Die ersten Menschen besiedelten das nördliche Europa schon vor rund 800.000 Jahren, 100.000 Jahre früher als bisher angenommen. Das haben britische Forscher anhand von altsteinzeitlichen Werkzeugen sowie Vegetations- und Tierfossilien bewiesen, die sie an der ostenglischen Küste bei Happisburgh ausgegraben haben. Die Funde widersprechen zudem der These, dass die Frühmenschen nur zögerlich die kalten Regionen nördlich der Alpen und Pyrenäen vorstießen und sich immer wieder in den Mittelmeerraum zurückzogen: Die Pioniere der Altsteinzeit hatten sich durchaus dauerhaft an die unwirtlichen Bedingungen Nordeuropas angepasst.
Vor etwa 1,8 Millionen Jahren verließen die Frühmenschen ihre Wiege in Afrika und Homo erectus wanderte in das heutige Europa ein. 500.000 Jahre später hatten sich die Pioniere fest im Mittelmeerraum etabliert. Die weitere Expansion soll sich nach einem Ebbe-Flut-Modell vollzogen haben: In klimatischen Wärmephasen stießen die Vorfahren des heutigen Menschen in Regionen nördlich der Alpen und Pyrenäen vor, in Kälteperioden zogen sie sich zurück. Schließlich war Nordeuropa von einer ausgedehnten Taiga bedeckt, genießbare Tiere und Pflanzen waren selten zu finden und die kurzen Wintertage und eisigen Temperaturen verschärften die rauen Lebensbedingungen.
2005 wurde durch Funde in Pakefield in Suffolk belegt, dass in einer kurzen Phase der Klimaerwärmung vor 700.000 Jahren die ersten Menschen in England auftauchten. Die von Wissenschaftlern um Simon Parfitt vom University College London nun in Happisburgh in der Grafschaft Norfolk gefundenen Werkzeuge sind jedoch mindestens 100.000 Jahre älter. Mehr als siebzig aus Feuerstein bearbeitete Werkzeuge wurden von den Wissenschaftlern geborgen. Die zur Jagd und zum Anzünden von Feuer benutzten Feuersteinsplitter belegen, dass die ersten Briten Jäger und Sammler waren. Fossile Überreste der Frühmenschen von Happisburgh wurden allerdings nicht gefunden.
Geborgen wurden bei der Ausgrabung auch Fossilien von Pflanzen wie Kieferzapfen oder von Tieren wie Mammuts. Nach der Umgebungsanalyse war das Klima deutlich rauher als heute. Die Menschen hatten sich vor 800.000 Jahren offenbar an die kalten Bedingungen des Nordens angepasst, schreiben die Wissenschaftler. „Sie siedelten in einem grasbedeckten Flussgebiet, in dem Mammuts, Nashörner und Pferde lebten, die von Säbelzahntiger und Hyänen gejagt wurden ? und natürlich vom Menschen“, berichtet Parfitt.
Simon Parfitt (University College London) et al.: Nature, Bd. 466, S. 229, doi:10.1038/nature09117 ddp/wissenschaft.de ? Gwydion Brennan