Was haben denn Eichhörnchen mit Lepra zu tun, mag man sich fragen. Doch es gibt eindeutig einen Zusammenhang, wie erst letztes Jahr deutlich wurde: Einer Untersuchung zufolge gibt es in Großbritannien Eichhörnchen, die mit dem Erreger Mycobacterium leprae infiziert sind , der beim Menschen Lepra verursacht. Geschwüre und schließlich der Zerfall von verschiedenen Körpergeweben – auch diese Symptome sind bei den „aussätzigen“ Nagern ähnlich wie beim Menschen.
Vor allem im Mittelalter war die europäische Bevölkerung von der entstellenden Erkrankung betroffen. Erst ab dem 16. Jahrhundert begann das Gespenst des Aussatzes dann wieder langsam aus Europa zu verschwinden. Es gibt Vermutungen, dass die Bevölkerung über die Generationen hinweg zunehmend Resistenzen gegen den Erreger entwickelt hat. Auch die Lepra-infizierten Eichhörnchen können die Erkrankung heutzutage offenbar nicht mehr verbreiten, beruhigen die Wissenschaftler.
Der mittelalterlichen Lepra auf der Spur
Doch ursprünglich könnte dies einmal anders gewesen sein, sagen nun die Forscher um Sarah Inskip von der University of Cambridge. Ihre Vermutungen basieren auf einer wachsenden Zahl von Nachweisen von Lepraerkrankungen im mittelalterlichen England. Dabei ist auffällig, dass besonders viele und frühe Nachweise aus der Region East Anglia im Südosten Großbritanniens stammen. Es scheint sich abzuzeichnen, dass sich die Lepra dort besonders stark etablieren konnte und sich von dort aus in ganz England ausbreitetet hat.
Beim jüngsten Fund in diesem Zusammenhang handelt es sich um die Überreste einer Frau, die Radiokarbondatierungen zufolge im Zeitrahmen von 885 bis 1015 n. Chr. in Suffolk gelebt hat. Wie die Forscher berichten, tragen ihre Überreste die Zeichen der Lepra – die Frau war offenbar durch die Erkrankung schwer entstellt. Es gelang ihnen auch den Verursacher direkt nachzuweisen: Sie entdeckten Erbgut von Mycobacterium leprae in den Überresten der Frau. Es ist den Analysen zufolge der gleiche Erregerstamm, der zuvor schon bei anderen mittelalterlichen Lepraopfern aus der Region entdeckt worden war.
„Aussätzige“ Eichhörnchen aus Skandinavien?
Interessanterweise handelt es sich dabei auch um genau diejenige Version von Lepra, die bei Menschen aus dem mittelalterlichen Skandinavien nachgewiesen worden ist. Es ist bekannt, dass hier die Lepra in der Wikingerzeit besonders stark verbreitet war. Dadurch kamen die Forscher auf einen möglichen Zusammenhang mit dem Handel von Eichhörnchen über die Nordsee. Wie sie erklären, waren die Felle und auch das Fleisch der Nager im mittelalterlichen England beliebt. „Es ist möglich, dass diese Lepra-Form im Südosten Englands durch den Kontakt mit Eichhörnchenfell und Fleisch verbreitet wurde, das die Wikinger brachten“, sagt Inskip. „Der Handel mit Dänemark und Sweden florierte im Mittelalter und Kings Lynn and Yarmouth entwickelten sich zu wichtigen Häfen für den Import von Fellen“, so die Wissenschaftlerin. Ihr zufolge ist zwar nicht bekannt, wie lange die Bakterien auf Pelzen oder Fleisch überleben und somit, ob dieser Infektionsweg tatsächlich möglich war. Aber es gibt auch Überlieferungen, nach denen Eichhörnchen damals als Haustiere gehalten wurden.
Den Wissenschaftlern zufolge sind deshalb nun weitere Nachforschungen gefragt. „Zusätzliche Untersuchungen können vielleicht die Rolle des Pelzhandels widerlegen oder bestätigen und damit für Klärung sorgen“, so Inskip. Auch die Forscher, die die Lepra bei Eichhörnchen in Großbritannien entdeckt haben, werden am Ball bleiben: Sie wollen die Erkrankung bei den Nagern genauer untersuchen – wo sie in Europa vorkommt und wie sie unter den Tieren übertragen wird.