Überraschender Fund in Südindien
Im Jahr 2007 jedoch stießen Forscher um Michael Petraglia vom National Museum of Natural History in Washington in der Jwalapuram Region im Süden Indiens auf eine Reihe von Steinwerkzeugen, die sehr viel älter waren als die bisherigen Funde. Die noch eher primitiven Faustkeile lagen teilweise unterhalb der Aschenschicht, die bei der Toba-Eruption von 74.000 Jahren abgelagert worden war, mussten also von Menschen stammen, die schon vor dem Ausbruch dort lebten. Petraglia und seine Kollegen postulierten damals, dass diese Werkzeuge nicht von archaischen Vormenschen, sondern bereits von frisch eingewanderten Vertretern des Homo sapiens stammen mussten. Ihrer Ansicht nach begann daher die Besiedelung Asiens durch den anatomisch modernen Menschen bereits sehr viel früher als zuvor angenommen – auf jeden Fall vor dem Ausbruch des Toba.
Die Veröffentlichung dieses zweiten Modells zur Besiedelung Asiens durch den Homo sapiens sorgte für heftige Debatten in der Wissenschaftlergemeinschaft. Denn es widersprach einem Großteil der etablierten Theorien. In ihrer aktuellen Studie haben Mellars und seine Kollegen daher alle bisherigen archäologischen und genetischen Funde zu dieser Frage noch einmal ausgewertet mit dem Ziel, die Streitfrage zu klären.
„Nahezu unmögliche Koinzidenz“
Als erstes nahmen sich die Forscher dabei die genetischen Daten vor: Vergleichsanalysen des Erbguts heutiger Bewohner Asiens, Europas und Afrikas, mit deren Hilfe sich rekonstruieren lässt, wann sich welche Bevölkerungsgruppen voneinander abgespalten haben. Das Ergebnis: Sämtliche DNA-Vergleiche – egal ob des Y-Chromosoms, der mitochondrialen DNA oder des gesamten Genoms sprechen dafür, dass sich der Homo sapiens erst vor rund 40.000 bis 60.000 Jahren nach Asien aufmachte und dort eigene Populationen gründete. „Das macht eine Besiedlung Südasiens durch den modernen Menschen vor der Toba-Eruption höchst unwahrscheinlich“, konstatieren die Forscher.
Anschließend re-evaluierten Mellars und seine Kollegen noch einmal die archäologischen Funde. Wie sie feststellen, ist der Übergang von groben Faustkeilen zu den feineren Speer- und Pfeilspitzen im gesamten Rest Eurasiens mit der Ankunft des Homo sapiens und dem Ende des Neandertalers verknüpft. Für Indien aber hatten die Vertreter des Prä-Toba-Szenarios postuliert, dass der auch dort beobachtbare umfassende Wandel in der Werkzeugkultur innerhalb der gleichen Population passiert sei. Der bereits vor Ort lebende Homo sapiens müsste demnach innerhalb von wenigen tausend Jahren einen enormen Entwicklungssprung gemacht haben. Nach Ansicht der Forscher ist das jedoch alles andere als wahrscheinlich. „In Bezug auf die kulturelle Evolution ist das eine nahezu unmögliche Koinzidenz“, so Mellars und seine Kollegen.
Und noch etwas kommt hinzu: Die Datenbasis der Prä-Toba-Theorie ist sehr dünn: „Diese These basiert letztlich auf der Analyse von nur zwei kleinen Proben, die unterhalb der Aschenschicht gefunden wurden“, so die Wissenschaftler. Hinzu komme, dass der damals für die Gesteinsanayen verantwortliche Forscher seither seine Einschätzung widerrufen habe. Schöpfer der unter der Toba-Schicht gefundenen Faustkeile sei demnach nicht der Homo sapiens, sondern vermutlich eine noch unbekannte Population eines archaischen Menschentyps.
Das Fazit der Forscher: „Wir finden keinerlei überzeugende Belege, weder genetisch noch archäologisch, für eine Besiedlung Südasiens durch den modernen Menschen noch vor der Toba-Eruption.“ Stattdessen stützten alle bisherigen Nachweise eine Einwanderung des Homo sapiens erst vor rund 50.000 bis 55.000 Jahren – und damit das ursprüngliche Szenario.