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Ein Bett im Mittelpaläolithikum

Geschichte|Archäologie

Ein Bett im Mittelpaläolithikum
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Diese Pflanzenprobe, hier konserviert in Gips, ist 77.000 Jahre alt. Bild: Bamford
Wirklich weich gepolstert waren sie wohl nicht, die „ältesten bekannten Matratzen“ der Welt, wie das Wissenschaftsmagazin „Science“ sie nennt. Trotzdem sind die dünnen Schichten aus Riedgras und Binsen, die ein internationales Forscherteam in Südafrika entdeckt hat, etwas ganz Besonderes: Sie sind gut 50.000 Jahre älter als alle anderen bekannten ähnlichen Überreste ? und waren zudem offenbar mit einer Anti-Mücken-Ausrüstung ausgestattet.

Die Sibudu-Höhle ? eigentlich eher ein geschützter Bereich unter einem Felsvorsprung ? in der Provinz KwaZulu-Natal im Osten Südafrikas hat bereits mehrmals spektakuläre Fundstücke preisgegeben. So stammen die ältesten Hinweise auf eine Pfeil-und-Bogen-Technologie ebenso von dort wie sehr früher Muschelschmuck und sogar ein etwa 70.000 Jahre alter Zweikomponentenkleber. Der neue Fund ist nicht weniger bedeutsam: Es handelt sich um den ältesten Nachweis dafür, dass die frühen modernen Menschen bewusst Pflanzenmaterial in einer ihrer Behausungen aufgeschichtet haben ? vermutlich ebenso, um darauf zu schlafen, wie um angenehm sitzen zu können.

Rekordalter bei Binsen und Ried

Mindestens 15 Schichten aus dem Grabungsgebiet enthalten solches Pflanzenmaterial, die älteste von ihnen ist 77.000 Jahre alt, die jüngste etwa 38.000 Jahre. Jede ist wenige Zentimeter stark und erscheint stark verdichtet, möglicherweise vom häufigen Darüberlaufen. Die Lagen bestehen aus Stängeln und Blättern verschiedener Gräserarten, darunter vor allem Ried und Binsen, die die damaligen Bewohner wohl am Ufer des nahegelegenen Flusses Tongati sammelten.

Die Pflanzen wurden vermutlich auf dem Boden des Schutzraumes verteilt und anschließend offenbar gezielt mit einer dünnen Schicht lorbeerartiger Blätter bedeckt. Das Besondere dabei: Sie stammen von der Kap-Quitte, einem immergrünen Baum, dessen Blätter natürliche Anti-Mücken-Mittel enthalten. Es liege also nahe, dass auch die Sibudu-Bewohner diese Schichten zum Schutz vor Schädlingen auf die Binsen aufgelegt haben, sagt Lyn Wadley von der Universität Witwatersrand, die lange die Ausgrabungen leitete.

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Reinigendes Feuer

Die Höhle wurde zuerst offenbar nur sporadisch genutzt, lesen die Wissenschaftler aus der Schichtung im Boden heraus. Der Bodenbelag wurde dabei immer wieder ergänzt und erneuert. Vor 73.000 Jahren begannen die Menschen dann, die Binsen nach dem Gebrauch gezielt abzubrennen ? vermutlich, um darin eingenisteten Schädlingen den Garaus zu machen. Feuer zu verwenden, um Siedlungsplätze für eine spätere Nutzung vorzubereiten, sei eine zur damaligen Zeit völlig neue Verhaltensweise gewesen, kommentiert Christopher Miller von der Universität Tübingen, der ebenfalls an der Analyse beteiligt war.

Neben den Pflanzenschichten fanden sich auch diverse Feuerstellen und Aschegruben, in denen die verbrannten Überreste entsorgt wurden. Ihre Zahl nahm vor 58.000 Jahren relativ plötzlich dramatisch zu ? entweder, weil sich die Gruppen länger dort aufhielten, weil es größere Gruppen waren oder weil die Höhle häufiger benutzt wurde. Zu dieser Zeit, erläutern die Forscher, wandelte sich die demografische Struktur in Afrika ? ein Prozess, der schließlich in der Emigration von Homo sapiens nach Europa und Asien vor etwa 50.000 Jahren gipfelte.

Lyn Wadley (Witwatersrand-Universität) et al.: Science, Bd. 334, S. 1388 © wissenschaft.de ? Ilka Lehnen-Beyel
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Ähr|chen  〈n. 14; Bot.〉 Teilblütenstand der Gräser, aus dem die ähren– od. rispenartigen Gesamtblütenstände aufgebaut sind

Glut|a|mat  auch:  Glu|ta|mat  〈n. 11; unz.; Biochem.〉 Ester od. Salz der Glutaminsäure, wird als Kochsalzersatz u. Geschmacksverstärker in der Lebensmittelindustrie verwendet … mehr

Netz|spin|ne  〈f. 19; Zool.〉 Angehörige einer Ordnung der Spinnentiere, die zum Beutefang Netze spinnen: Araneae

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