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Wissenschaft: Verzerrte Daten?

Gesellschaft|Psychologie

Wissenschaft: Verzerrte Daten?
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Gibt es Verzerrungen von Ergebnissen in wissenschaftlichen Publikationen? (Foto: FactoryTh/ iStock)
In Zeiten von „alternativen Fakten“ und Filterblasen stellt sich die Frage, wie verlässlich wissenschaftliche Publikationen sind. Gibt es Verzerrungen von Ergebnissen in den Publikationen oder durch die Praxis der Veröffentlichung? Dieser Frage sind nun Forscher in der bisher umfangreichsten Metaanalyse nachgegangen. Ihr Ergebnis: Tatsächlich gibt es einige verzerrende Effekte. So überzeichnen beispielsweise kleinere, früh publizierten Studien oft ihre Resultate. Insgesamt jedoch sei die Wissenschaft nicht in Gefahr, durch solche Verzerrungen ins Zwielicht zu geraten, so die Forscher.

Das Problem ist nicht neu: Immer wieder gibt es Untersuchungen, die auch im scheinbar objektiven Wissenschaftsbetrieb Fälle von ungleichen Chancen bei der Veröffentlichung oder verzerrter Darstellung von Ergebnissen aufzeigen. So kommt es vor allem in der medizinischen Forschung durchaus vor, dass Studien mit unerwünschten Ergebnissen von den Pharmakonzernen gar nicht erst veröffentlicht werden. Im Bereich der Klimaforschung erheben auch Klimaskeptiker immer wieder den Vorwurf, „unliebsame“ Studien würden zugunsten einer einseitigen Pro-Klimawandel-Haltung unterdrückt. Diese „Verschwörungstheorie“ allerdings haben Wissenschaftler in einer aktuellen Analyse überprüft – und widerlegt. Doch neben diesem sogenannten „Publication Bias“ gibt es noch andere mögliche Formen der Verzerrung. So kann ein Forscher seine Resultate bewusst oder unbewusst im Fachartikel als eindeutiger oder drastischer darstellen als sie sind – um mehr Aufmerksamkeit zu bekommen, um in renommierten Journalen veröffentlicht zu werden und seine Karriere zu fördern. „Zahlreiche mögliche Verzerrungen wurden bereits berichtet und das weckt die Sorge um die Verlässlichkeit und Integrität der Wissenschaft insgesamt“, erklären Daniele Fanelli von der Stanford University und seine Kollegen. „Bisher jedoch ist unbekannt, wie häufig die verschiedenen Formen der Verfälschung tatsächlich vorkommen und in welchen Fachgebieten.“

Um diese wichtige Frage zu klären, haben die Forscher mehr als 3.000 Metastudien aus 22 Fachgebieten zu dieser Frage ausgewertet. Insgesamt erfassten sie so fast 50.000 einzelne Fachartikel. Die Wissenschaftler überprüften diese Veröffentlichungen auf sieben mögliche Arten der Verzerrung hin: Sie prüften, ob kleine Studien auffällig oft besonders große, möglicherweise überzeichnete Wirkungen berichten und ob die Beteiligung der Industrie und anderer Drittmittelgeber dabei eine Rolle spielt. Zudem untersuchten sie, ob Studien mit drastischen oder überraschenden Effekten schneller veröffentlicht und häufiger zitiert werden als spätere, möglicherweise gründlichere und die Ergebnisse korrigierende Studien. Auch ob Studien mit nichtsignifikanten oder negativen Effekten generell seltener in Fachjournalen und dafür nur in Konferenzbeiträgen, Doktorarbeiten oder anderen weniger beachteten Publikationen erscheinen, untersuchten sie. Schließlich prüften die Wissenschaftler auch, ob Faktoren wie der Publikationsdruck auf die Forscher, das Geschlecht der Autoren oder ihre Position eine Rolle dafür spielen, ob und wie stark Verfälschungen oder Verzerrungen auftreten.

Verzerrungen ja, aber nicht durchgehend

Das Ergebnis: Wissenschaftliche Veröffentlichungen sind nicht frei von Verzerrungseffekten. Vor allem bei kleinen, früh in renommierten Fachjournalen veröffentlichten Studien fanden Fanelli und seine Kollegen tatsächlich Hinweise auf eine Tendenz zu überzeichneten Ergebnissen. Der Verdacht, dass der Publikationsdruck oder der Einfluss von Drittmittelgebern Forscher eher dazu bringe, ihre Ergebnisse zu überzeichnen, bestätige sich dagegen nicht, so die Forscher. Ihre Auswertung lieferte auch Antworten auf die Frage, welche Wissenschaftler am ehesten geschönte oder zumindest überzeichnete Ergebnisse publizieren: Am ehesten ist dies bei jungen Forschern am Beginn ihrer Karriere der Fall und bei solchen, die in sehr kleinen Gruppen arbeiten oder sich nur über große Entfernungen hinweg mit ihren Kollegen austauschen. „Das stützt die Annahme, dass die gegenseitige Kontrolle durch Teammitglieder eine Studie vor einer solchen Verfälschung schützen kann“, sagt Fanelli. So gebe es beispielsweise in den oft in großen Teams erarbeiteten Publikationen der experimentellen Physik keine solchen Trends. Ob die Autoren Männer oder Frauen sind, spielt im Übrigen keine Rolle, wie Fanelli und seine Kollegen feststellten.

Wie aber sieht es mit den Fachgebieten aus? Zur Überraschung der Forscher ist die Wahrscheinlichkeit für verzerrte Darstellungen offenbar sehr ungleichmäßig verteilt. „Obwohl die Neigung zu Verfälschungen in spezifischen Fachgebieten besorgniserregend hoch sein kann, ist sie in vielen andere Disziplinen gar nicht vorhanden“, sagt Fanelli. Besonders anfällig sind demnach Wirtschaft, Psychologie, Psychiatrie und Sozialwissenschaften, gefolgt von Biowissenschaften. Kaum betroffen sind dagegen „harte Naturwissenschaften“ wie Physik, Mathematik, Chemie, Geowissenschaften oder Ingenieurswissenschaften. Die Forscher führen dies darauf zurück, dass die Methoden in den Sozial- und Wirtschaftswissenschaften, aber auch einigen Lebenswissenschaften per se anfälliger für Verfälschungen sein könnten. Ob dies tatsächlich der Fall sei, müsse aber noch geklärt werden, so die Forscher.

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Insgesamt aber kommen Fanelli und seine Kollegen zu einem eher beruhigenden Fazit: „Unsere Ergebnisse zeigen, dass solche Verzerrungseffekte nicht die Glaubwürdigkeit der Wissenschaft als Ganzes unterminieren“, konstatieren die Forscher. Insgesamt machen die Auswirkungen von Verzerrungseffekten und Überzeichnungen ihren Angaben nach nur rund 1,2 Prozent der berichteten Effektgrößen aus. „Damit entwerten sie nicht die Wissenschaft als Ganzes“, so Fanelli. „Gleichzeitig unterstützen diese Ergebnisse die Sichtweise, dass eine Kultur der Offenheit und Kommunikation – ob auf der Ebene der Teams oder Institutionen – solchen Risiken entgegenwirken kann.“

Quelle:

© wissenschaft.de – Nadja Podbregar
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