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Bisher unbekannte Texte des griechischen Mathematikers Archimedes aufgetaucht

Geschichte|Archäologie

Bisher unbekannte Texte des griechischen Mathematikers Archimedes aufgetaucht
Traktat über schwimmende Körper

Was hätte mit diesen Texten nicht alles passieren können – verbrannt in mittelalterlichen Bibliotheken, verlorengegangen oder zerstört von Kreuzrittern zwischen Konstantinopel und Jerusalem oder irgendwo als Einwickelpapier genutzt. Doch diese Texte, die im 20. Jahrhundert als Texte des Archimedes erkannt wurden, hat eine Bibel gerettet.

Ein Mönch aus dem 12. Jahrhundert brauchte Schreibmaterial für eine Bibel und schabte dafür, wie es üblich war, eine alte Pergamenthandschrift ab. Diese stammte aus dem 10. Jahrhundert. Die Bögen enthielten eine Kopie des „Traktats über schwimmende Körper“ und der „Methode der mechanischen Theoreme“ und gelten heute jeweils als die letzte erhaltene Kopie des griechischen Mathematikers. (Vgl. auch unsere Meldung vom 13.7.00). Der Mönch hat die Bedeutung der Texte entweder nicht erkannt, oder sie war ihm gleichgültig. So hat er zwar dem Manuskript Schaden zugefügt, doch mit modernen Methoden kann der abgeschabte Text wieder sichtbar gemacht werden – sofern man die Wissenschaftler nur machen lässt.

Nachdem die Texte 1998 bei Christie’s versteigert wurden und nun einem anonymen Sammler gehören, wurde zwei Wissenschaftler-Teams erlaubt, die Texte zu retten: Forschern des Rochester Institute of Technology (Bundesstaat New York) und der Johns Hopkins University in Baltimore (Maryland). Aus Misstrauen oder Vorsicht überließ man ihnen jedoch vorerst nur 5 der insgesamt 174 Bögen. Doch die bisher geleistete Arbeit der Forscher überzeugte Kirsten Lavin, die für das Werk Verantwortliche, so dass jetzt auch die übrigen 169 Seiten gerettet werden dürfen, wie die französische Zeitung „Libération“ berichtet.

Die amerikanischen Forscher sind nicht die ersten, die sich über das alte Manuskript beugen. Im Jahre 1907 studierte der dänische Philologe Johann Heiberg in der Bibliothek von Konstantinopel eine alte griechische Bibel, deren Schriftbild ihm nicht ganz sauber vorkam. Es war, als läge unter der Schrift noch eine andere verborgen. Heiberg drehte die Bibel um 90 Grad, dann konnte er erkennen, dass tatsächlich noch andere Buchstaben den Bogen entlangliefen, nur mit Lupe schwach erkennbar. Zeile für Zeile versuchte der Gelehrte zu entziffern, doch bei den bescheidenen technischen Möglichkeiten seiner Zeit musste Heiberg vieles offenlassen. Am Ende des 20. Jahrhunderts war der Text noch schadhafter geworden, doch jetzt gab es andere Möglichkeiten. Mit Bildgebungsverfahren, wie sie etwa in der Medizin genutzt werden, rückte man dem Text vorsichtig zu Leibe.

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Wenn die technische Arbeit getan ist, beginnt die des Historikers. Reviel Netz von der University of Stanford, Wissenschaftshistoriker und Spezialist für das antike Griechenland, bringt die Texte in eine Ordnung, übersetzt und interpretiert sie. „Auch die perfekteste Technik wird einige Textausschnitte nicht wiedererscheinen lassen“, bedauert der Historiker. „Die nummerierten Abbildungen lassen mich aber einige Zeichen erraten, aber andere bleiben unleserlich.“

Andererseits hat Netz eine Seite entdeckt, die von Heiberg vermutlich nicht einmal bemerkt worden ist, jedenfalls hatte er sie nicht gekennzeichnet. Dem dänischen Wissenschaftler war entgangen, dass auf einem der Blätter noch einige Paragraphen aus dem „Traktat über schwimmende Körper“ verborgen waren. Das bedeutet, dass es hier einen Archimedes-Text gibt, der seit der Abschrift im 10. Jahrhundert von niemandem reproduziert, übersetzt und interpretiert worden ist.

Weder die Mathematik noch die Physik muss wegen der wiederentdeckten Archimedes-Texte umgeschrieben werden, meint Netz. Sie geben aber Einblick in die Denkungsart eines griechischen Gelehrten. „Seine kleinsten Sudeleien können uns Aufschluss über sein Denken geben“, formulierte Netz in „Physics Today“.

Die Zeichnungen des Archimedes sind in den Texten ebenfalls wiedergegeben worden. Doch Heiberg hatte sie nicht beachtet; vermutlich hielt er sie für bedeutungslos oder falsch. Dabei sind sie offenbar alles andere als unwichtig. „Die Skizzen zeigen uns, dass die geometrischen Figuren eine Erfindung der griechischen Mathematiker waren, dass sie zu dieser Zeit dazu dienten, das mathematische Denken zu entwickeln“, erklärt Netz. Auch von der Art der Texte entsteht durch die neuen Untersuchungen ein neues Verständnis. So hatte Heiberg noch angenommen, dass die „Methode der mechanischen Theoreme“ eine Reihe von Lektionen sei. Es scheint sich dabei aber eher um eine Abhandlung aus einem Guss zu sein, in der Archimedes gleichsam zeigt: „Seht her, das ist meine Methode.“

Doris Marszk

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