, die ihren Geruchssinn verloren haben – unter der sogenannten Anosmie leiden – werden ihres Lebens demnach kaum mehr froh: Eine Welt ohne Duft und Geruch entpuppt sich als erstaunlich reizlos und kann zu Depressionen führen.