Schon seit langem ist das alte Ägypten für Archäologen ein Rätsel. Die ägyptische Hochkultur schien wie aus dem Nichts entstanden zu sein, kaum etwas war über die Zeit vor den großen Baumeistern bekannt. Dies könnte sich mit den neuen Funden schlagartig ändern, so Wilkinson. Ägyptologen glauben nun, dass die Vorfahren der Pyramidenbauer die selben Menschen gewesen sein könnten wie die, die sich vor 6.000 Jahren in den Felsen verewigt haben. Obwohl es schwierig ist, die Felskunst genau zu datieren, so kann man doch über stilistische Parallelen ein Alter von 4.000 vor Christus und älter annehmen. Die frappierenden Übereinstimmungen von Felskunst und bemalter Keramik aus dieser Zeit im Niltal, machen es für Wilkinson sehr wahrscheinlich, dass beides dieselben Menschen fertigten.
Erst vor drei Jahren begannen britische Teams systematisch die Wüste zwischen Nil und Rotem Meer zu untersuchen. Vorher konzentrierte sich die Forschung auf das Niltal und kaum jemand konnte sich ernsthaft vorstellen, dass sich in den Weiten der unwirtlichen und unzugänglichen Wüste ein riesiger Informationsschatz befinden könnte. Doch diese Gegend war nicht immer Wüste. Bis 3.500 vor Christus, so Wilkinson, war die Landschaft östlich des Nils mit der Savanne des heutigen Ostafrika vergleichbar. Wie dort gab es Wasserlöcher, saisonale Flüsse und eine ähnliche Fauna.
Dr. Wilkinson und seine Kollegen untersuchten die Wüste zwischen den beiden Hauptverkehrswegen dem Wadi Hammamat und dem Wadi Barramiya. „So ziemlich überall wo wir hinkamen, fanden wir Felskunst“, so Wilkinson. „Vor einigen Wochen waren es 30 neue Stellen, die nie zuvor aufgenommen oder erwähnt wurden.“
Die Fundstellen variieren erheblich in ihrer Größe. Angefangen von einem Felsbrocken mit wenigen Tieren oder Booten, bis hin zu weiten Felsflächen mit Bildern von Menschen und Tieren, Jagdszenen, Bootsverbänden und Giraffen, Straussen und Elefanten.
20 der neuen Fundstellen liegen im Wadi Salam, manchen tragen die Zeichnungen mehrerer Generationen. Wadis sind ausgetrocknete Flussläufe, die nur periodisch Wasser führen und in deren Nähe sich die einstigen Reisenden aufgehalten haben. So fanden die Wissenschaftler auch Zeichen von Beduinen, Römern, Griechen, und von Reisenden aus der Zeit der Pharaonen. Die interessantesten jedoch waren die Zeichnungen von unbekannten Hirtenleuten, die ihre Rinder zwischen Nil und Rotem Meer von einer Wasserstelle zur nächsten führten.
Einige der Boote im Felsen sind einfach, andere hingegen scheinen religiöse Bedeutung zu haben. Wie die späteren ägyptischen Götter ziert die Figuren in den Booten ein großer Federschmuck in den Haaren. Andere Bilder zeigen eindeutig Häuptlinge mit Straußenfedern bekleidet.
Vorgeschichtliche Handelstätigkeiten in dieser Gegend sind belegt. So wurden Korallen, Muscheln und Obsidan (schwarzes vulkanisches Glas) vom Roten Meer an den Nil geliefert. Das Bild, das nach den neuen Funden entsteht, zeigt das indigener Nomaden, die mit ihrem Vieh von Ort zu Ort ziehen, bis sie durch die Wüstenbildung gezwungen waren sich im Niltal niederzulassen. Die Vorgeschichte Ägyptens ist demnach nicht im Niltal, sondern in einem weiten Gebiet auf beiden Seiten des Flusses zu suchen. Erst mit dem Klimawandel ließen sich die Menschen am Nil nieder und gaben so den Anstoß für die ägyptische Hochkultur.
Birgit Stöcklhuber