Im Jahre 1964 sorgte ein Fossilfund in der Olduvai-Schlucht in Tansania für eine Sensation. Denn Louis Leakey und seine Kollegen entdeckten dort 1,8 Millionen Jahre alte Relikte, die sich als der älteste bekannte Vertreter unserer Gattung Mensch erwiesen – der Homo habilis. Das Olduvai Hominid 7 (kurz OH 7) genannte Fossil besteht aus einem Unterkiefer, Teilen einer Schädeldecke und den Handknochen. Doch weil der Unterkiefer deformiert war und der Hirnschädel sehr unvollständig, blieb die genaue Kopfanatomie dieses Frühmenschen bis heute unklar – und damit auch seine Verwandtschaftsbeziehung zu anderen Frühmenschenarten wie Homo rudolfensis und Homo erectus. Ebenfalls rätselhaft blieb, wann und aus welchen Vorfahren sich diese frühen Menschen einst entwickelten – der Menschen-Urahn blieb im Dunkeln. Denn zwischen dem letzten bekannten Vormenschen, Australopithecus afarensis, und dem ersten Frühmenschen klaffte eine Lücke – Fossilien aus der kritischen Zeit vor rund 2,5 bis 3 Millionen Jahren fehlten.
Kieferfragment als Bindeglied
Das hat sich jetzt geändert. Denn 2013 entdeckte Chalachew Seyoum von der Arizona State University in Tempe in der Afar-Region von Äthiopien erneut ein menschliches Fossil. Dieses stammt aus der Zeit von vor rund 2,8 Millionen Jahren – und damit genau aus der bisher klaffenden Lücke in unserem frühen Stammbaum. Nähere Analysen des gut erhaltenen linken Unterkiefers mit fünf Zähnen zeigen, dass er einem sehr frühen Vertreter der Gattung Homo gehört haben muss, höchstwahrscheinlich einem Vorgänger von Homo habilis und Homo rudolfensis. So besitzt der Kiefer eher schmale Backenzähne, symmetrische Prämolaren und eine gleichmäßig proportionierte Form, was ihn von dem Vormenschen Australopithecus abhebt. Das fliehende Kinn hingegen macht ihn primitiver als Homo habilis und Homo rudolfensis.
„In der Mehrheit seiner Merkmale repräsentiert dieser Fund eine Morphologie, die wir als Übergang zwischen Australopithecus und Homo sehen“, berichten die Wissenschaftler. Diese Einordnung des Fossils verlängert die Stammeslinie der Gattung Homo um rund 400.000 Jahre in die Vergangenheit. Und es bedeutet auch, dass dieser Frühmensch nur 200.000 Jahre nach dem Australopithecus afarensis existierte – und direkt in dessen Nachbarschaft. Denn das berühmte Australopithecus- Fossil „Lucy“ wurde nur wenige Kilometer entfernt in der Hadar-Region Äthiopiens entdeckt. Der entscheidende Übergang vom Vor- zum Frühmenschen könnte sich demnach in genau dieser Region vollzogen haben.
Neuer Blick auf den „geschickten Menschen“
Gestützt wird die Einordnung des neuen Fundes auch durch eine parallel in „Nature“ erscheinende Studie. In dieser berichten Fred Spoor vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig und seine Kollegen von einer neuen Rekonstruktion des Homo habilis-Schlüsselfossils OH 7. Die „wiedergeborene“ Version überrascht mit einer unerwarteten Mischung von Merkmalen. Demnach ähnelt der Kiefer des Homo habilis dem des neuentdeckten Homo-Fossils und dem Australopithecus mehr als bisher angenommen. Dafür war das Gehirn des Homo habilis größer als gedacht und sein Hirnschädel ähnelt bereits dem des Homo erectus, wie die Forscher berichten.
Das neue Gesicht des Homo habilis liefert zwei wichtige Erkenntnisse: Zum einen bestätigt es, dass vor 2,1 bis 1,6 Millionen Jahren tatsächlich drei klar getrennte menschliche Arten nebeneinander existierten: Homo habilis, Homo erectus und Homo rudolfensis. Entgegen vorhergehender Annahmen unterschieden sie sich jedoch weniger in ihrem Hirnvolumen, als vielmehr in der Form ihrer Gesichter. Zum anderen aber fügt sich die Kieferform des Homo habilis nun sehr gut in eine Reihe ein, die vom Australopithecus über das neu entdeckte Homo-Fossil bis zum Homo habilis reicht. „Die digitale Neuentdeckung von Homo habilis und seinem wahren Aussehen ließ uns Rückschlüsse ziehen, wie sein Vorfahre ausgesehen haben mag“, sagt Spoor. „Jetzt tauchte — fast wie bestellt — der Ledi-Geraru Kiefer auf und liefert uns ein plausibles evolutionäres Bindeglied zwischen Australopithecus afarensis und Homo habilis.“
Quelle:
- Brian Villmoare (University of Nevada Las Vegas) et al., Science, doi: 10.1126/science.aaa1343
- Fred Spoor (Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthrpologie, Lepzig) et al., Nature, doi: 10.1038/nature14224