Der Wahnsinn hatte gewissermaßen Methode: Der größte englische Dramatiker sei, so die Literaturwissenschaftlerin, Mitglied einer katholischen Geheimorganisation gewesen und habe deshalb in Bezug auf seine privaten Angelegenheiten verschwiegen sein müssen. Ihre Spurensuche hat die Forscherin jetzt in dem Buch „Die verborgene Existenz des William Shakespeare“ dokumentiert.
Es waren wirre Zeiten im England des 16. Jahrhunderts. Kurz vor Shakespeares Geburt war Maria I. Tudor gestorben, die eine vehemente Rekatholisierung des Landes, das zwischen dem Katholizismus und dem Protestantismus hin- und hergerissen war, vorangetrieben hatte. Ihre Nachfolgerin auf dem Thron war Elisabeth I. Sie setzte eine weitere Eigenständigkeit gegenüber Rom durch, doch ihr lag nichts an einer eigenständigen fremden Kirche im Lande, auch wenn sie protestantisch war. Das Beibehalten des Episkopats und großer Teile des katholischen Ritus wie andererseits die englische Bibel und das Allgemeine Gebetbuch etablierten die englische Kirche als Kirche zwischen Katholizismus und Protestantismus. Wer sich eindeutig einer der beiden großen Konfessionen zurechnete, hatte es schwer.
In ihrem Buch belegt Hammerschmidt-Hummel, dass der kleine William Shakespeare der Sohn des überzeugten und praktizierenden Katholiken John Shakespeare war. Dieser sowie zahlreiche Verwandte waren wegen ihres Glaubens Sanktionen und zum Teil auch Verfolgungen und Gefangennahmen ausgesetzt. William wurde insgeheim katholisch erzogen. Sein Lateinschullehrer Simon Hunt war Katholik. Er wurde später an dem nach jesuitischem Muster geführten Collegium Anglicum im flandrischen Douai (heute Frankreich) Priester. Die Forscherin fand zahlreiche Indizien dafür, dass der junge Shakespeare in den Jahren 1578 bis 1580 diese Ausbildungsstätte besucht hat.
Von 1580 bis 1582 war Shakespeare unter dem Namen William Shakeshafte als Privatlehrer in dem katholischen Haushalt von Alexander Hoghtons in Lancashire beschäftigt. Bei ihrem Quellenstudium entdeckte Hammerschmidt-Hummel, dass Hoghton testamentarisch eine elfköpfige Geheimorganisation finanzierte. Diese Geheimorganisation war eine Untergruppe der 1580 in Rom gegründeten „Catholic Association“. William Shakespeare stand als hochrangiges Mitglied auf der „Gehaltsliste“ der Geheimorganisation Hoghtons.
Auch das Geheimnis um die so genannten „lost years“ von 1585 bis 1592, über die bisher nichts bekannt war, hat die Forscherin gelüftet. Sie fand heraus, dass Shakespeare in dieser Zeit Kontakte zu den englischen Exilkatholiken auf dem Kontinent hatte und mindestens dreimal in Rom war. Dabei logierte er unter verschiedenen Pseudonymen im Pilgerhospiz des Englischen Kollegs.
Shakespeare hat auch selbst verfolgten Katholiken Unterkunft und Fluchthilfe geboten. Im März 1613 erwarb er zusammen mit drei Treuhändern das östliche Torhaus auf dem Klostergelände von Blackfriars. Dieses verwinkelte Gebäude bot zahlreiche Verstecke und war eine zentrale Anlaufstelle für verfolgte und flüchtige katholische Priester. Von dort konnten sie auch über die Themse fliehen. Shakespeares Theaterverbundenheit kam den Flüchtenden ebenfalls zu Hilfe, denn das nahe gelegene Shakespearesche Blackfriars Theatre konnte zur Tarnung der Priester Kostüme, Perücken und Bärte stellen.
Die neuen Erkenntnisse, die Hildegard Hammerschmidt-Hummel vorlegt, könnten einige Teile des Shakespeareschen Werkes in einem neuen Licht erscheinen
lassen und andere, bislang rätselhaft gebliebene Textstellen, erhellen.
Weitere Informationen zu Shakespeare im Kleinen Shakespeare-Brevier.
Bibliographischer Hinweis: Hildegard Hammerschmidt-Hummel: „Die verborgene Existenz des William Shakespeare. Dichter und Rebell im katholischen Untergrund“, Verlag Herder, Freiburg 2001, ISBN 3-451-27417-5, DM 49,80.