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Das schwere Los der Ritter

Geschichte|Archäologie

Das schwere Los der Ritter
Ritter hatten’s schwer – und zwar buchstäblich: Wenn die mittelalterlichen Kämpfer ihre Rüstung trugen, verbrauchten sie bei jedem Schritt mehr als doppelt so viel Energie wie ohne Panzer. Das haben britische und italienische Physiologen jetzt mit Hilfe von vier Schaukämpfern zeigen können, die aufwendige Nachbildungen spätmittelalterlicher Rüstungen trugen. Da die schweren Panzer – jeder wog zwischen 30 und 50 Kilogramm – nicht nur den Rumpf, sondern auch die Gliedmaßen belasteten, war der Energieverbrauch noch deutlich größer, als hätten die Ritter das gleiche Gewicht lediglich auf dem Rücken getragen. Wenig hilfreich war auch, dass die Rüstung das Atmen erschwerte: Tiefe Atemzüge seien nicht möglich gewesen, die Ritter mussten den nötigen Sauerstoff vielmehr durch flaches, rasches Atmen in den Körper befördern, sagen die Forscher. Ihr Fazit: So manche Schlacht hätte wohl anders ausgehen können, wären die Kämpfenden in weniger Stahl gehüllt gewesen – und damit schlicht und einfach weniger schnell erschöpft.

Plattenpanzer für Ritter, die aus vielen ineinander greifenden Stahlplatten bestanden, waren eine Erfindung, die ausschließlich im Europa des späten Mittelalters anzutreffen war. Schon ein Blick auf den Stahlpanzer zeigt, dass das Tragen dieser Rüstungen alles andere als bequem gewesen sein muss. Wie sehr sie jedoch die Beweglichkeit eines Ritters einschränkten, sei noch nie systematisch untersucht worden, berichten Graham Askew von der Universität in Leeds und seine Kollegen. Sie wandten sich daher an die Royal Armouries, das britische Nationalmuseum für Waffen und Rüstungen, das regelmäßig Schaukämpfe in Original-Nachbildungen von Rüstungen aus dem 15. Jahrhundert veranstaltet.

Vier der daran teilnehmenden Kämpfer konnten die Forscher dazu überreden, in ihren Rüstungen auf einem Laufband bei verschiedenen Geschwindigkeiten zu gehen und zu laufen, während sie eine Atemmaske trugen. Auf diese Weise ließ sich messen, wie viel Sauerstoff sie verbrauchten und wie viel Kohlendioxid sie ausatmeten. Aus diesen und ein paar anderen Werten kann dann errechnet werden, wie viel Energie für die Bewegungen nötig war. Die Rüstungen wogen inklusive des Gambesons – eines gesteppten Untergewandes, an dem Teile der Platten befestigt wurden – zwischen 30 und 40 Kilogramm, etwa 45 Prozent des Körpergewichts der Männer.

Die Messungen zeigten: Beim Gehen in der Rüstung stieg der Energieverbrauch der Männer auf das 2,1- bis 2,3-Fache an, beim Rennen war es immerhin noch ein Faktor 1,9 – und das, obwohl das Körpergewicht lediglich um einen Faktor 1,4 zugenommen hatte. Hätten die Probanden das Gewicht ihrer Panzer auf dem Rücken getragen, wäre der Energieverbrauch lediglich um 70 Prozent beim Gehen und um 50 Prozent beim Laufen gestiegen, schreiben die Forscher. Die Rüstung müsse also zusätzliche Energiekosten erzeugen, die sich nicht nur durch das zusätzliche Gewicht erklären ließen.

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Es scheint sich dabei vor allem um zwei Faktoren zu handeln, die für diesen unproportional hohen Energieverbrauch verantwortlich gemacht werden können. Zum einen wurden Arme und Beine durch die Rüstung schwerer. Daher mussten die Ritter nicht nur, wie bei einem Gewicht auf dem Rücken, mehr Energie aufwenden, um das Gesamtgewicht ihres Körpers zu tragen. Sie benötigten weitere zusätzliche Energie, um ihre Gliedmaßen zu bewegen – sei es beim Gehen oder beim Schwingen ihrer Schwerter. Der zweite Faktor ist die Atmung: Der starre Brustpanzer und das hohe Gewicht erlauben es nicht, tiefe Atemzüge zu machen, um den steigenden Sauerstoffbedarf bei körperlicher Anstrengung zu decken. Die Ritter mussten also mit schnellen, flachen Atemzügen auskommen, was zu Lasten der körperlichen Leistungsfähigkeit geht.

Der Schutz durch den Stahlpanzer kostete den Träger also einen hohen Preis: Er war nicht in der Lage, sich schnell zu bewegen, und auch die Gehgeschwindigkeit war stark eingeschränkt. Nimmt man beispielsweise einen 38-jährigen, 75 Kilogramm schweren Mann, so könnte der bei einem Sauerstoffverbrauch von 2,4 Litern pro Minute ohne Rüstung problemlos eine Gehgeschwindigkeit von etwa 10 Kilometern pro Stunde halten. Mit Rüstung würde diese Geschwindigkeit bei gleichem Sauerstoffverbrauch auf gerade einmal 6 Kilometer pro Stunde sinken. Verschärft wird das Problem noch, wenn der Ritter älter wird, denn dann sinkt die Menge an Sauerstoff, die der Körper verwerten kann. Mit 55 würde unser Ritter also wohl nur noch mit 5 Kilometern pro Stunde vorwärtstrotten, berechneten die Forscher.

Sie sind davon überzeugt, dass dieser hohe Energieverbrauch den Ausgang einiger Schlachten zumindest mitentschieden hat. Dazu könnte etwa die Schlacht von Azincourt während des Hunderjährigen Krieges, am 25. Oktober 1415, gehören, in der schwer gepanzerte französische Ritter gegen leichter gewandete englische Kämpfer antraten: Der Boden sei matschig vom Pflügen und vom ständigen Regen gewesen, was das Vorwärtskommen der Ritter immens erschwert und zu einer schnellen Erschöpfung geführt haben müsse – ein Umstand, den die Engländer geschickt für sich nutzen konnten, um das französische Heer vernichtend zu schlagen.

Graham Askew (University of Leeds) et al.: Proceedings of the Royal Society B, Online-Vorabveröffentlichung, doi: 10.1098/rspb.2011.0816 wissenschaft.de – Ilka Lehnen-Beyel
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