Anblick eines Landsmanns stört die Fremdsprache
Ob solche Szenen nur moderne Legenden sind und was möglicherweise hinter diesem Störeffekt steckt, wollten die Forscher mit Hilfe von vier Experimenten herausfinden. Ihre Testpersonen waren dabei Studenten, die aus China gekommen waren, um an US-Universitäten zu studieren. Alle hatten Englisch als Zweitsprache gelernt und beherrschten es fließend. Im ersten Test hörten die Probanden eine Tonaufnahme, in der eine Stimme auf Englisch ihre Meinung über das Campusleben kundtat. Die Probanden sollten dann, ebenfalls in Englisch, von ihren Erfahrungen berichten. Während dieses Tests war auf einem Bildschirm entweder ein asiatisch oder ein weiß-amerikanisch aussehendes Gesicht zu sehen. Die Forscher zeichneten die Äußerungen der Probanden auf und maßen sowohl deren Sprachgeschwindigkeit als auch die Flüssigkeit des Sprechens.
Das Ergebnis: Erblickten die chinesischen Probanden ein asiatisches Gesicht auf dem Monitor, sprachen sie messbar langsamer und weniger flüssig. Ähnliches stellten die Forscher auch im zweiten Test fest: Dort reichte schon der Anblick von typisch chinesischen Symbolen wie einem Drachen, einem Bild der Großen Mauer oder eines Schriftzeichens, um das Englisch der Testpersonen merklich zu verschlechtern. „Beide Experimente zeigen, dass bereits optische Schlüsselreize der eigenen Kultur das Sprechen der Zweitsprache beeinflussen und stören“, erklären Zhang und seine Kollegen.
Pistachios oder Happy nuts?
Einen Hinweis darauf, wie genau solche Schlüsselreize das Sprechen stören, erbrachten zwei weitere Tests. In diesen zeigten die Forscher den chinesischen Studenten Objekte, deren Namen in beiden Sprachen sehr unterschiedlich sind und sich nicht einfach wörtlich übersetzen lassen. So heißen Pistazien im Englischen „Pistachios“, werden im Chinesischen aber als „glückliche Nüsse“ bezeichnet. Die Probanden sollten den Namen der gezeigten Objekte schnell nennen nachdem sie unmittelbar zuvor entweder typische chinesische oder US-amerikanische Symbole gesehen hatten. Und wieder zeigte sich ein klarer Störeffekt dieser Schlüsselreize: Nach Erinnerungen an die heimatliche Kultur rutschte den Chinesen beispielsweise bei den Pistazien häufiger ein „Happy Nut“ heraus – also die wörtliche Übersetzung – statt des korrekten englischen Begriffs. Das zeige, dass visuelle Reize es chinesischen Sprachstrukturen erleichtern, in das Englische einzudringen, so die Forscher.
Nach Ansicht von Zhang und seinen Kollegen weckt dies die Frage, ob nicht auch andere Sinnesreize wie heimische Gerüche oder Klänge beim Sprechen und Lernen einer Zweitsprache stören können. Der jetzt beobachtete Effekt könnte auch erklären, warum Immigranten, die in ihren Vierteln vorwiegend unter ihresgleichen leben, größere Probleme haben, die Sprache ihres neuen Landes zu lernen. Und warum sie dann zwar unter ihren neuen Landsleuten fließend sprechen und sich auch im Verhalten anpassen, aber Rückschritte machen, sobald jemand oder etwas aus ihrer alten Heimat in Sichtweite ist – wie im Fall des chinesischen Studenten oder des taiwanesischen Professors. „Für Immigranten hat es daher sowohl positive als auch negative Folgen, wenn sie im neuen Land unter sich bleiben: Einerseits fühlen sie sich geborgener und leiden weniger unter der fremden Umgebung, andererseits behindert genau dies ihre Assimilation der Kultur und auch der Sprache ihrer neuen Heimat“, konstatieren die Wissenschaftler.