Immer wieder tauchen im Flussbett der Tollense neue Funde auf: Bislang wurden Fragmente von 12.000 Menschenknochen und einige Hundert Reste von Hieb-, Stich- und Schusswaffen gefunden. bild der wissenschaft berichtete im April 2012 darüber ( „Gemetzel im Tollense-Tal“ ). Laut den Datierungen stammen die Funde aus dem 13. Jahrhundert v.Chr. In einem Zeitraum von 250 Jahren scheint es entlang des Flusses immer wieder zu Kämpfen gekommen zu sein.
Oder tobte hier nur eine einzige gewaltige Schlacht? Detlef Jantzen, Landesarchäologe in Mecklenburg-Vorpommern, kann sich das gut vorstellen. Dafür sprechen Stickstoff-Isotope in den Knochen und Zähnen der Toten – Stickstoff wird mit der Nahrung aufgenommen und lagert sich im Körper ab. Wie die Isotope verraten, hatten einige der Gefallenen viel Fisch gegessen. „Und beim Verzehr von Fisch wird älterer Kohlenstoff aufgenommen“, erklärt Jantzen. Denn Fische lagern älteren, im Wasser gelösten Kohlenstoff ein. „Das kann zu einer Verfälschung des C14-Datums um mehrere Jahrhunderte führen. Wir sagen: Fisch macht alt.“
Auch die Holzfunde verwirrten die Forscher. In einigen Knochen und Schädeln steckten Pfeilspitzen aus Bronze. Ihre hölzernen Schäfte sind manchmal erhalten geblieben. Eine C14- Datierung ergab überraschenderweise: Die Schäfte sind älter als die meisten Menschenknochen. Doch Detlef Jantzen hat eine schlüssige Erklärung: „Die Pfeilschäfte sind aus Kernholz. Die Bogenschützen waren also Profis. Und das Holz aus dem Kern eines Baumstamms ist natürlich älter als der Mensch, der den Baum irgendwann gefällt hat.“
Woher kamen die Kämpfer?
Über die Herkunft der Krieger gibt es ebenfalls neue Erkenntnisse. Bislang galten die meisten als Einwanderer aus dem Süden oder Osten Europas. Das könnte erklären, wie es kommt, dass bis zu 4000 Menschen an der Tollense aufeinander getroffen sind, einem in der Bronzezeit dünn besiedelten Gebiet. Die Ernährung der Gefallenen schien diesen Verdacht zu bestätigen. Viele hatten Hirse gegessen und die wuchs damals nicht in dieser Gegend, dachte man. Das Bild marodierender Haufen, die aus den Hirseregionen Südosteuropas in die norddeutsche Tiefebene einfielen, machte die Runde. Eine Tageszeitung erkannte in den Toten von der Tollense gar „Migranten aus dem Süden“.
Doch wie sich bei weiteren Ausgrabungen herausgestellt hat, wurde Hirse bereits um 1500 v.Chr., also etwa 200 Jahre vor der Schlacht, in Mecklenburg-Vorpommern angebaut. Demnach könnten die Kämpfer also durchaus Einheimische gewesen sein. Doch das würde das Bild, das Archäologen von der nordischen Bronzezeit haben, völlig über den Haufen werfen. Damals, so erklärt Jantzen, lebten etwa drei bis fünf Menschen auf einem Quadratkilometer. „Ziehen wir Alte, Frauen und Kinder ab, bleibt vielleicht ein junger Mann pro Quadratkilometer. Nehmen wir an, dass 4000 Menschen an der Tollense gekämpft haben, müssten also Krieger aus 4000 Quadratkilometern Umkreis mobilisiert worden sein. Da sucht man nach einer starken Autorität, die hinter einer so gewaltigen Schlacht gestanden haben muss.“
Jantzen verweist auf eine Wegtrasse aus der Bronzezeit – heute sichtbar als Damm –, die das Tal der Tollense durchquert. „Diese Anlage ist so aufwendig, dass sie ohne eine gesellschaftliche Hierarchie nicht hätte angelegt werden können. Auch das Schlachtfeld passt in das Bild einer Zivilisation mit einem oder mehreren mächtigen Herrschern. Aber bislang haben wir nirgendwo ein Herrschaftszentrum gefunden, das diesen Verdacht untermauert.“