Die meisten heutigen Ureinwohner Nord- und Südamerikas stammen demnach von einer primären Einwanderungswelle ab, die sich vor etwa 15.000 Jahren ereignete. Diesem bedeutendsten Siedlungsschub folgten dann aber noch zwei kleinere, berichten Andres Ruiz-Linares vom University College London und seine Kollegen. Die genetischen Spuren dieser späteren Siedler aus Sibirien fanden die Forscher allerdings nur bei der Bevölkerung des hohen Nordens: Die Hälfte des Erbguts der Aleut-Eskimos stammt demnach von Einwanderern der zweiten Welle, und bei Vertretern des Volks der Chipewyan aus dem Norden Kanadas ist noch zehn Prozent des genetischen Erbes der dritten Einwanderungswelle nachweisbar. Den Forschern zufolge belegt dies eine Vermischung der späteren Einwanderer mit den bereits ansässigen Ureinwohnern der ersten Welle. Die Untersuchungen offenbarten außerdem, dass es irgendwann sogar zu einer Rückwanderung von Amerika nach Sibirien gekommen sein muss: Laut den Daten besitzen manche sibirische Völker nämlich Spuren ?amerikanischen? Erbgutes.
Die Clovis-Kultur war offenbar nicht allein
Die Ergebnisse einer zweiten Studie zur amerikanischen Frühgeschichte stellen eine grundlegende Lehrmeinung zur kulturellen Entwicklung der ersten Menschen der Neuen Welt infrage: Bisher nahm man an, dass die sogenannte Clovis-Kultur am Ende der letzten Eiszeit die alleinige Grundlage aller weiteren Entwicklungen bildete. Archäologisch definiert ist sie durch Funde von Projektilspitzen aus Feuerstein mit doppelseitigen Schneiden, die in charakteristischer Weise hergestellt wurden. Doch neue Datierungen von Funden aus Höhlen in Oregon deuten nun darauf hin, dass hier vor etwa 13.000 Jahren Menschen lebten, deren Werkzeugtechnologie sich deutlich von der der Clovis-Kultur unterschied. Möglicherweise existierte also im Westen der heutigen USA eine Bevölkerungsgruppe mit eigenen typischen Technologien, während oder sogar bevor die Clovis-Kultur die Menschen auf den Ebenen und im Südosten prägte, sagen Dennis Jenkins von der University of Oregon und seine Kollegen.
Geschossspitzen, die mit der sogenannten ?Western Stemmed?-Technologie hergestellt wurden, sind bereits aus verschieden Höhlen im Westen der USA bekannt. Da sie aber teilweise aus Sedimentschichten über Clovis-Funden stammten, hatte man bisher angenommen, diese Art der Projektilherstellung basiere auf der älteren Clovis-Technik. Doch die Untersuchungen der Forscher um Dennis Jenkins scheinen diese These nun zu widerlegen. Es gelang den Forschern, Geschossspitzen der Western-Stemmed-Technologie aus den Paisley-Höhlen in Oregon durch Beifunde zu datieren. Es handelte sich dabei vor allem um Reste menschlicher Exkremente, sogenannte Koprolithen. In den fossilen ?Geschäftchen? konnten die Forscher DNA Fragmente nachweisen, die den menschlichen Ursprung belegen. Die Altersbestimmung mittels der Radiokarbonmethode offenbarten dann das Alter der Hinterlassenschaften: etwa 13.200 Jahre.
Diese Datierung platziert die Entstehung der Geschossspitzen der Western-Stemmed-Technik in die gleiche Zeit wie die ältesten bekannten Spuren der Clowis-Kultur – oder sogar noch früher. Die Forscher vermuten nun, dass die Clovis-Kultur sich im Südosten der USA bildete und sich dann nach Westen ausbreitete, während die Western-Stemmed-Kultur im Westen entstand und sich nach Osten verschob. ?Es gab offenbar zwei parallele Technik-Kulturen in Nordamerika, die sich über Jahrhunderte hinweg nicht vermischten”, resümiert Dennis Jenkins. In wieweit dies mit Faktoren bei der ursprünglichen Besiedlung des Kontinentes zu tun hatte, bleibt spekulativ. Es sei aber möglich, dass sich die Menschen bei der Besiedlung Nordamerikas schon früh in zwei Gruppen aufspalteten, von der eine den Westen und eine den Osten besiedelte. So könnten die unterschiedlichen Traditionen entstanden sein, sagt Dennis Jenkins.